Flugzeugabsturz bei Teheran: Flugschreiber teilweise zerstört – Ursache bleibt rätselhaft
Die Datenträger der Unglücksmaschine sind laut iranischen Behörden teilweise zerstört. Passagiere einer anderen Maschine beobachteten den Absturz.
- Ragnar Vogt
- Benjamin Reuter
Die Ursache für den Absturz einer ukrainischen Passagiermaschine im Iran mit mehr als 170 Toten ist weiterhin rätselhaft – und die Opfer müssen noch identifiziert werden.. Die Ukraine schickt deshalb Spezialisten zur Absturzstelle bei Teheran. Nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj sollten die Fachleute aus Kiew am Donnerstag eintreffen . Sie sollen demnach bei der Suche und Identifizierung der Passagiere helfen. „Sie werden auch hinzugezogen, um die Leichen der Ukrainer zu überführen“, sagte das Staatsoberhaupt.
Auf Selenskyjs Anweisung hin hatte die ukrainische Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Bei dem Unglück der Boeing 737 der Fluglinie Ukraine International Airlines starben alle 176 Passagiere und Crew-Mitglieder.
Aus einem vorläufigen Bericht der iranischen Luftverkehrsbehörde, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, geht hervor, dass das Flugzeug unmittelbar vor dem Absturz gebrannt hat. Darin wird auf entsprechende Aussagen von Augenzeugen am Boden verwiesen. Außerdem hätten das Feuer Augenzeugen in einem anderen Flugzeug gesehen, das in großer Höhe in der Nähe der Unglücksmaschine unterwegs gewesen sei.
Dem Bericht der iranischen Ermittler zufolge hatte die Maschine vor dem Absturz ein technisches Problem. Es habe keine Funkverbindung mit dem Piloten gegeben, die auf eine ungewöhnliche Situation hingedeutet hätte. Der Flugschreiber und der Voice Recorder, der Gespräche im Cockpit aufzeichnet, seien im Besitz der Ermittler. Die Geräte seien aber beschädigt. An der Untersuchung der Unglücksursache würden ukrainische Experten beteiligt.
Einem Bericht der Nachrichtenagentur Mehr zufolge will die iranische Luftfahrtbehörde die gefunden Flugschreiber allerdings "nicht dem Hersteller und den USA" übergeben.
Flugzeugabsturz nahe Teheran – keine Deutschen unter den Toten
Am Mittwoch hatte es widersprüchliche Informationen über die Ursache und die Opfer gegeben. Während es zunächst hieß, unter den Toten seien auch drei Deutsche, erklärte die Bundesregierung am Nachmittag, sie gehe davon aus, dass bei dem Absturz keine Deutschen ums Leben gekommen seien. "Wir haben derzeit keine Erkenntnisse, nach denen sich deutsche Staatsangehörige unter den Opfern des Flugzeugabsturzes in Iran befinden“, hieß es am Mittwoch aus dem Auswärtigen Amt.
Zuvor hatte der ukrainische Außenminister Vadym Prystaiko, getwittert, an Bord seien zudem 82 Iraner, 63 Kanadier, 11 Ukrainer, 10 Schweden, 4 Afghanen und 3 Briten gewesen. Iranischen Staatsmedien zufolge waren 15 der Passagiere Kinder.
Ein Zusammenhang des Absturzes der ukrainischen Maschine mit der militärischen Eskalation des Konflikts zwischen dem Iran und den USA erscheint auf den ersten Blick naheliegend. Dafür gibt es aber bisher keine Belege. Allerdings war die Kommunikation nach dem Absturz widersprüchlich:
- Ein Sprecher des internationalen Flughafens in Teheran hatte kurz nach dem Unglück erklärt, mutmaßlich "technische Schwierigkeiten" hätten zu dem Absturz geführt.
- Schon kurz nach dem Absturz teilte dann das iranische Staatsfernsehen unter Berufung auf Behörden mit, dass ein technischer Defekt die Absturzursache gewesen sei. Die Maschine sei in Brand geraten, sagte der Chef der iranischen Rettungskräfte im Fernsehen.
- Die Luftfahrtbehörde Irans sagte allerdings, dass „der Grund für den Absturz noch nicht geklärt“ sei.
- Auch die Botschaft der Ukraine im Iran sprach zuerst von einem "Triebwerksschaden" als Absturzursache, löschte diese Mitteilung später allerdings wieder. In einer Stellungnahme heißt es jetzt, die Ursachen des Absturzes seien nicht ermittelt. Frühere Einschätzungen dazu seien nicht offiziell gewesen.
Sprich: Die Absturzursache liegt bisher völlig im Dunkeln. Auf einem Video, das den Absturz zeigen soll und das der BBC-Korrespondent im Iran, Ali Hashem, twitterte, ist ein schon in der Luft brennendes Objekt zu sehen. Das deutet darauf hin, dass die Maschine schon im Flug Feuer fing.
Ukraine International Airlines machte auch Details zum Flugzeug öffentlich:
- "Das Flugzeug war einsatzfähig", betonte Airline-Präsident Jewgenyj Dychne in Kiew. "Es war eine unserer besten Maschinen."
- Die Unglücksmaschine sei erst 3,5 Jahre alt gewesen, sagte Dychne weiter, und erst vor zwei Tagen gewartet worden.
- Die Crew sei sehr erfahren gewesen, ein Pilotenfehler könne ausgeschlossen werden.
- Airline-Vizepräsident Igor Sosnowsky sagte, die Wahrscheinlichkeit, dass der Absturz auf einen Fehler der erfahrenen Crew zurückgehe, sei "minimal". "Wir ziehen das schlichtweg nicht in Betracht", sagte er.
Wenige Stunden vor dem Absturz hatte es einen iranischen Vergeltungsangriff auf US-Soldaten im Irak gegeben.
Der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow warnte vor voreiligen Schlüssen zur Unglücksursache. Es sollten die Ermittlungen abgewartet werden, schrieb er am Mittwochmorgen bei Facebook. Nur die könnten klären, ob zum Beispiel ein Pilotenfehler, eine technische Störung oder ein Angriff für den Absturz verantwortlich seien.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach allen Hinterbliebenen sein Beileid aus. Zugleich beauftrage er den Generalstaatsanwalt Ermittlungen aufzunehmen. Alle Möglichkeiten für das, was geschehen ist, müssen überprüft werden, schrieb er in einem Beitrag auf Facebook. Außerdem werde die gesamte ukrainische Flugzeugflotte auf ihre Sicherheit gecheckt.
Die um kurz nach 5 Uhr Ortszeit gestartete Maschine mit der Flugnummer PS752 stürzte ersten Erkenntnissen zufolge in ein offenes Feld nahe dem Teheraner Vorort Parand. Rettungskräfte sind vor Ort. Das Flugzeug hätte gegen 8 Uhr Ortszeit in der ukrainischen Hauptstadt Kiew landen sollen. Die Maschine war in einer Flughöhe von 2400 Metern vom Radar verschwunden.
Nach Angaben der Fluggesellschaft war das Flugzeug 2016 hergestellt worden und direkt vom Werk ausgeliefert worden. Fluggesellschaften in der ehemaligen Sowjetunion haben meist eine schlechte Sicherheitsbilanz. Doch die Ukraine International Airlines teilt auf ihrer Website mit, dass ihre Sicherheit den Standards der Federal Aviation Administration für Code-Sharing-Flüge mit ausländischen Partnern entspreche. Laut einer von der Flugsicherheitsstiftung erstellten Liste ukrainischer Flugzeugunfälle hatte das Unternehmen zuvor keinen tödlichen Absturz erlitten.
Boeing reagierte auf den Absturz per Twitter: „Uns sind die Medienberichte aus dem Iran bekannt und wir tragen gerade mehr Informationen zusammen.“ Der Flugzeughersteller steht wegen zwei Abstürzen von Maschinen des Typs 737-Max in der Kritik. Bei dem nun abgestürzten Flugzeug handelt es sich aber um eine normale 737.
Für Boeing steigt mit dem Vorfall im Iran dennoch der Druck: Nach dem Absturz von zwei 737 Max-Jets in weniger als fünf Monaten, bei dem 346 Menschen ums Leben kamen, steht das Unternehmen unter intensiver Beobachtung. Seit März muss die Max weltweit am Boden bleiben. Das hat das Unternehmen in eine Krise gestürzt und zur Entlassung des Vorstandsvorsitzenden geführt.
Der Luftverkehrsexperte Stephen Wright von der Universität Tampere in Finnland sagte der Nachrichtenagentur AFP, er halte einen Abschuss der Boeing-Maschine für unwahrscheinlich. Das Flugzeug sei nach oben und in die richtige Richtung geflogen. Dies bedeute, "dass etwas Katastrophales geschehen sein muss". Wright zufolge könne eine "Bombe" an Bord oder "eine katastrophale Panne im Flugzeug" ursächlich für den Absturz gewesen sein.
Unglück kurz nach iranischem Raketenangriffen
Kurz nach den iranischen Raketenangriffen auf US-Militärstützpunkte im Irak hatte die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA US-Flugzeugen die Nutzung des Luftraums in Teilen des Nahen Ostens untersagt. Über dem Persischen Golf, dem Golf vom Oman, im Irak und im Iran dürften in den USA registrierte Flugzeuge „wegen erhöhter militärischer Aktivitäten und steigender politischer Spannungen“ nicht mehr operieren, hieß es in einer Mitteilung am Dienstag (Ortszeit). Es gebe ein erhöhtes Risiko, dass ein Flugobjekt falsch identifiziert werde.
Ein Video auf Twitter soll die Absturzstelle kurz nach dem Crash zeigen:
Die Lufthansa will ihre Flüge in die iranische Hauptstadt Teheran am Donnerstag wieder aufnehmen. Der Anflug auf die Stadt sei sicher, sagte ein Lufthansa-Sprecher am Mittwoch in Frankfurt. Den entsprechenden Flug am Mittwoch hatte die Fluggesellschaft nach den iranischen Raketenangriffen auf Militärstützpunkte im Irak vorsorglich gestrichen.
Der russische Außenpolitiker Leonid Sluzki warnte der Agentur Interfax zufolge davor, den Absturz für politische Zwecke gegen den Iran zu nutzen. Er äußerte sich vor dem Hintergrund des Atomkonflikt des Irans mit den USA. Russland hatte wiederholt zum Dialog mit Teheran aufgerufen.
Die vom US-Verteidigungsministerium bestätigten Attacken auf die amerikanisch genutzten Militärstützpunkte Ain al-Assad im Zentrum des Iraks und eine Basis in der nördlichen Stadt Erbil in der Nacht zum Mittwoch gelten als Revanche für die Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani durch einen US-Luftschlag. Am Mittwochmorgen war der Iran außerdem von einem Erdbeben unweit eines Atomkraftwerks in der Provinz Buschehr überrascht worden. (mit dpa und AFP)