Steuerschätzung bis 2026: Finanzminister Lindner freut sich – und dämpft Erwartungen
Mit 220 Milliarden Euro Steuerplus können Bund, Länder und Kommunen bis 2026 rechnen. Aber es gibt Unsicherheiten – und einiges ist schon verplant.
Mit den Steuerschätzungen ist es so eine Sache: Mal halten sie länger, mal haben sie ein schnelles Verfallsdatum. Letztlich sind sie „Momentaufnahmen“ – den Begriff gebrauchte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag mit Bedacht, als er das neueste Zahlentableau vorstellte. Denn für diese Steuerschätzung gilt das in besonderem Maß.
Wegen des Ukraine- Kriegs, der inflationären Tendenzen, der unklaren Weiterentwicklung der Corona- Pandemie, der globalen Lieferketten- und Produktionsprobleme ballen sich mehrere Unwägbarkeiten. Und niemand weiß genau, wie sich diese im Zusammenhang auswirken werden in den nächsten Monaten oder auch Jahren. Lindners Einstiegsformel bei seiner Pressekonferenz lautete: „Es gibt keinen Grund für Jubelmeldungen.“
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Die jeweiligen positiven und negativen Folgen für die Steuereinnahmen abzuschätzen, war die Kunst. So musste zum Beispiel abgewogen werden, wie sich die hohen Energiepreise auswirken. Grundsätzlich treibt eine Inflation die Einnahmen etwa über die Umsatzsteuer nach oben. Aber sie kann auch zu Kaufzurückhaltung, zum Sparen führen, was die Einnahmen wieder senkt.
Ein anderes Beispiel: Führt Inflation mittelfristig zu höheren Gehältern, weil Arbeitnehmer auf einen Ausgleich dringen? Oder führt ein schlechteres wirtschaftliches Umfeld dazu, dass Gewerkschaften eher Lohnzurückhaltung üben? Das eine treibt die Steuern nach oben, das andere dämpft sie. Dazu kommt, dass höhere Preise nicht nur potenziell höhere Einnahmen bedeuten, sondern eben auch höhere Ausgaben beim Staat.
Entlastungspaket nicht enthalten
Und es kommt noch eine Besonderheit der Steuerschätzung hinzu. Die Runde der etwa 30 Finanzbeamten und Ökonomen, die sich unter Leitung des Bundesfinanzministeriums zweimal im Jahr zur Schätzung trifft (im Mai und im November), darf noch nicht im Parlament beschlossene Vorhaben einer Regierung nicht in ihre Daten einbeziehen. Aktuell betrifft das ausgerechnet das zweite Entlastungspaket der Ampel-Koalition.
Kurzum: Die Mehreinnahmen für Bund, Länder und Kommunen in Höhe von 220 Milliarden Euro, die Lindner für den Zeitraum bis 2026 nannte, sind tatsächlich Stand 12. Mai – und wenig mehr. Schon in wenigen Wochen kämen die Schätzer möglicherweise auf eine andere Zahl. Und im November kann es wieder anders aussehen, vor allem, wenn sich die derzeit noch relativ stabile Wirtschaftslage heftiger eintrübt.
Für das laufende Jahr nannte Lindner ein Steuerplus von 17 Milliarden Euro für den Bund – doch ist das die Summe, die der Minister auch erwähnte, als es um die Mindereinnahmen durch das Entlastungspaket ging. Ein Nullsummenspiel also.
Minister will Inflationsanpassung
Angesichts der vorab geweckten Erwartungen wegen angeblich überraschend positiver Zahlen oder „gigantischer Mehreinnahmen“ (so eine Schlagzeile) sah sich Lindner veranlasst, den warnenden Finanzminister zu geben. Der Spielraum für 2022 sei nicht groß, sagte er am Donnerstag. Drei Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wollte er nochmals das Signal senden, dass die Koalition im Bund die Bürger weiter entlasten wolle – was die Staatseinnahmen weiter schmälert. Der FDP-Chef will schließlich nicht als Kassenhüter des nehmenden Staates erscheinen. Oder als Schulden-Lindner, wie ihn die Union derzeit gern nennt. Er will als solider Haushälter gelten, der den Bürgern etwas gibt.
[Lesen Sie dazu bei Tagesspiegel Plus: Wie die Steuerschätzer arbeiten]
Lindner verwies daher darauf, dass nach der Abschaffung der EEG-Umlage ab 2023 der Regelsatz der Grundsicherung und der Steuerfreibetrag für alle erhöht werden solle. Zudem müsse der Einkommensteuertarif an die Inflation angepasst werden.
Auch verwies Lindner auf ein nun wieder wachsendes Ausgabenrisiko des Staates – steigende Zinsen. Wenn alte Anleihen umgeschuldet werden in den kommenden Jahren, wird der Staat nicht mehr so billig davonkommen wie in der Nullzinsphase. Ein Teil der nun geschätzten Mehreinnahmen für die kommenden Jahre wäre damit ebenfalls bereits verplant.