Angst vor Krieg: Fragile Waffenruhe in Nahost
Auf den Tod eines ihrer Soldaten hat die israelische Armee mit Angriffen auf militärische Ziele im Gazastreifen reagiert. Die Hamas verkündete in der Nacht zum Samstag eine Waffenruhe – doch die Lage bleibt angespannt.
Mit heftigem Beschuss des Gazastreifens vom Boden und aus der Luft reagierte Israel am Freitagabend auf den Angriff eines palästinensischen Scharfschützen auf einen Soldaten während der Proteste entlang der Grenze. Der Soldat kam dabei ums Leben, nach Angaben der Armee war das der erste Fall seit dem Gazakrieg im Jahr 2014. Israels Streitkräfte trafen 68 Ziele der Hamas und töteten vier ihrer Mitglieder. Laut Armee standen bei den Angriffen die Hauptquartiere von drei Hamas-Bataillonen in Khan Yunis, Zaytun und Bureij im Vordergrund, man habe unter anderem Trainingsanlagen, Führungs- und Kontrollfähigkeiten, Waffen sowie logistische Kapazitäten nachhaltig getroffen.
Zwischendurch schoss die Hamas gegen 20 Uhr 30 drei Raketen in Richtung Israel, zwei wurden vom Abfangsystem „Eiserne Kuppel“ vom Himmel geholt, eine landete auf offenem Feld. Im Vergleich zum Schlagabtausch vor einer Woche, als noch rund 200 Mörsergranaten und Raketen in Richtung Israel flogen, blieb es für die Bewohner entlang der Grenze des Gazastreifens diesmal verhältnismäßig ruhig.
Seit Wochen lassen Palästinenser brennende Drachen nach Israel fliegen
Nach Mitternacht dann verkündete der Sprecher der Hamas, Fausi Barhum, dass mithilfe der UN und Ägypten eine Waffenruhe erzielt worden sei. Ein diplomatischer Vertreter Israels teilte hebräischsprachigen Medien mit, die Hamas habe sogar angeboten, Angriffe mit Ballonen und Drachen einzustellen. Berichten zufolge bestreitet das die Hamas.
Seit Wochen schon haben militante Palästinenser brennende Drachen und Ballone nach Israel fliegen lassen, die dort bereits rund 2800 Hektar Felder und Wald zerstörten. Israel hatte deshalb im Laufe der Woche vor ernsthaften Konsequenzen gewarnt: Medienwirksam wurde ein bereits zuvor geplantes Militärtraining im Süden inszeniert, bei dem der Einmarsch nach Gaza geübt wurde. Außerdem stellte Israel via Ägypten das Ultimatum, dass die Hamas bis Freitag die Angriffe mit brennenden Ballonen und Drachen einstellen müsse – ansonsten starte Israel eine Militäroffensive.
Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sagte am Freitag, die Hamas zwinge Israel in eine Lage, die eine weite und schmerzhafte Militäroperation verlange, die größer sein werde als jene 2014. Mehr als 2200 Palästinenser und mehr als 70 Israelis starben während des 50-tägigen Krieges vor vier Jahren.
UN-Generalsekretär António Guterres hat sich „zutiefst besorgt“ über die Gewalteskalation im Gazastreifen gezeigt. „Es ist zwingend notwendig, dass alle Seiten von der Kante eines verheerenden Konflikts zurücktreten“, sagte Guterres laut Mitteilung am Samstag in New York.
Weder Israel noch die Hamas haben derzeit ernsthaftes Interesse an einem neuen Krieg: Israel hat mit der Nordgrenze, an der sich iranische Truppen auszubreiten drohen, größere Sorgen. Der Hamas droht bei einem neuen Krieg der Machtverlust. Außerdem würde vor allem die Zivilbevölkerung hart getroffen werden. Bereits jetzt leidet sie unter der prekären humanitären Situation: Das Leitungswasser ist ungenießbar, es mangelt an Strom und Nahrung, die medizinische Versorgung ist schlecht, ebenso die Sanitätsanlagen. Immer wieder warnen Experten vor einem Ausbruch von Seuchen und einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Israel hatte vor wenigen Tagen die Lieferung von Treibstoffen nach Gaza gestoppt – diese werden für Kläranlagen und von der Müllabfuhr dringend benötigt.
Wie stabil die jüngste Waffenruhe ist, werden die kommenden Tage zeigen. Am Samstagmorgen kam es bereits zu einem kleinen Zwischenfall, als laut Armee einige Verdächtige die Grenze zu Israel überschritten – kurz darauf aber zurückkehrten. Israel reagierte mit dem Beschuss eines Militärpostens der Hamas. Ansonsten aber wurde die Lage auf israelischer Seite als ruhig eingeschätzt, Bewohner entlang des Gazastreifens durften am Morgen wieder zur Routine zurückkehren, auch der Sikim-Strand nahe der Grenze wurde wieder geöffnet.