Gaspipeline Nord Stream 2: Wenn Macron sich gegen Merkel stellt
Das Verständnis der EU-Partner für deutsche Gasgeschäfte mit Russland schwindet. Paris will Brüssel offenbar einen Hebel gegen das Projekt geben. Eine Analyse.
Bauchschmerzen bereiten die deutsche Energie- und Russlandpolitik vielen europäischen Partnern schon lange. Bei der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 kamen beide Bedenken zusammen. Das Projekt verstößt gegen die Grundsätze der gemeinsamen Energiepolitik in der EU. Die gibt vor, dass die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern sinken soll. Deutschland erhöht die Abhängigkeit von Russland.
Abstimmung über die neue Gas-Richtlinie am Freitag
Und nun könnte es knallen. Am Freitag wird in Brüssel über die neue Gasrichtlinie abgestimmt. Sie würde der EU einen Hebel geben, in das Pipelineprojekt einzugreifen - und es womöglich zu stoppen. Die deutsche Sperrminorität gegen die Reform der Richtlinie steht plötzlich in Frage, weil Frankreich nach Aussage eines Regierungssprechers vom Donnerstag die Seite wechselt und sich den Gegnern von Nord Stream 2 anschließt. Die "Süddeutschen Zeitung" hatte zuerst zu dem Richtungswechsel Frankreichs berichtet.
Lange hatte die Bundesregierung das europäische Unbehagen nicht ernst genommen. Erst hieß es, es seien ja nur die Polen und die Balten dagegen. Eine Mehrheit in der EU verstehe das größere Anliegen Deutschlands, durch Geschäfte mit Russland zur Entspannung beizutragen. Als Vorbild galt das Erdgas-Röhren-Geschäft aus den 1970er Jahren.
Dann stellte sich heraus, dass die Opposition in Europa viel größer ist, auch westeuropäische Länder umfasst und dass die EU-Kommission sich querstellt und bezweifelt, dass Deutschland alleine über solche Projekte, die die Interessen seiner Partner ignorieren, entscheiden könne. Im Rechtsstreit, wer zuständig sei, unterlag Brüssel zunächst.
Putin schadete der Sache auch durch den Ukrainekrieg
Das stoppte die Gegenwehr jedoch nicht. Moskau schadete seiner Sache durch eine erpresserische Verhandlungstaktik zu den Gaslieferungen an die Ukraine, die von dieser Versorgung abhängig ist. Und noch Russland schadmehr durch den Ukrainekrieg. Die Gegner können nun argumentieren, der Bau von Nord Stream 2 erleichtere Wladimir Putin neue Aggressionen. Erstens erhalte er durch die deutsch-russischen Gasgeschäfte weitere Einnahmen, mit denen er sein Militär aufrüste.
Zweitens müsse er auf die bisherigen Pipelines durch die Ukraine und durch Weißrussland keine Rücksicht mehr nehmen, sobald Nord Stream 2 als neue Export-Route durch die Ostsee zur Verfügung stehe. Wenn er militärisch gegen die Ukraine und Weißrussland vorgehe, um sie zurück in die Abhängigkeit von Russland zu zwingen, müsse er nicht mehr fürchten, dass ihm bei einer Beschädigung der Pipelines dort die Einnahmen wegbrechen.
Grün-schwarze Koalition gegen die Pipeline
Auch unter deutschen Politikern im Europaparlament und im Bundestag wuchsen nun die Bedenken, besonders unter Grünen und CDU-Politikern. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses im Bundestag, warnte, Deutschland gerate in eine Minderheitenposition in der EU. Es werde seine Politik womöglich nicht durchhalten können, wenn die USA ihre Drohung wahrmachten, Sanktionen gegen die am Bau beteiligten Firmen zu verhängen, weil kaum jemand in Europa das deutsche Beharren auf Nord Stream 2 verteidigen werde.
Noch hoffte die Bundesregierung, dass sie, auch wenn sie keine Mehrheit für die Pipeline in Europa habe, zumindest auf eine Sperrminorität vertrauen dürfe, die neue Auflagen für Nord Stream 2 verhindert. Der zentrale Pfeiler dieser Strategie war Frankreich mit seinem erheblichen Stimmenanteil bei Beschlüssen in der EU.
Das ist die Chance, um Versorgungsalternativen in den Blick zu nehmen. Ich denke hier an Norwegen, das mit seinen riesigen Erdgasfeldern ganz Europa für mehrere Jahrzehnte versorgen kann und ein politisch und wirtschaftlich berechenbarer Partner ist.
schreibt NutzerIn Kifisian
Die Sperrminorität, auf die Berlin hofft, wackelt
In Brüssel wurde eine Verschärfung der Richtlinie für die Gasversorgung vorbereitet. Die Firmen, die das Gas liefern und die Firmen, die die Pipelines haben, dürfen nicht identisch sein. Produktion und Transport müssen in verschiedenen Händen liegen. Bisher galt das nur innerhalb der EU. Künftig soll das auch für Pipelines außerhalb der EU gelten, wenn EU-Länder an dem Projekt beteiligt sind. Wird diese Änderung beschlossen, wird Nord Stream 2, so wie es jetzt geplant ist, illegal. Der russische staatsnahe Konzern Gazprom kontrolliert die Gas-Produktion und die Pipeline.
Berlin glaubte, diese Änderung werde an einer Sperrminorität aus Belgien, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden, Österreich und Zypern scheitern. Wechselt Frankreich die Seite, würde die neue Richtlinie beschlossen. "Wir wollen nicht die Abhängigkeit von Russland verstärken und dabei noch den Interessen von EU-Ländern wie Polen und der Slowakei schaden", zitiert die "SZ" Regierungskreise in Paris.
Noch bleiben einige Stunden bis zur Abstimmung am Freitag. Stunden, in denen Kanzlerin Angela Merkel mit Präsident Emmanuel Macron telefonieren kann. Oder ist es ihr womöglich gar nicht unlieb, wenn Brüssel Nord Stream 2 blockiert und ihr der Ärger mit den EU-Partnern und den US-Sanktionen erspart bleibt?