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Unterwürfig. Je mehr Macht Staatschef Erdogan an sich reißt, desto mehr wird er von seinen Anhängern verehrt.
© Thilo Schmuelgen/Reuters

Demo für Erdogan in Köln: Frauen, Kinder und Faschisten

Zehntausende jubeln und beten für ihn in Köln: Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei wird Präsident Erdogan auch in Deutschland gefeiert wie ein Popstar. Den Faschisten ist er noch zu lasch. Eine Reportage.

Bastarde, Verräter, Huren! Deniz spricht laut, denn um ihn herum hallt der Ruf: Türkiye, Türkiye, Allahu Akbar! Und immer wieder auch: Lügenpresse, Lügenpresse! Tausende Fahnen, weißer Halbmond auf rotem Stoff, flattern im Wind. Und über allem kreist ein Hubschrauber der Polizei.

Sonntag in Köln, nahe dem Rheinufer nieselt es. Für Deniz, ausrasierter Nacken, schwarze Tolle über der Stirn, enges Hemd, ist das der wichtigste Tag seit Jahren. Diese Bastarde, sagt Deniz, müsste man aufhängen, sonst versuchen sie es wieder. Sie – das sind für ihn die gescheiterten Putschisten von Ankara, feige Verräter, keine wahren Türken.

Deniz ist 22 Jahre alt und steht am Ufer der Deutzer Werft. Sonst findet hier die Kirmes statt. Heute ist es der Schauplatz der größten Huldigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan auf deutschem Boden. Weil die Teilnehmerzahl viel über das deutsche-türkische Verhältnis aussagt, teilt die Stadt Köln zunächst vorsichtig mit: 20.000 Männer, Frauen und Kinder hätten sich in Deutz am rechten Rheinufer gesammelt. Tatsächlich sagt am Abend auch die Polizei, es seien wohl eher 30.000 bis 40.000 Demonstranten gewesen.

Weil sich die Massen stauen, klagen einige über Schwindel, Erschöpfung und Atemnot. Eine Frau kollabiert, Sanitäter eilen ihr zur Hilfe. Busse aus Krefeld, Hannover und Stuttgart laden Menschen in Kemal-Atatürk-T-Shirts und Erdogan-Schals ab. Die meisten halten die rot-weißen Flaggen an Alu-Stangen in der Hand. Auf einer nahen Wiese knien sich drei Männer zum Gebet.

Wer das Meer der flatternden Fahnen sieht und den aus Ankara eingeflogenen Sportminister Akif Cagatay Kilic, wie er die Massen begeistert, aufpeitscht, der hat keinen Zweifel: Dieser Tag ist ein Erfolg für Erdogan. Organisiert hat die Kundgebung die „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“, die UETD. Der Verein gilt als Auslandssektion der türkischen Regierungspartei AKP.

Der Aufmarsch ramponiert das deutsch-türkische Verhältnis. Und das will nach der Armenienresolution etwas heißen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD hatte die Deutschtürken mit Blick auf Köln zur Besonnenheit aufgerufen. Der Kölner Polizeipräsident, Jürgen Mathies, musste seinen Italienurlaub abbrechen.

An diesem Sonntag befehligt Mathies fast 3000 Beamte. Straßen sind gesperrt, Scharfschützen, Wasserwerfer, Spürhunde und Räumpanzer stehen bereit. Aus Justizkreisen heißt es, zahlreiche Rechts- und Staatsanwälte seien in Bereitschaft und jederzeit erreichbar: Ausschreitungen, Besetzungen, Geiselnahmen. Alles scheint möglich, auch wenn es bis zum Abend wohl nur einen ernsten Zwischenfall gibt: Je fast 100 rechte Türken und linke Kurden sind in der Kölner Innenstadt aufeinander losgegangen. Die Türken sollen noch Rauchbomben gezündet haben, dann ging die Polizei dazwischen.

Und die Polizei trennt nicht nur Erdogan-Fans von Erdogan-Kritikern. Unter den AKP-Gegnern am linken Rheinufer müssen auch Rechtspopulisten von Autonomen ferngehalten werden. Kurdische Verbände verzichteten auf eine eigene Kundgebung, sie wollen offenbar ihr militantes Image loswerden.

Drei Millionen Menschen türkischer Herkunft leben in der Bundesrepublik. Die Demonstration hier ist das bislang deutlichste, sichtbarste Symbol einer Spaltung sowohl in der deutschen Gesellschaft als auch in der türkischstämmigen Community. Sie verschärft den Streit zwischen AKP-nahen Sunniten und säkularen Kemalisten, rechten Nationalisten und linken Aleviten.

In Köln haben sich auch Getränkeshops und Bäckereien herausgeputzt – mit akkurat in die Fenster gehängten Türkeiflaggen. Deniz wurde in Dortmund geboren. Er wohnt in Köln bei seinen Eltern, will eine Ausbildung zum Kaufmann beginnen und gern ein Restaurant aufmachen. Die Türkei kennt Deniz nur aus Urlauben, den Erzählungen seiner Eltern und dem Fernsehen. Er spricht besser Deutsch als Türkisch. Und trotzdem sagt er: Mein Präsident ist Erdogan. Meine Heimat ist die Türkei. Meine Feinde sind – da muss er etwas ausholen – die Zionisten, die Kommunisten, „die Parallelorganisation“.

Der türkische Sportmyinister Akif Cagatay Kilic spricht vor Anhängern des türkischen Staatspräsidenten Erdogan.
Der türkische Sportmyinister Akif Cagatay Kilic spricht vor Anhängern des türkischen Staatspräsidenten Erdogan.
© dpa

Wie viele regierungstreue Türken meint Deniz mit „Parallelorganisation“ das angebliche Netzwerk des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen. Erdogan sagt, Gülens konspirative Anhänger steckten hinter dem Putsch. Und nutzt das, um zügig Zehntausende festzunehmen. Religiöse, Säkulare, Journalisten, Lehrer, Militärs, Richter. Deniz will die Gülen-Jünger hängen sehen, weil sie den Erfolg der Türkei gefährdeten: „Diese Huren, die wollen aus uns eine Kolonie machen.“ Wessen Kolonie eigentlich? „Unserer Feinde.“

Konkreter wird er nicht. Es scheint aussichtslos, den türkischen Nationalismus dieser Tage verstehen zu wollen. Zur Demo kommen nun vier Türkinnen, zwei mit, zwei ohne Kopftuch. Sie seien aus Duisburg angereist. Und haben sich wie viele hier einen Ideologiemix zurechtgelegt, der sich offenbar gut mit dem Erdogan-Kult kombinieren lässt: Muslimische Gottesfurcht – „es gibt nur einen Gott“, Staatsgläubigkeit – „man muss das Vaterland in Ehren halten“, Antisemitismus - „die Zionisten wollen die Türkei klein machen“. Dann fotografieren sich die Mädchen vor einer Flagge.

Der Hubschrauber steigt höher, die Sprechchöre werden lauter: Türkiye, Türkiye! Deniz lässt den Blick schweifen. Hunderte Kopftücher sind in einer Kolonne ankommender Besucher zu sehen. Scheinbar aus allen Deutzer Gassen strömen Menschen mit rot-weißen Fahnen zum Ort der Kundgebung. „Schon geil“, sagt Deniz, „wie viele wir sind. Unser Land hat das verdient.“

Ein Polizeiführer sagt am Rande des Aufmarsches: „Das ist Regierungspolitik mit anderen Mitteln, das hätte niemals als übliche Demo erlaubt werden dürfen.“ Aus einem Industriegebäude in der Nähe beobachten Männer mit Ferngläsern die Marschierenden mit ihren Flaggen, vielleicht Polizisten. Unter den Demonstranten sind jedenfalls Zivilfahnder unterwegs, auch viele, die Türkisch sprechen. Sie sollen die Stimmung einschätzen, volksverhetzende Reden erkennen, bei Festnahmen besser reagieren können. Bisher ist viel über die Opfer von Erdogans Herrschsucht geschrieben worden. Doch wenig über die Einpeitscher, diejenigen, die sich für Erdogan prügeln würden, oder gar solche, denen der AKP-Chef noch zu lasch ist.

Deniz ist wohl nur rhetorisch ein Hardliner. Unter den Demonstranten gibt es noch ganz andere: Anhänger einer Großtürkei, in der alle turksprachigen Völker von Bosnien bis nach Kasachstan vereint sind. Fans eines Volksstaates, in dem für Juden, Schwule und Linke kein Platz ist. Am Rheinufer sind auch libanesische, palästinensische, albanische Flaggen zu sehen. „Wir sind doch alle Muslime“, sagt ein Jugendlicher mit Bartflaum unter der Nase. „Wir sind alle mit Gott.“ Und sonst? „Das Osmanische Reich war das beste Land der Welt.“ Woher der Junge, keine 17, das hat, kann er selbst nicht erklären.

Und so wird eben deutlich, dass Politik auch aus Gefühlen gemacht wird, nicht Analysen. Kurden sind dann schnell „Terroristen“ oder „Babymörder“, Journalisten „lügen“ oder werden, so erzählen es sich viele hier, „vom BND bezahlt“. Deniz muss zwei Bärtige beruhigen, die der „Lügenpresse“ in gebrochenem Deutsch drohen, heute mal durchzugreifen.

Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan schwenken türkische Fahnen.
Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan schwenken türkische Fahnen.
© dpa

Er versucht, einen Freund anzurufen. Das Handy kommt nicht durch, das Netz ist wegen der Zehntausenden aktiven Telefone überlastet. Den Freund findet er trotzdem noch, vor einem der Dixi-Klos. „Zeig’ mal, Alter“, fordert Deniz ihn auf. „Das soll die Presse ruhig sehen!“

Der Freund zieht das T-Shirt hoch: Auf der Brust prangt ein heulender Wolf – der Rücken durchgestreckt, die Schnauze nach oben, darüber der Halbmond. Das Tattoo ist scharf gestochen, ästhetisch, die Brust des jungen Mannes trainiert. Doch es ist das Symbol der Grauen Wölfe. Und von denen sind an diesem Tag Tausende in Köln unterwegs.

Unter dem Begriff „Graue Wölfe“, der aus der türkischen Mythologie stammt, werden militante, muslimisch-nationalistische Türken zusammengefasst. Dass ausgerechnet sie sich einer regierungsnahen Demo anschließen, ist bemerkenswert. Denn eigentlich unterstützen die Rechtsradikalen in der Türkei die MHP, und die konkurriert mit Erdogans AKP um Wählerstimmen. Noch sind solche breiten Allianzen ungewöhnlich. Der Polizeiführer sagt: „Ich sehe schwarz.“

In Deutschland sind rechtsradikale Türken zuletzt aktiver geworden. In den vergangenen drei Jahren hat es Sicherheitsexperten zufolge hunderte türkisch-nationalistisch motivierte Taten gegeben. Viele Vorfälle, etwa Schutzgelderpressungen, würden nur nicht angezeigt. Doch auch die Zahl der offiziell registrierten Vorfälle stieg. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden 2013 noch 19 Delikte mit türkisch-islamistischem Bezug erfasst, 2014 waren es 47, 2015 sogar 63. Dabei kann es sich zum Beispiel um Volksverhetzung, Landfriedensbruch oder Körperverletzung handeln. Das BMI teilte mit, Taten deutscher Staatsbürger mit türkischen Wurzeln seien dabei gar nicht erfasst, ebenso fehlten Taten, denen kein Verdächtiger zugeordnet wurde.

Sich selbst bezeichnen die Ultrarechten als „Idealisten“ – klingt ja auch netter. Doch die Idealisten sprechen nicht gern mit der Presse. Egal bei welchem der Vereine dieser Szene man anruft.

Nur ein einziger Vertreter der Szene stimmt ein paar Tage vor der Kundgebung in Köln einem Treffen zu. Fatih Oguz, 35 Jahre, ist in Duisburg geboren, in Dinslaken aufgewachsen. Oguz trägt Schnauzbart und erscheint trotz 30 Grad Hitze in einem engen Anzug samt Krawatte am Berliner Hauptbahnhof. Oguz ist Generalsekretär der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland“, die bundesweit bis zu 10.000 Anhänger hat. Genaues will er dazu nicht sagen. Die Föderation wird vom Verfassungsschutz beobachtet, Politiker, Sozialarbeiter und Ermittler werfen ihr Antisemitismus, Rassismus sowie Integrationsverweigerung vor.

„Wir lehnen Gewalt ab“, sagt Oguz. „Wir werden am Sonntag friedlich in Köln demonstrieren.“ Man stehe in diesen schweren Monaten hinter dem Land. „Der Staat ist für uns wie ein Vater.“ Man spreche zwar auch in Köln, Berlin oder Rostock gelegentlich von Vaterland, aber in der Türkei tue man das viel emotionaler. „Wir wollen“, sagt Oguz, „dass die Türkei eine freie Republik bleibt.“ Dürften bei ihnen also auch Schwule und Juden mitmachen? Räuspern, Griff an die Krawatte, dann: „Wir stehen für Familie, Kinder, Islam.“ Mehr sagt Fatih Oguz dazu nicht.

Recht extrem. An der Kundgebung nehmen auch türkische Nationalisten teil, das Erkennungsmerkmal der „Grauen Wölfe“ sind die drei Halbmonde auf rotem Grund.
Recht extrem. An der Kundgebung nehmen auch türkische Nationalisten teil, das Erkennungsmerkmal der „Grauen Wölfe“ sind die drei Halbmonde auf rotem Grund.
© dpa

Warum bezeichnen sich hunderttausende, wenn nicht gar eine Million Bundesbürger als Türken statt als Deutsche? Die meisten eingewanderten Polen, Slowenen, Bulgaren haben sich doch auch geräuschlos integriert, Herr Oguz, gar assimiliert. „Wir Türken kommen von weiter weg und haben eben unsere Religion, unsere besondere kulturelle Identität.“ Dabei schätze er die deutsche Zivilisation – und weiß seine Politik mit einem Heinrich-Heine-Zitat zu garnieren: „Ein jedes Volk hat seinen Geschmack.“

Graue Wölfe werden in Deutschland kaum behelligt. Anders als bei NPD-Anhängern stören Linke, Gewerkschafter oder Arbeitgeber nur selten. Er kenne Graue Wölfe, sagt ein Sicherheitsexperte, die in Integrationsbeiräten, Kreistagen und Stadträten säßen. Wo es besonders schlimm ist? „In den Städten zwischen Köln und Dinslaken.“

Dass sich so viele AKP-Anhänger in Köln versammeln, war zu erwarten. Die meisten Deutschtürken leben in Nordrhein-Westfalen, dazu kommen Communities in den Beneluxstaaten. In Köln hat die UETD, die Auslandssektion der AKP, ihre Zentrale. Und in der Köln-Arena sagte Erdogan 2008 seinen berüchtigten Satz: „Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Fairerweise sei erwähnt, dass in Köln auch Erdogans Feinde aktiv sind. Mit dem „Median Empire MC“ haben Kurden in Köln einen eigenen Rockerklub gegründet, eine Truppe zwischen Rotlicht und Politik. In der Kölner Keupstraße haben Kurden im April einen Türken zusammengeschlagen, weil auf seinem Audi ein Logo der Grauen Wölfe prangte.

Sonst sind es eher die Grauen Wölfe, die angreifen. Deutsche Sicherheitsexperten beobachten derzeit einen Prozess in Paris. Ein Mann, der mutmaßlich den Grauen Wölfen angehört, soll 2013 drei Kurdinnen erschossen haben. Die Pariser Ermittler glauben, er habe Kontakte zum MIT, dem türkischen Geheimdienst. Der Fall ist für deutsche Juristen relevant, weil der Mann versucht haben soll, oppositionelle Türken in Deutschland zu bespitzeln.

Der türkische Sportminister Kilic spricht: „Lasst niemanden einen Keil zwischen uns treiben.“ Genau, genau! Deniz ist begeistert. Sein tätowierter Freund auch. Eine sonderbare Mischung, denn Funktionäre wie Kilic waren den Grauen Wölfen lange suspekt.

Türkiye, Türkiye! Allahu Akbar! Deniz fotografiert die rot-weißen Fahnen im Wind, lebt seinen Sonntag. Als Türke. Als jemand Besonderes. Schon bald ist er wieder einfach nur ein Kölner Azubi.

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