Nach Urteil gegen Gießener Ärztin: Fraktionen beraten erstmals über Abtreibungsparagraf 219a
Nach der Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel formiert sich ein Bündnis (fast) aller Parteien, um den Paragrafen 219a abzuschaffen. Er verbietet auch sachliche Information.
Mehr als 150.000 Menschen haben ihre Petition inzwischen unterschrieben, allein von Montag auf Dienstag kamen mehr als 10.000 Unterschriften hinzu. Die Gießener Ärztin Kristina Hänel hat sie am Dienstagmorgen vor dem Bundestag an Abgeordnete von Grünen, Linken, SPD und FDP übergeben - und kann darauf hoffen, dass das Parlament ihr Anliegen übernimmt: Die Abschaffung oder Neuformulierung des Paragrafen 219a, der die Information über Schwangerschaftsabbrüche bestraft. Am Mittwoch treffen sich erstmals Politikerinnen und Politiker aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD, die nicht eingeladen wurde, um Möglichkeiten für einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu beraten.
Die Chancen dafür stehen seit gestern noch ein bisschen besser. Die Liberalen sind inzwischen auch dafür, den Paragrafen komplett aus dem Strafgesetzbuch zu nehmen. Er erschwere "die sachliche Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche unnötig", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP Katja Suding dem Tagesspiegel. "Deswegen setze ich mich für seine Streichung ein." Das war bisher nur die Haltung von Linken, Grünen und SPD, die dafür bereits eigene Gesetzentwürfe formuliert haben. Zudem läuft eine Bundesratsinitiative. Berlin, Hamburg, Bremen und Brandenburg wollen ab Freitag versuchen, den 219a über die Länderkammer zu kippen.
Auch die Union wird bei dem informellen ersten Treffen auf Einladung der Grünen-Frauenpolitikerin Ulle Schauws am Mittwochvormittag dabei sein. Sie bleibt allerdings dabei, dass es nicht um die Abschaffung des Paragrafen gehen kann, sondern lediglich darum, ihn so zu reformieren, dass sachliche Information darüber, wie Frauen ein straffreier Abbruch möglich ist, nicht mehr vom Gesetz bedroht ist, Werbung für Abbrüche aber weiterhin ausgeschlossen wäre.
Der gültige Paragraf 219a sanktioniert zurzeit beides: "Wer öffentlich (...) eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, (...) anbietet, ankündigt, anpreist", heißt es darin, "wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Union: Am Werbeverbot halten wir fest
Kristina Hänel wurde deswegen am 24. November vom Amtsgericht Gießen zu 6000 Euro Strafe verurteilt. Auf ihrer Website ist zu lesen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Es könne nicht sein, sagte die Grünen-Politikerin Renate Künast am Dienstag während der Übergabe der Unterschriften, dass im Paragrafen 218 einerseits klar geregelt sei, wann eine Abtreibung nicht bestraft werde, "der 219a aber dafür sorgt, dass Ärztinnen und Ärzte bestraft werden, wenn sie darüber informieren."
Die Sorge der Union, Werbung für Abbrüche - die der Paragraf 218 grundsätzlich weiterhin als Straftat behandelt - müsse verboten bleiben, teilen sie nicht. Das sei bereits durchs ärztliche Standesrecht und die Berufsordnung für Ärzte verboten und lasse sich notfalls im Ordnungsrecht verankern. Im Strafgesetzbuch, so Ulle Schauws, habe das "nichts zu suchen".
Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, hält dagegen: "An dem grundsätzlichen Verbot halten wir fest." Eine Werbung für Schwangerschaftsabbruch sei nicht mit dem "notwendigen Schutz des Ungeborenen" vereinbar, der seinerseits eine Beratung der Mutter erfordere, die sie zum Austragen des Kindes ermutige. Um sachliche Information und Werbung abzugrenzen, brauche es "keine vorschnelle Gesetzesänderung", Kriterien dafür könnten auch die Gerichte entwickeln.
Zeitdruck bis zur neuen Regierung
Ob man sich mit der Union notfalls auch auf eine Lösung unterhalb der Streichung einigen kann, ist bisher offen. Cornelia Möhring, Frauenpolitikerin der Linksfraktion, wollte gestern auf Anfrage keine rote Linie ziehen, erklärte aber: "Unser Wunsch ist die komplette Streichung. Ich hoffe sehr, dass wir dafür eine Mehrheit bekommen."
Die wäre zwar auch ohne CDU und CSU rechnerisch möglich. Käme auch von der FDP grünes Licht für die Streichung, hätte ein gemeinsamer Antrag 369 der 709 Bundestagsabgeordneten hinter sich. Doch die Initiative steht unter Zeitdruck. Sollten sich SPD und Union auf eine Neuauflage der GroKo einigen, sehen die Mehrheitsverhältnisse wieder anders aus. Man hoffe insofern, so Möhring, "dass die Zeit genutzt werden kann, in der keine Fraktion durch Koalitionsverträge gebunden ist".
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