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Verständigungsproblenme: der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
© Wolfgang Rattay/REUTERS

Streit um Nord Stream 2: Frankreich erspart Deutschland die Blamage

Bei der Pipeline Nord Stream 2 einigen sich Macron und Merkel auf Gesichtswahrung. Vom Tisch ist der Streit nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die öffentliche Bloßstellung hat Frankreich der Bundesregierung am Ende erspart und eingelenkt. Doch es ließ sich schwerlich übersehen, wie gefährlich nahe die deutsche Europapolitik einer Blamage kam. Zwei Einschnitte von historischem Ausmaß drohten am Freitag: eine offiziell protokollierte Niederlage im Rat - mit Frankreich als entscheidender Gegenstimme. Eine Mehrheit der EU-Partner will mit einer Reform der Gas-Richtlinie die Pipeline Nord Stream 2 in der geplanten Form stoppen und Deutschland rüffeln: Ihr tut so, als seid ihr Europas Musterknaben, aber bei der Energieversorgung handelt ihr gegen die gemeinsamen Interessen.

Warum hat Berlin die Warnzeichen nicht ernst genommen?

Auch Paris machte dabei mit, ungeachtet der Schwüre im Aachener Vertrag, sich eng abzustimmen. In einer strategischen Frage für den Kontinent hatte Deutschland nicht nur keine Mehrheit für seine Ziele. Es brachte nicht einmal die Sperrminorität zusammen, um die Korrektur zu verhindern. Bis Paris und Berlin einen gesichtswahrenden Ausweg fanden: die Vertagung. Vom Tisch ist das Problem damit noch nicht, auch wenn die Bundesregierung so tut. Nächste Woche verhandelt Brüssel weiter über die Verschärfung der Richtlinie.

Wie konnte es so weit kommen? Warum haben die Kanzlerin und der Außenminister die Warnzeichen nicht früher ernst genommen? Und was muss Deutschland ändern, damit so etwas nicht erneut passiert? Man wüsste gerne, was Emmanuel Macron zum Affront gegen Angela Merkel bewogen hat. Die einen nennen seine Verärgerung, dass sie auf seine Initiativen gar nicht oder zu langsam reagiert. Andere spekulieren über Donald Trumps Drohung, Sanktionen gegen die an der Pipeline beteiligten Firmen zu verhängen, darunter die französische Engie. Dritte verweisen auf Macrons innenpolitische Probleme mit den Gelbwesten und seinen weit härter ausgetragenen Konflikt mit Italien. Um nicht schwach zu wirken, habe er einen Akt der Stärke inszeniert und der mächtigen Madame Merkel die Stirn geboten.

Deutschland betreibt seine eigenen Egoismen

Alle diese Faktoren kamen aber nicht überraschend. Berlin hätte sie einkalkulieren müssen. Und sie ändern nichts am strukturellen Problem. Deutschland predigt mehr Europa und wirft anderen nationalen Egoismus vor, bemüht sich aber selbst zu wenig um mehrheitsfähige Positionen. Bei Nord Stream 2 fiel die Revolte besonders leicht, weil Berlin da auf wenig Verständnis zählen kann.

Die EU hat eine ebenso große Wirtschaftskraft wie die USA und eine größere als China, vom ökonomisch zweitklassigen Russland nicht zu reden. Gleichwohl ist sie in geostrategischen Fragen meist handlungsunfähig und damit bedeutungslos, weil sie sich nicht einigen kann. Eine Antwort, die Deutschland im Prinzip befürwortet, ist die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen. In zu vielen Fragen gilt Einstimmigkeit. Ein einzelnes Land kann die EU blockieren. Bei Nord Stream 2 erfährt Deutschland nun, dass es selbst in die Minderheit geraten und überstimmt werden kann. Auch Paris steht nicht bedingungslos an Berlins Seite.

Mehrheitsentscheidungen sind nötig, auch wenn man mal unterliegt

Das sollte freilich kein Grund sein, beim Drängen auf Mehrheitsentscheidungen nachzulassen. Sondern: Deutschland muss die Meinungen seiner Partner stärker in Betracht ziehen. Das beginnt mit Zuhören statt Predigen. Und verlangt Kompromissbereitschaft. Europa wird nicht einfach deutsche Wünsche übernehmen. Bei zwei zentralen Fragen, der Migrations- und der Energiepolitik, hat Deutschland das versäumt und bekam jetzt die Quittung. Wird der Schock über die Beinahe-Katastrophe für die deutsche Europapolitik ausreichen, um die nötige Korrektur einzuleiten?

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