EU-Kommission will grünen „New Deal“: Fliegen soll teurer werden, starke Förderung von E-Autos
Die Europäische Kommission arbeitet an ihrem 100-Tage-Programm. Der Klimaschutz steht dabei im Zentrum, wie ein Entwurf zeigt. Die Maßnahmen sind weitreichend.
Die europäische Kommission strebt eine fast vollständige Klimaneutralität bis 2050 an und will schon in den ersten 100 Tagen zahlreiche Maßnahmen auf den Weg bringen, die die EU diesem Ziel näherbringen. Dies geht aus dem Entwurf einer Prioritätenliste der Kommission hervor, die den Fachdiensten von Tagesspiegel Background vorliegt.
In dem Dokument ist an mehreren Stellen von einem ambitionierten „Green and Fair New Deal“ die Rede. Der Kampf gegen den Klimawandel sei „eines der wichtigsten Ziele“ und die EU sehe sich als Vorreiter im Klimaschutz. Wörtlich heißt es weiter: „Ein (quasi) komplett klimaneutrales Europa bis 2050 ist möglich.“
Eine Zielerhöhung bei der Minderung von Treibhausgasemissionen, wie sie die designierte neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angestrebt hatte, fehlt in dem Dokument zwar, denn es geht um schnell umsetzbare Beiträge zum Klimaschutz.
Zum Beispiel soll es eine „Roadmap“ für den Ausbau der Offshore-Windenergie in Europa geben. Auch die Gebäudeenergie steht im Fokus der Kommission und es sollen laut Kommission für Regionalpolitik zusätzliche Finanzmittel für die Förderung von energetischen Sanierungen zur Verfügung gestellt werden.
Auch die europäischen Stahlkocher sollen deutlich stärker dabei unterstützt werden, ihre Prozesse klimaschonender zu machen. Auch die Finanz-Kommission schlägt vor, in erheblichem Umfang Gelder umzuschichten, um den Green New Deal zu finanzieren. Dabei solle auch auf die großen Töpfe der Strukturhilfefonds zugegriffen werden – die Kommission will also die Auszahlung stärker an die Klimaschutzwirksamkeit binden.
Hilfen für Regionen, in denen der Abschied von der Kohleverstromung bevorsteht, sollen deutlich aufgestockt werden. Die Generaldirektion Finanzen will zudem sofort prüfen, wie Hürden für grünes Investment, zum Beispiel ökologischen Staatsanleihen, beseitigt werden können.
Fliegen könnte spürbar teurer werden
Fliegen innerhalb Europas könnten zudem spürbar teurer werden, wenn die Vorschläge umgesetzt werden. Bis zu 750 Millionen Euro pro Jahr extra könnte es die Fluglinien – also letztlich die Passagiere – kosten, wenn die Kommission grünes Licht von den Mitgliedsstaaten für ihre Idee bekommt.
Das wäre mehr als eine Verdopplung im Vergleich zu heute: Für 2019 rechnet der Brüsseler Airline-Verband A4E mit Ausgaben für die Verschmutzungsrechte des europäischen Emissionshandels in Höhe von 590 Millionen Euro. In den Vorjahren waren die Kosten allerdings weitaus niedriger. Zu niedrig, um Anreize für echten Klimaschutz zu setzen, so Kritiker.
Der Flugverkehr ist bereits seit 2012 als einziger Verkehrssektor Teil des europäischen Emissionshandels, bekam in den letzten Jahren die meisten Zertifikate aber geschenkt. Wenn Airlines innerhalb Europas mehr CO2 ausstoßen, als diese Zertifikate abdecken, müssen sie zusätzliche Verschmutzungsrechte kaufen. Auf dem Papier wächst der EU-Flugverkehr deshalb „klimaneutral“, wie die Branche betont. Zwar steigen die Emissionen des Flugverkehrs selbst weiter.
Aber wenn eine Airline ein Zertifikat etwa von einer Industriefabrik kauft, konnte diese ihre Emissionen entsprechend verringern und braucht es nicht mehr. Theoretisch sinken dann die Emissionen unter dem Strich, obwohl der Flugverkehr wächst.
Zwischen 2021 und 2027 könnten auf die EU-Airlines demnach zusätzliche Kosten von rund fünf Milliarden Euro zukommen. „Das würde die Fluglinien treffen“, schreibt die Kommission, „aber die Emissionen im Flugverkehr steigen steil an und werden noch weiter steigen, während sie anderen Sektoren sinken.“
Die Fluglinien werden versuchen die höheren Kosten an die Passagiere weiterzugeben, vermutet die Kommission. Sie hält den Emissionshandel aber für eine bessere Lösung als eine Kerosinsteuer, die ohnehin nur schwer einzuführen wäre.
Kommission will Elektro-Offensive anstoßen
In den ersten 100 Amtstagen der neuen Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen soll auch eine Elektro-Offensive angestoßen werden: Um den Bürgern ihre „Reichweitenangst“ zu nehmen, soll die Zahl der Ladestationen bis 2025 um eine Million steigen.
Das wären mehr als zehn Mal so viele wie es heute gibt. Die dafür nötigen Milliarden sind teils schon eingeplant und könnten teils innerhalb des EU-Kohäsionsfonds umgeschichtet werden.
Im Bereich Digitalisierung plant die Kommission, alle ländlichen Regionen bis zum Jahr 2025 mit schnellem Internet zu versorgen. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die ebenfalls geplante Digitalisierung der Landwirtschaft. Außerdem soll es ein europaweites Desinformations-Abwehrzentrum geben.
Im Rahmen dieser Maßnahme wird auch die Einrichtung einer Website vorgeschlagen, die über Desinformationsversuche aufklären soll. Die EU-Kommission selbst könnte nach den Plänen zu einer „datengesteuerten Organisation“ umgeformt werden, die mit Hilfe moderner Daten-Technologien ihre Verwaltungs- und Politikprozesse reformieren soll, um schneller auf aktuelle Herausforderungen reagieren zu können.
In dem Dokument mit derzeit 173 Seiten wurden Vorhaben für die ersten Monate der neuen Kommission gesammelt, die unter der bereits vom EU-Parlament akzeptierten Präsidentschaft der deutschen CDU-Politikerin Ursula von der Leyen am 1. November ihre Arbeit aufnimmt.
Die Wunschliste kann aber nicht einfach so durchgesetzt werden. Zum einen muss sich Kommission mit dem Parlament und dem Rat, also den Mitgliedsländern, einigen. Zum anderen stehen die Kommissare – derzeit 28 –, die von den Mitgliedsstaaten entsendet werden, noch nicht fest. Da das Parlament über ihre Wahl noch mitbestimmt und eher progressiv orientiert ist, dienen ambitionierte Vorschläge wie in dem 100-Tage-Papier auch dazu, die Chance auf eine Zustimmung des Parlaments zu erhöhen. Über das Papier hatte zuerst der Brüsseler Informationsdienst „Politico“ berichtet.