Machtkampf in der AfD: Frauke Petry, die Besessene
Der Freund und Parteikollege preist ihre dämonische Schönheit, Parteikader nervt Frauke Petrys unbändiger Ehrgeiz. Nie war die AfD-Chefin so umstritten wie jetzt – doch auf den Machtkampf ist sie vorbereitet.
Am Ende stehen die beiden nicht Hand in Hand, aber nahe beieinander. Sie sehen aus wie ein Turnier-Tanzpaar nach ihrem finalen Auftritt. Er mit verschwitztem Hemd und nassen Haaren, sie im dunkelblauen Kleid und hochhackigen Schuhen um Atem, Contenance und ein strahlendes Lächeln bemüht. Donnernder Applaus, Standing Ovations und Gejohle aus dem Publikum sind die Noten, die sie für ihren Auftritt erhalten an diesem späten Freitagabend in einem völlig überfüllten Saal in Nauen, Brandenburg, bei einer Veranstaltung mit dem Titel: „Ist Deutschland noch zu retten?“
Wie dieses Paar funktioniert und dass es den Anspruch erhebt, unverzichtbarer Bestandteil der Alternative für Deutschland (AfD) zu sein, kann man hier gut beobachten. Marcus Pretzell, Europaabgeordneter und Landesvorsitzender des mitgliederstärksten Verbandes in Nordrhein-Westfalen und Frauke Petry, Bundesvorsitzende und Chefin des Landesverbandes Sachsen, sind auch privat ein Paar. Beide bringen vier Kinder in die Lebensgemeinschaft ein – beide wollen die AfD in den Bundestag führen. Wenn man sie lässt.
Schließlich fragen sich ja jetzt einige eher: Ist die AfD nach den Ereignissen der letzten Tage noch zu retten?
Am Fuße der Bühne erklärt Pretzell den verbliebenen Gästen noch einmal persönlich die Welt, unter ihnen Polizisten, schwule Pärchen, national Gesinnte, streng gläubige Christen und sehr viele Menschen über 60 Jahre. Vier Holzstufen weiter oben wartet Petry wie ein Popstar darauf, dass die Bodyguards jeweils eine Person vorlassen aus einer Schlange, in der die Bürger artig warten, um Selfies mit der Spitzenfrau der AfD zu machen.
Nach 30 Minuten disziplinierter Höflichkeit steht Frauke Petry, 41 Jahre, gegen 21 Uhr noch in der hintersten Ecke in ein Gespräch vertieft. Sie redet über den Machtkampf in der AfD. Zwei Stunden lang hat sie sich dazu keine Emotion anmerken lassen, hat das Thema so gut es ging ausgeblendet, hat wie so häufig die Schuld bei anderen gesehen und gesagt: Man dürfe öffentlich nicht über Interna reden, einige Kollegen aber müssten das noch lernen. Doch jetzt bricht Etwas aus ihr heraus, das sie offensichtlich sehr bewegt. Die wollen „mich verbrennen“. Die – damit meint sie ihre Parteifreunde.
Nach der vergangenen Woche scheint es möglich zu sein, dass die AfD vor ihrem größten politischen Triumph, das wäre der Einzug in den Deutschen Bundestag, doch noch zerbrechen könnte: an persönlicher Hybris? An einem internen Krieg, der aus nichts anderem gespeist zu sein scheint als persönlicher Antipathie? Ist ausgerechnet die AfD-Vorsitzende, selbst sehr gut geschult in der Kunst der Intrige, bald die Erledigte?
In dieser Woche wollte sie den Konflikt um den mit antisemitischen Schriften aufgefallenen Abgeordneten Wolfgang Gedeon im baden-württembergischen Landtag persönlich klären. Der Versuch endete in einem Showdown mit ihrem Co-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, auch Landes- und Fraktionschef. Der Bundes-Vize soll Petry sogar eigenhändig aus der Fraktion geschoben haben. Petry dagegen erzählt, dass sie aus der Fraktion bekniet worden sei zu kommen, um den Dauerkonflikt zu beenden.
In Wahrheit haben die wichtigsten Protagonisten der Partei immer schon gegeneinander agiert und dabei gern mal die Seiten gewechselt. Frauke Petry ist das gewohnt, vor einem Jahr war sie es, die in der Allianz gegen den Gründer und Ex-Parteichef Bernd Lucke zur Siegerfraktion gehörte. Schon vor dem Konflikt in Baden-Württemberg, der sich darum drehte, ob Gedeon auszutreten hat oder nicht, hatte sich mal wieder solch ein Bündnis gefunden: Brandenburgs Landeschef und stellvertretender Bundesvorsitzender Alexander Gauland, Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und Meuthen hatten sich mit Journalisten getroffen, um ihnen zu erzählen, was Petry alles falsch mache. Und dass Petry, wegen ihres Eigensinns, vielleicht die Falsche sei. Wer sich dann bei Parteifunktionären umhörte, erfuhr, dass Petry immer mehr fremdgesteuert erscheine und dass sie im Vorstand oft sage: Fragt den Marcus.
In Nauen, wo schon der Generalsekretär der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) auf AfD-Einladung sprach, zeigt sich, worin die eigentliche Anziehungskraft der Partei besteht: Sie deckt mit ihren Themen und Thesen von extrem rechts bis zur gemäßigten Mitte alles ab. Von der Europapolitik, der Familienpolitik bis zur Genderdebatte ist alles dabei. Petry ist diejenige, die der wachsenden Staats- und Parteienskepsis ein populäres Gesicht gibt. Das sagen auch Gauland, Meuthen oder Höcke. Sie alle wissen, dass sie selbst keine Alternative sein können. Der eine ist zu alt, der andere will aus familiären Gründen nicht einmal in den Bundestag, und der Dritte repräsentiert nur die Rechtsaußen.
Lesen Sie, was auf dem Landespartei in Brandenburg geschah
Am Samstag in Brandenburg auf dem Landesparteitag der AfD ist wiederum zu sehen, was für die Petry-Gegner möglich ist. Eher wenig. Die Bundesvorsitzende ist zum Grußwort geladen und trifft nach den verbalen Attacken ihrer Kritiker erstmals auf Gauland. Er empfängt die Frau, von der viele sagen, dass er sie lieber stürzen würde, mit einem Handkuss. Petry lacht, parliert, wirkt gelöst. Dann sitzen beide plaudernd in der ersten Reihe nebeneinander, als wäre nichts geschehen. In ihrer Rede ruft Petry zur Geschlossenheit der Partei auf, sagt aber wie in Nauen kein Wort zu den Konflikten. Andere dagegen, wie etwa André Poggenburg, Landeschef aus Sachsen-Anhalt, werden deutlich. Es sei klar, dass die AfD durch Baden-Württemberg in der Außenwirkung nicht gepunktet habe. Gauland warnt vor „Grenzüberschreitungen, die zu einem politischen K.O. führen können, und Antisemitismus ist eine solche Grenzüberschreitung“.
Petry, die ohne Namen Angesprochene, lässt sich nichts anmerken. Als Gauland, der eigene Fehler eingesteht und damit verbal wieder abrüstet, auf die Führungskämpfe im Bundesvorstand eingeht, beginnt Petry ein neues Handy auszupacken und in Betrieb zu nehmen.
Inhaltlich gibt es zwischen dem nationalen Höcke, dem gemäßigten Meuthen, dem Intellektuellen Gauland und dem Inszenierungskünstler-Paar Pretzell/Petry zwar unterschiedliche Nuancen, aber die Schlagrichtung ist gleich. Schon am Tag zuvor hat das das hat der Einspielfilm in Nauen deutlich gemacht: Das hatte sich schon tags zuvor in Nauen gezeigt. Die AfD sieht sich in ihrem Selbstverständnis an der Seite einer neuen europäischen Bewegung, von Marine Le Pen über Geert Wilders bis zur österreichischen FPÖ. „Wir sind nicht allein“, flüstert ein Zuschauer seinem Freund zu.
Pretzell sagt in Nauen, man sei nicht „Feind Europas“, Europa müsse nur anders funktionieren, als Europa der Wahlmöglichkeiten und der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Seine Lektion ist ein bauernschlaues ABC für Europa-Skeptiker, denen man knackig erklärt, warum sich Austritt aus der EU und europäischer Binnenmarkt prima miteinander vertragen. Pretzell spricht leise, langsam, mit viel Ironie, was mutig erscheint vor diesem Publikum. Aber zwischendurch liefert er Ressentiment- und Rassismus-Häppchen. Die Zuschauer danken es mit lauter Zustimmung. „Solange wir glauben, ein afrikanischer Trommelkurs ist cooler als der Heimatverein, werden wir unsere Identität nie wiederfinden.“
Sie soll böse genug wirken, um gegen die da oben anzukommen
Dann kommt Frauke Petry auf die Bühne, und es gibt einen erstaunlichen Effekt, den man sonst vermutlich nur bei Helene Fischer beobachten kann. Die Alten und die Jungen, die Singles und die Pärchen, in ihrem Fall die Rechten wie die Gemäßigten, können sich hinter ihr versammeln. Sie ist populistisch, rassistisch, intellektuell und immer wieder sehr persönlich – die Zuhörer finden diesen Mix offenbar anziehend.
Einer sagt: „Sie sieht nicht nur gut aus, sie ist auch sehr klug.“ Ein anderer fürchtet sich davor, dass sie sich zu sehr mit den Funktionären in der Partei „zerfleische“. Eine Frau findet, die anderen Parteien unterstellten dem deutschen Volk, es sei dumm, Frauke Petry aber könne es der Frau Merkel zeigen. Auf Augenhöhe.
Vor einigen Wochen wurde öffentlich viel gelacht über das Paar aus Petry und Pretzell. Beide hatten der „Bunten“ ein Interview gegeben, und ein Satz machte danach die Runde durch alle soziale Netzwerke und andere Medien. Pretzell hatte über seine Freundin gesagt: „Sie hat so etwas dämonenhaftes Schönes.“ Man kann diesen Satz missverstehen und sich lustig machen, sicher können sich Frauen schönere Komplimente vorstellen. Doch wer die beiden Agieren sieht, zweifelt nicht daran, dass dieser Satz ein Instrument war, um ein Bild von Petry in der eigenen Anhängerschaft und bei denen zu verankern, die die Partei gerne als Anhänger hätte. Der Satz übersetzt das, was die Leute fühlen sollen: Diese Frau ist schlau und mächtig, ist böse genug, um gegen die da oben anzukommen!
Sie sieht sich in der Tradition eines Immanuel Kant
Petry spricht nie laut, immer konzentriert, reglos im Gesicht, nur die Lippen stülpen sich bei jeder Satzpause einmal. Ein Tick, der ihre innere Nervosität sichtbar macht. Ihre Rede ist nicht so klar wie seine, der rote Faden ist schwerer erkennbar, aber das macht nichts, die Leute verstehen es auch so. Es geht um den vermeintlichen Verlust der deutschen Kultur und Identität, Petrys Schlüsselthemen. Statt Fernsehen empfiehlt sie am Abend mit den Kindern zu singen, „Die Gedanken sind frei“ etwa oder „Der Mond ist aufgegangen“. Gerade weil es so schick sei, Weltbürger zu sein, und eben nicht Deutscher, gehe die deutsche Leitkultur verloren.
Zu wenig deutsche Lieder im Radio, zu wenig Deutschunterricht in der Schule, Englisch als Sprache in deutschen Universitätsseminaren, und schließlich „Einladungen“ an die Migranten auf staatlichen Webseiten „in allen Sprachen der Welt“. Petry schlussfolgert: Integration könne ohne deutsche Leitkultur nicht gelingen. Soweit zum roten Faden – dann beweist sie, dass sie auch den ultranationalen Rassismus eines Björn Höcke beherrscht. Sie stellt, eine wiederkehrende Methode, absolute Behauptungen auf, beispielsweise sei der Islam nicht „grundgesetzkompatibel“. Das versteht zwar niemand, aber es wird geklatscht. Schließlich streut sie Gerüchte und Vorurteile, die wie Fakten erscheinen sollen: Muslime, die in Flüchtlingsheimen christliche Gebetsräume verwüsten, die beim Essen mit Tellern schmeißen und alles vollschmieren. Und der deutsche Staat? Wolle demnächst sogar Ehen mit Minderjährigen erlauben. Empörte Buh-Rufe, Petry sagt: „Die Angst vor dem Fremden ist ein natürlicher Überlebenstrieb.“
Sie glaubt, die AfD sei das demokratische Rückgrat der Gesellschaft
Im kaum durchschaubaren Dauerkonflikt der AfD wird Petry auch vorgeworfen, dass sie keine reine Opposition sein, sondern mitregieren wolle. Dass sie das will, ist nicht umstritten, das sagt sie ja selbst. Doch hinter diesem vermeintlichen Richtungsstreit steckt die eigentliche Facette des Konfliktes mit ihr. Es ist ihr Alleinvertretungsanspruch, der erhobene Besserwisserfinger und ihr Ehrgeiz, der die anderen nervt. Am Ende ihrer Rede blitzt diese mühsam versteckte Arroganz auf. Petry stellt sich in die Tradition von Immanuel Kant, in die „Tradition der Aufklärung“, wie sie sagt. Kant habe dazu aufgerufen, sich des Verstandes zu bedienen. „Nehmen Sie das mit nach Hause!“, ruft sie. Und es klingt so, als habe Frauke Petry die Dinge schon kapiert, nur alle anderen eben noch nicht.
Petrys Leben ist von einigen Brüchen gekennzeichnet, die auch andere Biografien enthalten. Aber jeder zieht eben seine Schlüsse aus dem Erlebten. Aufgewachsen in der DDR, später, der Vater blieb schon 1989 im Westen, mit der Familie in Nordrhein-Westfalen. Abitur mit 1,1, Jahrgangssprecherin, Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes, Chemie-Studium in England, Promotion in Deutschland, vier Kinder mit ihrem Ehemann, dem Pfarrer Sven Petry, von dem sie nun getrennt lebt.
Sven Petry ist in die CDU eingetreten. Seine Frau bezeichnet die AfD als das „demokratische Rückgrat Deutschlands“, er sagte der „Zeit“: „Jede Partei überhebt sich, wenn sie glaubt, allein das demokratische Rückgrat zu sein.“ Er meinte sie.
Eine Konstante im Leben von Frauke Petry ist offenbar die Distanz, die Skepsis, ja vielleicht die Wut auf das, was sie für das „System“ hält. Das System jedenfalls und ihre Repräsentanten, das ist eine ihrer Grundüberzeugungen, haben die Deutschen verraten und verkauft.
Als sich in Nauen ihre Rede dem Ende nähert, spürt man ihre Getriebenheit. Unter größtem Jubel setzt sie ein Ziel aufs nächste: 2017 stärkste Opposition im Bundestag, 2022 etablierte Kraft, danach „streben wir an, stärkste Partei in Deutschland zu werden“.
Träumt sie von der Kanzlerschaft?
Auf der höherliegenden Bühne, als die meisten Gäste schon aus dem stickigen Saal geeilt sind, redet Marcus Pretzell über die Zukunft. Die Spitzenkandidatur, und damit auch der aktuelle Streit, sei völlig irrelevant, findet er, weil „Frauke die unangefochtene Nummer eins“ sei. Offizielle Spitzenkandidatin müsse sie dafür nicht werden. Da tritt seine Freundin hinzu, ein bisschen breitbeinig, das Kreuz durchgedrückt, die Lippen noch einmal geschürzt. Pretzell sagt, wenn jemand in der Partei jetzt unbedingt eine Entscheidung wolle, weil der Leidensdruck so hoch sei, dann werde es auch eine Entscheidung geben. „Wir sind bereit.“ Frauke Petry lächelt.
Mitarbeit Thorsten Metzner