Demonstrationen in Dresden: Forscher: Pegida hat Höhepunkt überschritten
Eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin zeigt, wie offen ein Teil der Pegida-Anhänger für rechtspopulistische und auch extreme Parolen ist.
Wer typischer Pegida-Anhänger ist, das weiß man auch nach der Studie des Protestforschers Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) nicht. Aber Rucht, der sich mit Demonstrationsformen unterschiedlichster Art seit Jahrzehnten beschäftigt, glaubt zumindest eines vorhersagen zu können: „Wir haben den Höhepunkt von Pegida gesehen.“ Möglicherweise sei er sogar schon überschritten; Rucht zweifelt die in der Vorwoche von der Polizei angegebene Zahl von 25.000 Demonstranten an und schätzt, dass es eher 17.000 gewesen sind. Der Soziologe und sein Team gehen davon aus, dass die Bewegung in Dresden sich nun langsam verlaufen werde, auch wenn andernorts noch versucht werden könnte, im Fahrwasser von Pegida neue Demonstrationen zu beginnen.
Es sind vor allem Männer
Rucht hat mit seinen Forschern (insgesamt etwa 50 Personen) versucht, sich dem Phänomen Pegida soziologisch zu nähern. Und zwar mittels Beobachtungen bei der Demo am 12. Januar und einer Online-Befragung. Der Erfolg war ähnlich begrenzt wie der des Dresdner Politologen Hans Vorländer, der in der vorigen Woche eine Studie vorgestellt hatte. Von den etwa 1800 Angesprochenen nahmen 670 den Handzettel mit der Online-Adresse für die Befragung an, und von denen nahmen tatsächlich 123 Männer und Frauen teil. Vor allem Männer, denn (und das bestätigt Vorländers Ergebnis) Pegida ist ein Phänomen, das vor allem Männer anlockt. Drei Viertel sowohl der Angesprochenen als auch der Online-Teilnehmer waren männlich, und das Forscherteam schätzt aufgrund der gesammelten Beobachtungen, dass das auch für die Gesamtheit der Pegida-Anhänger zutrifft.
Doch viele Demonstranten lehnten jede Antwort ab, zum Teil, wie Rucht am Montag in Berlin berichtete, in aggressiver Form. Dabei seien die Wissenschaftler auch mit der „Lügenpresse“ gleichgesetzt worden. Doch habe es andererseits auch freundliches Interesse und Dialogbereitschaft gegeben. Offenbar ist es so, dass Teilnehmer, die im vorderen Teil des Zuges mitliefen, konfrontativer waren als Demonstranten im hinteren Teil. Ruchts Team bestätigte auch, dass ein Teil der Pegida-Anhänger erkennbar dem Hooligan-Milieu entstammt oder der rechtsextremen Szene zugehört.
Nicht repräsentativ
Die Ergebnisse der Online-Befragung sind nicht repräsentativ (das sind solche Befragungen nie). Wie Vorländers Studie geben die Zahlen und Erkenntnisse daher nur einen Teil des Phänomens wieder. Die allermeisten kommen demnach aus Dresden, der Umgebung der Stadt oder aus anderen Orten in Sachsen. Ein Drittel nahm erstmals an dem Marsch teil. Die meisten sind Angestellte, Arbeiter und Selbständige, 70 Prozent stehen im Berufsleben, sie sind gut ausgebildet, ein Drittel hat studiert. Aber da schleicht sich ein, dass Beschäftigte jüngeren oder mittleren Alters mit guter Ausbildung eher an einer Online-Befragung teilnehmen als Rentner oder Langzeitarbeitslose.
Wie die Dresdner Studie ergibt auch die WZB-Erhebung, dass die abgebildete Gruppe (als vor allem Männer mittleren Alters mit Job) mit den Verhältnissen sehr unzufrieden ist. Zu Parteien, Bundestag, Bundesregierung, dem Fernsehen und der Presse, der EU und den Banken haben sie zu mehr als 90 Prozent wenig oder gar kein Vertrauen. Auch Kirchen und Großkonzerne werden kritisch gesehen, Vertrauen gibt es allenfalls für Bürgerinitiativen und die Polizei. 70 Prozent sind nicht der Meinung, dass die Demokratie in Deutschland gut funktioniert, ebenso viele glauben, keinen Einfluss darauf zu haben, was die Regierung macht.
"Mut zu starkem Nationalgefühl"
Zwar wird Demokratie meist grundsätzlich befürwortet, aber die Forscher konnten den Antworten aus dieser nicht repräsentativen, aber informationswilligen Gruppe entnehmen, dass eine große Offenheit für rechtspopulistische und auch rechtsextreme Argumente vorhanden ist. Einen starken Führer wünschen sich zwar mit 4,3 Prozent weniger als im Schnitt der Bevölkerung (gut neun Prozent), aber „endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl“ zu haben, das befürworten mit 81 Prozent deutlich mehr als die Gesamtbevölkerung (30 Prozent). Signifikant stärker als im Schnitt wird auch die Parole befürwortet, dass eine Überfremdung durch Ausländer droht. Groß ist die Furcht vor dem „Verlust nationaler Identität und Kultur“.
Kirchlich, politisch oder gewerkschaftlich organisiert ist jeweils nur eine Minderheit; knapp 60 Prozent sind aber in einem Sport- oder Freizeitverein. Knapp die Hälfte stuft sich politisch in der Mitte ein, ein Drittel steht nach eigener Einschätzung rechts. 89 Prozent würden beider nächsten Wahl die AfD wählen, 49 Prozent haben das bei der Sachsen-Wahl im vorigen August auch getan. Nichtwähler waren dagegen nur 18 Prozent. Rucht und sein Team gehen davon aus, dass die, welche online Antwort gaben, nicht die radikalsten der Pegida-Anhänger sind.
Albert Funk