„In Gottes Namen, gehen Sie!“: Für Boris Johnson wird es jetzt eng
Der britische Premier Boris Johnson findet in der Bevölkerung immer weniger Unterstützer. Wie lange kann er sich noch halten?
Neue Premierminister, schreibt Boris Johnsons bester Biograf Andrew Gimson, sollten schon bei Amtsantritt folgende Warnung beherzigen: „Bald werden die Leute Sie satt haben.“ Trifft dieser Satz bereits jetzt, gut zwei Jahre nach seinem triumphalen Wahlsieg, auch auf den derzeitigen Amtsinhaber zu?
Seit Wochen schlägt sich Johnson mit Vorwürfen herum, sein Team in der Downing Street Nummer zehn und er selbst hätten während der Lockdowns immer wieder eklatant gegen Corona-Beschränkungen verstoßen. Weil zwei Partys im vergangenen April am Vorabend des Begräbnisses von Prinzgemahl Philip, einer Periode offizieller Staatstrauer, stiegen, musste sich der Regierungschef sogar persönlich bei Queen Elizabeth II entschuldigen – so wie zuvor bereits „voller Reue“ beim Wahlvolk.
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Dass die Briten empört sind über den laxen Stil in der Regierungszentrale, zeigt eine Umfrage nach der anderen. Der Unmut wird von den Medien ebenso geschürt wie die Spekulationen über eine mögliche Vertrauensabstimmung in der konservativen Unterhausfraktion.
Dazu müssten 54 Mitglieder den zuständigen Komitees schriftlich und vertraulich bekunden, dass sie ihren Partei- und Regierungschef satt haben. Wie viele dies schon getan haben? Außer dem Gremiumvorsitzenden Graham Brady weiß dies niemand so genau, öffentlich bekundet haben den Wunsch nach einem neuen Premierminister kaum eine Handvoll.
Als Boris Johnson an diesem Mittwoch zur Fragestunde ins Londoner Unterhaus kommt, hat sich ein weiteres Fraktionsmitglied auf spektakuläre Weise als Kritiker geoutet: Unter dem Jubel der Opposition wechselt Parlamentsneuling Christian Wakeford zur Labour-Party und begründet dies mit der Überzeugung, der Premierminister sei „zu Führungsstärke nicht in der Lage“.
Die Opposition fragt hart nach
Wenig später bekundet der erfahrene Ex-Brexitminister David Davis seine Meinung, indem er den Lordprotektor Oliver Cromwell aus dem 17. Jahrhundert zitiert: „In Gottes Namen, gehen Sie!“ Freilich bleibt der als Einzelgänger bekannte alte Parlamentshase Davis – er gehört dem Unterhaus seit 1987 an – das einzige Fraktionsmitglied, das sich den Bemühungen von Johnsons Einpeitschern entzieht.
Anders als vor einer Woche sind die konservativen Bänke diesmal voll, außer Davis stellen alle Torys Johnson-freundliche Fragen, jede Äußerung des Premierministers wird begeistert aufgenommen, jede Kritik der Opposition niedergeschrien. Demonstrativ nickend sitzt Finanzminister Rishi Sunak, derzeit Favorit auf Johnsons Nachfolge, neben seinem Chef auf der Regierungsbank.
Der entspannt wirkende Labour-Oppositionsführer Keir Starmer setzt dem Premier erneut mit bohrenden Fragen zu, entzückt seine Fraktion mit hübschen Witzchen und erklärt staatsmännisch, anders als Johnsons Partytruppe sei seine Partei zu ernsthaftem Regieren bereit. Doch diesmal hat Johnson mehr zu bieten außer neuen Entschuldigungen und dem Verweis auf die Untersuchung sämtlicher illegaler Partys durch eine Spitzenbeamtin.
Die Omikron-Welle sei so stark abgeflaut, sagt er, dass ab kommender Woche die ohnehin vergleichsweise liberalen Corona-Bestimmungen in England zu reinen Empfehlungen werden. „Wir vertrauen dem Urteilsvermögen der Briten“, ruft Johnson und hat damit auch viele parteiinterne Kritiker hinter sich.
Für den 57-Jährigen dürfte sprechen, dass die Favoriten auf seine Nachfolge – neben Sunak vor allem die Ressortschefs für Gesundheit und Äußeres, Sajid Javid und Liz Truss – keine überzeugende Alternative abgeben. Auch stößt vielen Konservativen zunehmend auf, dass die Kampagne gegen Johnson vor allem durch dessen früheren Chefberater Dominic Cummings immer neue Nahrung erhält.
Alle Corona-Bestimmungen werden wieder aufgehoben
Dabei hatte der parteilose Stratege der erfolgreichen Brexit-Kampagne während seiner Zeit in der Downing Street selbst eklatant gegen Lockdown-Beschränkungen verstoßen. Gegen diesen Vorwurf nahm ihn der Premier im Mai 2020 in Schutz, ein halbes Jahr später musste Cummings dann doch gehen.
Seither hält er den Regierungschef für „völlig unfähig“ – ein offenkundig von verletzten persönlichen Gefühlen geleitetes Urteil. Mittlerweile dürfte Johnson mit seinem früheren langjährigen Rivalen, dem Ex-Premier David Cameron, übereinstimmen. Dieser hatte Cummings schon vor einem Jahrzehnt als „Karriere-Psychopathen“ bezeichnet.
Dass es mit seiner Karriere noch lange nicht zu Ende gehe, diesen Wunsch hat der Premierminister am Mittwoch deutlich formuliert. Auf Wakefords Fraktionswechsel bezogen erinnerte er seine Partei daran, dass dessen Wahlkreis Süd-Bury bei Manchester nach jahrzehntelanger Labour-Dominanz bei der jüngsten Unterhauswahl zum ersten Mal an die Konservativen fiel.
Das dürfte nicht zuletzt Johnsons überragenden Qualitäten als Wahlkämpfer geschuldet gewesen sein. „Und beim nächsten Mal gewinnen wir Süd-Bury wieder unter diesem Premierminister“, ruft Johnson den Parlamentariern entgegen und macht damit deutlich, dass er seine Partei auch in die spätestens 2024 anstehende nächste Wahl führen will. Mal sehen, ob ihn das Land und seine Partei bis dahin nicht satt haben.