Regionalwahlen in Frankreich: Front National profitiert von der Terrorangst
Frankreichs Präsident François Hollande droht bei den Regionalwahlen an diesem Sonntag ein Fiasko – trotz seiner Anti-Terror-Politik. Der rechtspopulistische Front National könnte triumphieren. Ein Kommentar.
In der Mordnacht von Paris, als das ganze Ausmaß der islamistischen Anschläge klar wurde, erklärte Frankreichs Staatspräsident François Hollande in einer Fernsehansprache, dass die Grenzen des Landes geschlossen würden. Wie sich später herausstellte, war die Ankündigung etwas zu forsch. Es ging lediglich darum, die Grenzkontrollen wieder zu verschärfen. Aber der Lapsus des Präsidenten versinnbildlicht einen politischen Wettlauf, der seit den Anschlägen vom 13. November im Gange ist. Es ist ein Rennen mit einer Gegnerin, die keine Regierungsverantwortung trägt und deren Radikalität Hollande nicht übertreffen kann und will: Marine Le Pen, die Chefin des rechtspopulistischen Front National.
Wahlbeteiligung vermutlich höher als vor fünf Jahren
"Ich vertraue den Wählern", sagte Le Pen nach der Stimmabgabe in der Hochburg des Front National, Henin-Beaumont im Norden des Landes. "Sie haben unsere Arbeit gesehen, deswegen kommen sie zu uns." Jüngsten Umfragen zufolge könnte der Front National nach der ersten Runde in bis zu sechs der ab Januar nach der Reform noch 13 Regionen vorne liegen. Für die zweite Runde qualifizieren sich alle Parteien, denen der Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde gelingt. Dies dürften neben den Rechtsextremen sowohl die Sozialisten als auch die Republikaner schaffen. Doch die Sozialisten von Präsident Francois Hollande, die derzeit in der Mehrheit der Regionen regieren, werden Umfragen zufolge die meisten an die Republikaner von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy oder den Front National verlieren.
Bei der ersten Runde der Regionalwahlen in Frankreich zeichnet sich eine leicht bessere Beteiligung ab. Nach Angaben des Innenministeriums in Paris lag die Beteiligung bis zum Mittag (12.00 Uhr) bei 16,27 Prozent. Vor fünf Jahren waren es zu diesem Zeitpunkt 16,07 Prozent, bei der Regionalwahl 2004 gaben bis zum Mittag 18,48 Prozent ihre Stimmen ab. Rund 44,6 Millionen Franzosen können über die Machtverhältnisse in den neu gebildeten Regionen bestimmen.
Der Terror hat das Lebensgefühl tiefgreifend verändert
Nun wäre es ungerecht, wenn man die Ereignisse in Frankreich seit dem 13. November nur vor der Folie der an diesem Wochenende stattfindenden Regionalwahlen deuten würde. Der von Hollande verhängte Ausnahmezustand, die Durchsuchungen, die Ausweitung der Luftschläge in Syrien, die Tötung des Terrordrahtziehers Abdelhamid Abaaoud in einer Wohnung in der Pariser Vorstadt Saint-Denis – all dies sind, ob man sie nun nachvollzieht oder nicht, in erster Linie Reaktionen eines wehrhaften Staates im Angesichts des Terrors. Andererseits wäre es aber auch weltfremd, wenn man glauben würde, dass die Aussicht auf die Regionalwahlen in den zurückliegenden drei Wochen keinen Einfluss auf das Handeln von Hollande und seines Regierungschefs Manuel Valls gehabt hätte. Hollande muss schon unmittelbar nach den Anschlägen geahnt haben, dass die Attentate seiner Partei, den regierenden Sozialisten, schaden und dem Front National nutzen würden.
Wenn man verstehen will, wie tiefgreifend die Anschläge das Lebensgefühl der Franzosen verändert haben, reicht es schon, wenn man einen Blick auf die jüngsten Anti-Terror-Maßnahmen von Valls’ Regierung wirft. Am vergangenen Freitag begann die Regierung mit der Verteilung von Merkblättern, auf denen das richtige Verhalten nach möglichen Terroranschlägen dargestellt wird. Die Hinweise, die nun in Museen, Stadien und Kaufhäusern angebracht werden, enthalten Grundregeln fürs Überleben: Vom Tatort flüchten, sich verstecken, Hilfe holen.
In Deutschland hat Bundespräsident Joachim Gauck nach den Anschlägen in seiner Rede zum Volkstrauertag gesagt, dass wir in Zeiten lebten, in denen „Opfer einer neuen Art von Krieg“ zu beklagen seien. Der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich besteht allerdings darin, dass die Anschläge vom 13. November die französische Gesellschaft in eine Art Dauerstress versetzt haben, den man sich hierzulande nur schwer vorstellen kann
Für Hollandes Sozialisten hat die in Frankreich grassierende Angst gravierende Folgen. Im politischen Lehrbuch heißt es zwar, dass sich die Bevölkerung in Zeiten der Krise automatisch den Regierenden zuwendet. Tatsächlich verzeichnet Hollande derzeit einen ähnlichen Popularitätszuwachs, wie er ihn schon einmal dank seines entschlossenen Handels unmittelbar nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ verzeichnete. Allerdings haben seine sozialistischen Parteigenossen, die am Sonntag bei der ersten Runde der Regionalwahlen antreten, nichts davon. Für die Regierungspartei zeichnet sich ein Debakel bei der Wahl ab. Im zweiten Wahlgang in einer Woche könnte es Marine Le Pen gelingen, mindestens zwei der 13 Regionen zu erobern. Dies wäre ein bislang nie dagewesener Triumph der Rechtspopulisten, denen die Wirtschaftsmisere in Frankreich schon seit Jahren Wähler zutreibt, die zu den Krisenverlierern gehören.
Die einfachen Rezepte der Populisten finden Gehör
Und nun scheint Marine Le Pen auch noch im großen Stil von der Terrorpanik zu profitieren. Nach dem 13. November ist es für sie ein leichtes, die Anhängerschaft des Front National zu mobilisieren. Denn in Zeiten der Angst sind es vor allem die einfachen Rezepte der Populisten, die in der Bevölkerung Gehör finden: Die Grenzen noch schärfer überwachen, Flüchtlingen den Weg ins Land komplett versperren, das Schengen-System abschaffen, den Radikalislamisten Fußfesseln anlegen. Wenn es darum geht, die Wähler mit möglichst drastischen Forderungen zu locken, kann François Hollande gegenüber den Rechtspopulisten nur den Kürzeren ziehen. Stattdessen versucht Frankreichs Präsident, sich als Staatsmann zu inszenieren. Es war gewiss kein Zufall, dass er sich zwei Tage vor der ersten Runde der Regionalwahl auf dem Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ vor der Küste Syriens ablichten ließ.
Marine Le Pen bestimmt zwar nicht die politische Agenda Frankreichs, aber es gelingt ihr doch, die regierenden Sozialisten vor sich her zu treiben. Aus deutscher Sicht birgt dies das Risiko, dass Frankreich für Kanzlerin Angela Merkel in der Europapolitik zunehmend zu einem unsicheren Kantonisten werden könnte – etwa in der Flüchtlingspolitik oder der Frage offener Grenzen in Europa.
Die Wahllokale haben in der Regel bis 18.00 Uhr geöffnet. Im Raum Paris kann bis 20.00 Uhr gewählt werden. Erste Prognosen werden ein bis zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale erwartet. Gewählt wird auch in mehreren Überseegebieten. (mit Reuters, dpa)
Albrecht Meier