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An Bord eines Verlegeschiffes werden im Fließbandverfahren Rohre für die Gaspipeline Nord Stream 2 verschweißt.
© Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Nach der EU-Einigung: Für die Gaspipeline Nord Stream 2 gibt es strengere Auflagen

In einem Wettlauf gegen die Zeit ist es gelungen, das EU-Gasrecht zu reformieren. Welche Folgen hat dies für das Pipeline-Projekt Nord Stream 2?

Die neuen EU-Regeln für Gastransporte werden auch für die umstrittene Nord-Stream-2-Pipeline gelten, die gerade unter der Ostsee von Russland bis Deutschland verlegt wird. Dies zeichnet sich ab, nachdem sich das Europaparlament, die EU-Mitgliedstaaten und die EU-Kommission in der Nacht zum Mittwoch im Grundsatz auf die Änderung der EU-Gasrichtlinie geeinigt haben.

Wird die geänderte Gasrichtlinie Nord Stream 2 noch stoppen?

Nein, danach sieht es nicht aus. Der Kompromiss, den Frankreich und Deutschland in der vergangenen Woche ausgehandelt haben und dem jetzt das EU-Parlament zugestimmt hat, sieht kein Mitspracherecht für andere europäische Ostsee-Anrainer neben Deutschland vor. Damit ist nun ausgeschlossen, dass etwa Dänemark, das das Pipeline-Projekt kritisch sieht, sich in den Genehmigungsprozess einbringt. Aber: Nun steht auch fest, dass neue und strengere Regeln der EU auf den Betrieb von Nord Stream 2 angewendet werden müssen.

Damit muss der russische Konzern Gazprom als Betreiber der Pipeline, die knapp zehn Milliarden Euro kosten wird und bereits zur Hälfte fertig ist, ihre Pläne abändern. Künftig dürfen etwa der Betreiber der Pipeline und der Produzent des Gases nicht identisch sein. Außerdem muss der Betreiber einer Pipeline anderen Verkäufern die Möglichkeit geben, Gas durchzuleiten.

Wie schwer wiegen die neuen Auflagen?

Klar ist, dass die schärferen EU-Regeln in jedem Fall auf dem Gebiet der EU gelten. Das heißt vermutlich: Nur auf den wenigen Kilometern, die die Röhre durch deutsche Hoheitsgewässer und über Land in Mecklenburg-Vorpommern geht, unterliegt sie künftig der strengeren EU-Regulierung. Die entscheidende Frage ist, ob die neuen EU-Regeln dazu führen, dass Nord Stream 2 damit nicht mehr so profitabel ist, dass sie sich für Gazprom lohnt.

Der Wirtschaftsexperte der deutschen Christdemokraten im Europa-Parlament, Markus Pieper, legte sich hier noch nicht fest: „Ich hoffe, dass Nord Stream 2 auch unter den neuen Auflagen wirtschaftlich zu betreiben ist.“

Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer geht unterdessen nicht davon aus, dass sich eine mögliche Trennung von Produktion und Vertrieb lediglich auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränken lässt. „Das europäische Energierecht muss für das gesamte Projekt gelten. Und Deutschland steht dabei unter der Aufsicht der EU-Kommission“, sagte er dem Tagesspiegel.

Ähnlich sieht das auch die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Die Regeln für den Betrieb der Pipeline gelten, wenn sie einmal vereinbart sind, für den gesamten Verlauf.“

Wie reagiert die Bundesregierung auf die vorläufige Einigung?

Für die Bundesregierung kam in der vergangenen Woche die Nachricht, dass Frankreich auf EU-Ebene ins Lager ins Lager der Pipeline-Gegner übergewechselt war, einer Hiobsbotschaft gleich. Kurze Zeit später gab es dann aber doch am vergangenen Freitag einen deutsch-französischen Kompromiss, der Berlin zumindest in einem wesentlichen Punkt entgegenkommt: Die regulatorische Aufsicht über das Projekt bleibt bei Deutschland.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte deshalb den Kompromiss bereits in der vergangenen Woche als einen Beleg für die Handlungsfähigkeit der EU gewertet. Denn schließlich war es Berlin gelungen, einen sehr viel weiter gehenden Vorschlag des rumänischen EU-Vorsitzes zu verhindern. Dieser Vorschlag hätte eine strengere Regulierung des Pipeline-Projektes vorgesehen.

Auch bei der vorläufigen Einigung mit dem Europaparlament sei der deutsch-französische Vorschlag von der vergangenen Woche übernommen worden, erklärte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums am Mittwoch. Die Details der Einigung würden noch geprüft, erklärte er weiter.

Können die deutschen Behörden Nord Stream 2 einfach durchwinken?

Nein. Der Kompromiss sieht zwar vor, dass die deutschen Regulierungsbehörden für Nord Stream 2 zuständig sind. Sie müssen aber sicherstellen, dass die schärferen Regeln der EU auch angewendet werden. Das letzte Wort hat im Übrigen die EU-Kommission. Im Prinzip könnten die deutschen Behörden auch eine Ausnahme für Nord Stream 2 genehmigen und damit sicherstellen, dass die Pipeline nicht unter das strengere EU-Recht fällt.

Das EU-Parlament macht aber deutlich, dass der Spielraum für die deutschen Behörden nicht groß ist: „Die abschließende Entscheidung über die Ausnahme liegt bei der EU-Kommission“, hieß es in einer Mitteilung des Parlaments. Demzufolge muss die Brüsseler Behörde prüfen, ob die Ausnahme notwendig ist und die gesetzlichen Bedingungen erfüllt sind. „Bei Meinungsverschiedenheiten geht die Bewertung der Kommission vor.“ Bütikofer sieht es so: „Der Kompromiss ist keine Lizenz für die deutschen Behörden, freihändig zu entscheiden.“

Kann Deutschland die Reform der Gasrichtlinie noch verhindern?

Grundsätzlich ist dies noch möglich. Die Mehrheit der 28 EU-Mitgliedstaaten muss dem Kompromiss noch zustimmen. Um die Reform zu verhindern, müsste Deutschland mit mehreren anderen Ländern eine Sperrminorität organisieren. Damit wird aber nicht gerechnet. Auch die endgültige Zustimmung des Europaparlaments bei einer Abstimmung im Plenum, die für April vorgesehen ist, gilt als sicher.

Ist Nord Stream 2 womöglich fertiggestellt, bevor das neue EU-Recht gilt?

Nein, dieses Szenario droht nach Einschätzung von EU-Diplomaten nicht. Im Gesetzestext ist aufgenommen, „dass ein Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland unter keinen Umständen die Umsetzung dieser Richtlinie verzögern darf“. Die Mitgliedstaaten haben neun Monate Zeit, um ihre nationalen Rechtsvorschriften mit dieser Richtlinie in Einklang zu bringen. Es heißt, dass die Nord-Stream-2-Pipeline Ende des Jahres fertiggestellt sein könnte.

Wer ist Verlierer, wer ist Gewinner?

Wirtschaftlich sind die Unternehmen die Verlierer, die die Pipeline bauen. Dies ist zum einen Gazprom. Doch es gibt dazu mehrere europäische Unternehmen, die an der Finanzierung der Pipeline beteiligt sind, etwa die BASF-Tochter Wintershall sowie der französische Gasversorger Engie. Klar ist, dass Bau und Genehmigung komplizierter werden und neue Auflagen zu erfüllen sind. Die Renditen dürften geringer ausfallen.

Dass die Einbußen das Geschäft insgesamt unrentabel machen, gilt als unwahrscheinlich. Politisch ist klar, dass das EU-Parlament und die Kommission Gegner von Nord Stream 2 sind und die Auflagen begrüßen. Die Bundesregierung unterstützt Nord Stream 2.

Zu den Gegnern der Pipeline gehören osteuropäische Staaten wie die Ukraine, Weißrussland und Polen, weil sie Einnahmeausfälle beim eigenen Gastransitgeschäft befürchten. US-Präsident Donald Trump ist ein Gegner der Pipeline, weil er um die Absatzchancen für US-Flüssiggas fürchtet.

Allerdings gibt es auch unter den Europaabgeordneten Befürworter des Projekts. Zu ihnen gehört die SPD-Europaabgeordnete Martina Werner. „Ich glaube, dass das Ansinnen gescheitert ist, das Projekt zu verhindern“, sagte sie am Mittwoch. Es sei bedauernswert, dass sich die EU-Staaten im Streit um Nord Stream 2 hätten auseinanderdividieren lassen. Vielmehr sei es sinnvoll, wenn zwischen Russland auf der Lieferanten- und der EU auf der Verbraucherseite eine „gegenseitige Abhängigkeit“ bestehe, sagte sie. Werner zufolge könne etwa auch Polen bei einem möglichen Versorgungsengpass von Nord Stream 2 profitieren.

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