Kopftuchverbot in Berlin: Fundamentalistisch wie anatolische Patriarchen
Frauen, fügt euch: Berlins Anti-Kopftuch-Gesetz soll so rückwärtsgewandt bleiben, wie es ist. Damit schadet die Politik Frauenrechten und Vielfalt. Ein Kommentar.
Zwingend erforderlich ist wenig in der Politik. Man kann neue Gesetze machen oder gucken, ob es mit den alten noch geht. Berlins Innensenator Frank Henkel hat deshalb Recht, wenn er behauptet, es sei „nicht zwingend erforderlich“, das Berliner Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen oder Beamtinnen in Polizei- und Justizdiensten zu lockern.
Das alte „Neutralitätsgesetz“ von 2005 tut es noch, trotz Verfassungsgerichtsurteils, das Pauschalverboten eine Absage erteilt. Schließlich galt der Richterspruch nicht für Berlin, sondern für Nordrhein-Westfalen.
Zwingend erforderlich aber ist etwas anderes: Dass der Senat damit aufhört, nach derart kleinkarierten Maßstäben Integrationspolitik zu gestalten. Es habe sich doch alles bewährt, sagt Senator Henkel. Bewährt hat sich das Gesetz aber nur, weil es noch nie auf die Probe gestellt wurde.
Die muslimischen Frauen, die mit dem Kopftuch in Staatsberufe wollen, scheuen sich, ihre Ansprüche durchzusetzen, ihre Rechte einzuklagen. Sie haben keine Lust auf eine Karriere als Islamistin vom Dienst. Also fügen sie sich, was auch bedeutet, sich andere Jobs zu suchen. Ein famoser politischer Beitrag in Sachen Frauenrechte wie für die Vielfalt in Behörden, Schulen und Gerichten.
Für eine fortschrittliche Großstadt unerträglich
Es ist diese Facette des Problems, die für eine sich fortschrittlich gebende Großstadtpolitik unerträglich sein müsste. Allein, sie ist es nicht. Die Frauen sollen sich nicht nur fügen, es soll ihnen auch zumutbar sein, Opfer zu bringen. Denn über allem thront ja die staatliche Neutralität, die sich unbedingt in der Kleiderordnung ihrer einzelnen Vertreterinnen zu spiegeln hat. Um sie zu schützen und zu ehren, haben die Frauen sich zu beugen.
Mit dieser Haltung sind die Henkels in Berlin dem anatolischen Patriarchen näher als den Frauen und Töchtern, die er angeblich unterdrückt. Was jenem sein Koran befiehlt, ersetzt bei uns die vermeintlich prinzipienfeste Auslegung des staatlichen Neutralitätsgebots.
Wer im Staatsdient steht ist eben nicht mehr privat tätig und hat sich entsprechend zurückzuhalten. Wer das nicht kann, hat im Staatsdienst sowieso nichts zu suchen. Das hat auch nichts mit Integration sondern mit Staatsraison zu tun.
schreibt NutzerIn Tempeldorfer
In beiden Fällen tut Aufklärung not. So wenig, wie es nach dem Koran „zwingend erforderlich“ ist, dass Frauen ihr Haar verhüllen, so wenig ist es „zwingend erforderlich“, dass Berliner Lehrerinnen es zeigen müssen. Dennoch halten die Betreffenden an ihren Lehren fest. Unbeirrbar.
Auf die besten Köpfe kann der Staat nicht verzichten
So haben sich die Berliner Fundamentalisten jetzt entschieden, nicht mal die kleinste Öffnungsklausel in ihr Gesetz einzubauen, um den Umgang mit Kopftuchfrauen im Staatsdienst künftig erproben zu können. Wer dies etwa einer der zu allen Hoffnungen berechtigenden Absolventinnen mit Befähigung zum Richteramt erklären soll, wird daran verzweifeln müssen. Vermutlich war ihr Urgroßvater moderner als wir.
Dass Zuwanderung für eine Gesellschaft immer nur ein Gewinn sein kann, mag eine naive Weltsicht sein. Aber auf diese Frauen zu verzichten, ist glatte Idiotie.