Gesundheitsminister Karl Lauterbach: „Für die Umsetzung der Impfpflicht brauchen wir mindestens fünf bis sechs Monate“
Seit Wochen wird kontrovers über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht diskutiert. Auch Lauterbach äußerte sich im Bundestag zu der Debatte.
Der Bundestag hat am Nachmittag mit der ersten ausführlichen Debatte über eine allgemeine Impfpflicht begonnen. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) äußerte sich in seiner Rolle als Abgeordneter. „Die Freiheit gewinnen wir durch die Impfung zurück“, sagte Lauterbach. „Es ist das Virus, das uns belagert.“
Der SPD-Politiker warnte vor möglichen weiteren Corona-Varianten sowie zukünftigen Infektionswellen. „Für die Umsetzung der Impfpflicht brauchen wir mindestens fünf bis sechs Monate“, sagte Lauterbach. Um auf eine potenzielle neue Corona-Welle im nächsten Herbst gewappnet zu sein, müssten jetzt notwendige Vorkehrungen getroffen werden.
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Zuvor hatte bei der Orientierungsdebatte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus abgelehnt. „Es gibt gute Gründe für eine Impfung, die für eine Impfpflicht überzeugen mich nicht“, sagte der FDP-Politiker am Mittwoch im Bundestag.
Kubicki betonte, er selbst habe sich bewusst für das Impfen und Boostern entschieden. „Es war für mich persönlich ein enorm befreiendes Gefühl.“ Er wies aber darauf hin, dass es durchaus bedenkenswerte psychologische oder religiöse Gründe gebe, eine Impfung für sich persönlich abzulehnen. „Wir machen es uns viel zu einfach, wenn wir erklären, hauptsächlich Corona-Leugner und Rechtsradikale entschieden sich gegen die Impfung. Das ist mitnichten so.“
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende sagte, es gehe bei der Debatte im Kern auch um den Minderheitenschutz, der durch eine Impfpflicht berührt würde. „Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Mehrheit für die Minderheit festlegt, was man als vernünftig anzusehen hat, und was man nach Mehrheitsmeinung tun muss, um solidarisch zu sein.“
Gysi spricht sich klar gegen allgemeine Impfpflicht aus
Der Linken-Politiker Gregor Gysi hat sich klar gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus positioniert. Andere Länder wie Portugal, Spanien oder Dänemark hätten auch ohne eine Impfpflicht viel höhere Immunisierungsquoten erreicht, argumentierte Gysi am Mittwoch bei der ersten Debatte zu diesem Thema im Bundestag.
Das Pandemie-Management der Bundesregierung kritisierte er als Beispiel der „Desorganisation“. Bremen zeige, dass es auch anders gehe, sagte Gysi mit Blick auf die dortige linke Gesundheitssenatorin, die mit „guter Organisation eine Impfquote - eine Zweifach-Impfquote - von 86,1 Prozent erreichen“ könne.
Zuvor hatte es aus seiner Fraktion teils andere Signale gegeben - so hatte etwa die Linken-Politikerin Kathrin Vogel im Parlament eine Impfpflicht als Ultima Ratio nicht ausgeschlossen. Gysi machte deutlich, dass eine allgemeine Impfpflicht aus seiner Sicht „nur schwer mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen“ sei. „Außerdem haben wir ja real etwa elf Millionen ungeimpfte Menschen über 18 Jahre. Wie viele Ordnungsämter brauchen wir eigentlich, um das Ganze irgendwie zu bewerkstelligen?“, warf er ein.
Er gab zu bedenken, dass eine Impfpflicht, um wirksam zu sein, mit Sanktionen einhergehen müsse. Das bedeute in letzter Konsequenz, dass Menschen, die nicht zahlen könnten, in Ordnungshaft müssten. Abgesehen von der sozialen Frage sei dies „völlig undenkbar“.
Buschmann plädiert für Prüfung von Impfpflicht-Alternativen
Marco Buschmann (FDP), der ausdrücklich als einfacher Abgeordneter sprach, brachte eine Impfpflicht ab 50 ins Gespräch. Es müsse geklärt werden, ob es nicht mildere Mittel gebe als eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren. „Ich traue mir da heute keine abschließende Meinung zu“, sagte Buschmann.
Die „mildere Alternative einer altersbezogenen, einer gestuften Impfpflicht“ sei dabei sehr ernst zunehmen, erklärte Buschmann mit Verweis auf den Corona-Expertenrat, der festgestellt habe, dass vor allem von den über 50-jährigen Ungeimpften eine Gefahr für die Überlastung der Intensivstationen ausgehen würde. Es sei auch „denkbar“, dass sich die Frage nach einer Impfpflicht durch den Einsatz von wirksamen Medikamenten gegen das Coronavirus erledigen könnte, gab Buschmann zu bedenken.
Scharfe Kritik übte der FDP-Politiker wiederum an der AfD. Die habe „die Dimension der Frage nicht verstanden“, kritisierte Buschmann. Zuvor hatte die AfD ihre Ablehnung einer möglichen Impfpflicht im Bundestag bekräftigt. Man sei an einem Punkt angelangt, an dem Impfstoffe schon fast eine religiöse Stellung erhielten, sagte Co-Fraktionschef Tino Chrupalla. „Wer nicht glaubt und von seinem Grundrecht auf Selbstbestimmung gebraucht macht, ist automatisch ausgeschlossen.“
„Impfen ist der Weg aus der Pandemie“
Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther hat im Bundestag für eine allgemeine Impfpflicht ab dem 18. Lebensjahr geworben. „Impfen ist der Weg aus der Pandemie“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende des parlamentarischen Gesundheitsausschusses am Mittwoch. Das Signal, Impfungen seien vor allem etwas für Menschen über 50, berge die Gefahr, dass die Impfbereitschaft bei Jüngeren abnimmt.
Der Unionsabgeordnete Tino Sorge, wiederum, hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein Versteckspiel bei der Impfpflicht vorgeworfen. Er habe sich geweigert, einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten, auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gebe keine Richtung vor, kritisierte Sorge. „Man spielt so lange Verstecken und hofft, dass irgendjemand ein Konzept zur Impfpflicht vorlegt, wenn man nur lange genug darauf wartet.“ Eigene Argumente für oder gegen eine Impfpflicht brachte Sorge nicht vor, betonte aber, Impfen sei der Weg aus der Pandemie.
Als erste Rednerin hatte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt, für eine Impfpflicht ab 18 Jahren plädiert. „Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung und auch als weitere Einschränkungen, die vor allem Kinder und Jugendliche, aber viele andere mehr treffen mit harten Folgen.“
Nach der Orientierungsdebatte soll zu einem späteren Zeitpunkt in Form von Gruppenanträgen ohne Fraktionszwang über ein mögliches Gesetz entschieden werden. Es gibt derzeit drei verschiedene Positionen: eine allgemeine Impflicht ab 18 Jahren, eine Impflicht ab 50 Jahren oder gar keine Impfplicht.
Allgemeine Impfpflicht ab 18
Eine Gruppe von Abgeordneten aus den drei Ampel-Fraktionen favorisiert eine allgemeine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren. Ziel sei es, eine „nachhaltige, verhältnismäßige und gleichzeitig zielgerichtete Lösung zu finden“, heißt es in einem Schreiben der Initiatoren an die anderen Abgeordneten. Ihren Gesetzentwurf will die Gruppe, zu der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen und Katrin Helling-Plahr von der FDP gehören, erst nach der Orientierungsdebatte am Mittwoch vorlegen.
Die Impfpflicht soll nach den Vorstellungen der Initiatoren befristet werden, im Gespräch ist ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Sie soll für drei Dosen gelten, und bußgeldbewehrt sein. Dahmen schwebt eine Höhe „im mittleren dreistelligen Bereich“ vor. Bevor diese Summe fällig wird, soll den Ungeimpften laut Dahmen allerdings eine Frist von etwa sechs Wochen eingeräumt werden, um die Impfung nachzuholen. Von einem Impfregister halten die Initiatoren des Antrags zumindest zum jetzigen Zeitpunkt wenig.
Impfpflicht ab 50
Eine andere Gruppe um den FDP-Parlamentarier Andrew Ullmann schlägt eine Impfpflicht für Menschen ab 50 vor. Wer jünger ist und nicht vorerkrankt, belaste die Krankenhäuser nur wenig, argumentiert der Arzt Ullmann. Er schlägt ein Stufenmodell vor: Zunächst sollen alle ab 18 ein verpflichtendes Beratungsangebot in Anspruch nehmen müssen, dafür wird ihnen ein Terminangebot übermittelt. Danach sollen sich die Betroffenen freiwillig impfen lassen können.
Sollte sich innerhalb einer vorgegebenen Zeit nach der Einführung der verpflichtenden Aufklärung die erforderliche Impfquote nicht einstellen, muss im zweiten Schritt eine Impfnachweispflicht ab 50 Jahren folgen, heißt es im Konzept der Ullmann-Gruppe weiter. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat Sympathien für eine Impfpflicht ab 50, wie es sie in Italien bereits gibt.
Nein zu einer Impfpflicht
Obwohl sich verschiedene Politiker quer durch alle Lager lange Zeit gegen jegliche Impfpflicht gewandt haben, wird diese Position inzwischen nur noch von wenigen offen vertreten. Wortführer ist der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Der Bundestagsvizepräsident will einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen. Die Impfpflicht sei ein „tiefer Grundrechtseingriff“, mit dem sich die aktuelle Infektionswelle ohnehin nicht brechen lasse, argumentiert Kubicki.
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Nach der Bundestagsdebatte: Wie geht es weiter?
Nach der Orientierungsdebatte will auch die Unionsfraktion laut ihrem gesundheitspolitischen Sprecher Tino Sorge einen eigenen Antrag vorlegen. Ausgearbeitete Vorschläge könnten dann in der Sitzungswoche ab dem 14. Februar erstmals im Plenum beraten werden. Einen Monat später - in der darauffolgenden Sitzungswoche - wäre dann der Gesetzesbeschluss möglich.
Nach Worten von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat die Bundesregierung das Angebot der Unions-Länder für Gespräche über die Vorbereitung einer Impfpflicht angenommen. Die Unterstützung der Länder wird benötigt, weil das Gesetz auch den Bundesrat passieren muss. Sollte der Bundestag eine allgemeine Impfpflicht beschließen, soll das zweite Quartal nach den Vorstellungen Dahmens genutzt werden, intensiv zu impfen. Dann könne die Impfpflicht im Juli oder August in Kraft treten. (Tsp, AFP, dpa)
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