Klimawandel: Forschung: Pariser Klimaziel schon jetzt nicht mehr erreichbar?
Nach Prognosen liegt das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel eines Temperaturanstiegs von 1,5 Grad bereits außer Reichweite. EurActiv Frankreich berichtet.
Die jüngsten Klimaprognosen mehrerer französischer Wissenschaftsinstitutionen zeigen eine beunruhigende Entwicklung: Aktuelle Prognosen hinsichtlich der globalen Erwärmung sind offenbar zu optimistisch. Nach Modellen des Pierre-Simon Laplace Institute (IPSL) und des französischen Nationalen Meteorologischen Forschungszentrums könnte sich unser Planet im schlimmsten Fall bis 2100 um durchschnittlich sechs oder sogar sieben Grad erwärmen.
Doch auch in optimistischeren Szenarien ist die Situation alarmierend: Wenn auf dem Planeten bis 2060 Klimaneutralität erreicht werden sollte – was bei weitem nicht sicher ist – würde die globale Erwärmung 1,9 Grad erreichen. Im Pariser Klimaabkommen wird ein Ziel von (bestenfalls) weniger als 1,5 Grad angestrebt. In einem mittleren Szenario, bei dem der Planet bis 2080 klimaneutral wäre, würde der Temperaturanstieg schon 2,6 Grad betragen.
„Keines unserer aktuellen Modelle lässt uns den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzen; aber andere Modelle sagen dies immer noch voraus,“ kommentiert Olivier Boucher, Leiter des Klimamodellierungszentrums am CNRS, dem französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung.
Fachwelt glaubt nicht an „Business as usual“
Tatsächlich scheint das 1,5-Grad-Ziel in der Fachwelt als immer „unerreichbarer“ angesehen zu werden. Auf der anderen Seite vermeiden es viele Klimaforschende indes zunehmend, ein „Business as usual“-Szenario überhaupt noch zu erwähnen, da ein solches Modell im Prinzip nicht mehr existiert. Schließlich gibt es inzwischen zahlreiche neue klimapolitische Ansätze. Über deren Wirksamkeit mag debattiert werden; ein simples „Weiter so“ scheint aber nicht mehr denkbar.
Die Frage ist: Sind die neuen Prognosen zuverlässiger als die vorherigen? Die französischen Wissenschaftler sind sich dessen sicher: Ihre Daten stammten aus einer Mischung mehrerer Modelle, was bedeute, dass die Anzahl der Variablen sehr hoch ist. Insgesamt seien die Prognosen das Ergebnis von 500 Millionen Stunden Berechnungen und 3.000 Terabyte an Daten. In die Prognosen einbezogen wurden dabei auch Wechselwirkungen zwischen Meeren und Landmassen, Atmosphäre, Niederschlag, menschengemachte und nicht-menschliche Emissionen, Eiszyklen, Aerosole und zahlreiche weitere Faktoren.
Der Faktor Mensch
„Wir versuchen, die Ergebnisse immer komplexer zu gestalten, um immer realistischere Ergebnisse zu erzielen“, erklärt David Salas y Melio, Klimaforscher bei Meteo France. Der Klimatologe betont auch, dass mit den Modellen versucht wird, anthropogene Einflüsse in Klimadaten zu übersetzen.
Emissionen aus Treibhausgasen, Aerosolen und Luftpartikeln sowie Änderungen der Landnutzung haben Auswirkungen und müssen daher gemäß den sozioökonomischen Prognosen in die Berechnungen einbezogen werden, erläutert er.
[Bearbeitet von Sam Morgan und Tim Steins. Übersetzung: Tim Steins. Erschienen bei EurActiv. Der Tagesspiegel und das europapolitische Onlinemagzin EurActiv kooperieren miteinander.]
Seiner Einschätzung nach sind die Aussichten eindeutig: „Wir werden in Frankreich immer mehr Hitzewellen haben, bis zu dem Punkt, dass diese 2060 absolute Normalität sein werden. Bei den Niederschlägen gibt es insgesamt einen deutlichen Rückgang im Mittelmeerraum, mit einem gleichzeitigen Anstieg der Fälle von heftigem Starkregen,“ so der Klimatologe von Meteo France.
Nach Ansicht der Paläoklimatologin Pascale Braconnot ist es vor allem die Geschwindigkeit des aktuellen Klimawandels, die die Folgen schwer fassbar und vorhersagbar macht.
Sie erklärt, das letzte Mal, als eine derart hohe CO2-Konzentration in der Atmosphäre festzustellen war (aktuell 400 ppm), war während des Pliozäns vor 400 Millionen Jahren. Damals habe sich die Temperatur aber nur um rund drei Grad erhöht – und über mehrere tausend Jahre hinweg. „Wir haben dies noch nie in so einer Geschwindigkeit beobachtet, und jetzt verlieren wir den Überblick.“
„Es ist relativ sicher, dass wir bald jedes Jahr 46 Grad erreichen werden,“ fügt Braconnot mit Blick auf den diesjährigen Hitzerekord Ende Juni hinzu.
In einem kürzlich veröffentlichten Bericht warnt Meteo France für Frankreich darüber hinaus vor längeren Dürreperioden, geringeren Niederschlägen, die bestimmte landwirtschaftliche Praktiken unmöglich machen könnten, einer Zunahme der Waldbrände und heftigeren Niederschlägen.
Dieses Szenario dürfte sich nicht auf Frankreich beschränken.
Aline Robert