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Eine Frau bei einer Anti-Trump-Demo in Berlin. Sie trägt ein Kopftuch. Eine Muslima? Möglich, aber nicht wichtig.
© Gregor Fischer/dpa

Berliner Neutralitätsgesetz: Frauen mit Kopftüchern sind auch nur Menschen

Das jüngste Gerichtsurteil zum umstrittenen Stoff im Schuldienst ist ein Anfang - und das Ende vom Berliner Neutralitätsgesetz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Wer die Ignoranz der Herrschenden für geltendes Verfassungsrecht geißeln möchte, muss den Blick dafür nicht ins Ausland richten. Berlin kann das auch, schon länger. Hier verteidigen die Politiker ein Landesgesetz, das nach dem Grundgesetz unhaltbar ist. Es sind die Vorschriften für den strikten Ausschluss von Frauen mit Kopftüchern aus staatlichen Lehr-, Justiz- und Polizeiberufen.

Seit das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren seine Rechtsprechung dazu neu justiert hat, ist dem so genannten Neutralitätsgesetz jedenfalls für den Schuldienst der Boden entzogen. Die Richter hatten die Glaubensfreiheit betont und solche Verbote nur für zulässig befunden, wenn der Schulfriede konkret bedroht ist. Anzeichen dafür gibt es keine, nirgendwo. Weder in Berlin noch in anderen Bundesländern, in denen Frauen mit Kopftüchern lehren.

Jetzt hat das Berliner Landesarbeitsgericht einer Frau eine Entschädigung zugesprochen, weil sie wegen ihrer Kopftuchs nicht in den Schuldienst durfte. Die Richter waren freundlich mit dem Senat. Sie hätten das Gesetz in Karlsruhe vorlegen sollen, wo es in der Luft zerpflückt worden wäre. Aber im Grunde taten sie dasselbe, nur mit milderen Mitteln. Im Wege der Auslegung machten sie die Ausnahme zur Regel und verkehrten das Gesetz in sein Gegenteil.

Strategie sollte sein, das Kopftuch, neben anderen Integrationshindernissen, peu à peu unwichtiger zu machen und sich, wie in der Pädagogik üblich, mehr auf das zu fokussieren, was darunter steckt: nämlich der Mensch.

schreibt NutzerIn yoda

Das Urteil wird für den Senat absehbar das bedeuten, was für ihn auch das Karlsruher Urteil bedeutet hat: nichts. Die Koalitionspartner wollen vielleicht anderes, aber die SPD nicht. Sie weiß sich im Einklang mit vielen Lehrern und Bürgern, die gegen Menschen mit Kopftüchern, wie sie in Berlin zu Zehntausenden herumlaufen, oder gegen ihren Einsatz im Staatsdienst eine politisch vielfältig begründete Abneigung hegen.

In der Verfassung ist viel von Freiheit die Rede

Sie müssen sich aber allesamt fragen lassen, wie sie es mit dem Respekt vor den höchsten demokratischen Werten halten, auf denen sich ein Staat gründen kann, denen der Verfassung. Von Freiheit steht da viel, von Neutralität wenig. Anders gesagt: Lehrerinnen mit Kopftuch müssen bundesweit über kurz oder lang in den Schuldienst aufgenommen werden. Verbote sind erst dann wieder zulässig, wenn es deshalb zu massiven Störungen kommt oder sie sich abzeichnen.

Das sind keine Vorgaben weltfremder Richterpersönlichkeiten, sondern es handelt such um Lockerungsübungen für eine bei diesem Thema verhärtete Stadtgesellschaft. Integration heißt nicht, den Anfängen zu wehren, sondern sie als das zu nehmen, was sie sind. Anfänge. Berlin mit seinen rigiden Vorschriften steht genau dort. Lehrerinnen mit Kopftuch sind ein Anfang. Danach könnten es auch Berufe in der Rechtspflege sein. Den klugen und begabten Frauen an den juristischen Fakultäten der Stadt zu erklären, dass es für sie faktisch ein weitgehendes Berufsverbot gibt, fällt Dozenten zunehmend schwer. Berlin könnte hier vorangehen, statt mal wieder als Schlusslicht vor sich hinzufunzeln.

Das Kopftuch taugt nicht mehr als Banner politischer Schlachten. Es ist einfach da, wie die Frauen, die es tragen, aus welchen Motiven auch immer. Eine Politik, die Fakten schätzt, sollte damit umgehen. Gehen wir auf die Frauen zu. Integration kann so einfach sein.

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