Ampel braucht nochmals 40 Milliarden neue Kredite: Rekordverschuldung - oder doch nicht?
Die Regierung legt für 2022 einen Ergänzungsetat vor. Was kommt da zusammen? Ein Überblick über die nicht ganz unkomplizierte Schuldenpolitik der Koalition.
Die Verschuldung des Bundes steigt in diesem Jahr weiter: Fast 40 Milliarden Euro soll der Ergänzungsetat für 2022 beinhalten, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschieden will. Das wurde am Montag bekannt. Wie es aus dem Bundesfinanzministerium hieß, wird der seit Wochen angekündigte Zusatzhaushalt nun exakt 39,2 Milliarden Euro umfassen.
Er wird über neue Kredite finanziert und soll nach dem Beschluss in der Ministerrunde dann im Bundestag zusammen mit dem schon seit Anfang März vorliegenden Entwurf für den Etat des laufenden Jahres beraten werden. Beschließen wird das Parlament den Gesamtetat für das laufende Jahr voraussichtlich Anfang Juni. Wie es weiter hieß, soll die EU-Regel für die staatliche Gesamtverschuldung – maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Mitte des Jahrzehnts hin wieder eingehalten werden.
Der nunmehr vorliegende Ergänzungsetat setzt sich zusammen aus Mehrausgaben in Höhe von 26,3 Milliarden und Mindereinnahmen in Höhe von 12,9 Milliarden Euro. Letztere resultieren aus den Beschlüssen für das Ende März vorgelegte zweite Entlastungspaket, also die Energiepreispauschale, der Kinderbonus, die temporäre Senkung der Energiesteuer auf Sprit und das preisreduzierte ÖPNV-Ticket.
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Bei den Mehrausgaben schlagen unter anderem die Energiekostenhilfe für Unternehmen mit fünf Milliarden Euro zu Buche sowie zwei Milliarden für die Flüchtlingskosten zugunsten der Länder und die Erhöhung der Militärhilfe für Partnerstaaten in Höhe von 1,8 Milliarde, wovon das meiste an die Ukraine fließen soll. Zudem hat sich die Regierung einen Vorsorgepuffer in Höhe von knapp 14 Milliarden Euro für unerwartete Ereignisse angelegt.
Ausgaben von 483 Milliarden Euro
Nimmt man beide Entwürfe - Jahresetat 2022 und Ergänzungsetat - zusammen, plant der Bund in diesem Jahr mit Ausgaben in Höhe von 483,9 Milliarden Euro. Davon werden nach den Angaben aus dem Ministerium 138,9 Milliarden Euro über neue Kredite finanziert. Bisher waren im regulären Etat schon 99,7 Milliarden Euro veranschlagt. Diese werden über die Notfallklausel der Schuldenbremse ermöglicht – und zwar pandemiebedingt.
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Das ist allerdings nicht die Gesamtsumme, welche die Ampel-Koalition in diesem Jahr an neuen Schulden bereits beschlossen oder noch auf der Liste hat. Schon im Januar hat sich das Regierungsbündnis von SPD, Grünen und FDP mit einem Nachtragsetat für 2021 zusätzliche Kreditermächtigungen in Höhe 60 Milliarden Euro genehmigt, ebenfalls mit der Begründung, die Pandemie mache sie notwendig. Sie sind nicht zuletzt für Investitionen in den Klimaschutz vorgesehen – in diesem Jahr und in den kommenden Jahren. Begründet hat die Koalition diesen Schritt damit, es seien nachholende Investitionen nötig, die in der Corona-Zeit unterblieben seien.
Unterschiedliche Begründungen
Für die Schulden im Ergänzungsetat wird auch die Notfallklausel genutzt – allerdings dient in diesem Fall die Ukrainekrise als Begründung. Am Mittwoch wird der Bundestag zudem erstmals über das kreditfinanzierte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro debattieren, über das die Bundesregierung neue Rüstungsgüter für die Bundeswehr anschaffen will – außerhalb des Regimes der Schuldenbremse, weshalb eine Grundgesetzänderung vorgesehen ist. Es ist umstritten, die Unions-Fraktion wird gebraucht und stellt Bedingungen.
Nun stellt sich die Frage: Ist das zusammengenommen eine neue Rekordverschuldung – oder doch nicht? Addiert man die Beschlüsse des Jahres 2022 zusammen, landet man bei 298,9 Milliarden Euro – das wäre weit mehr als die Nettokreditaufnahme in den beiden Pandemiejahren zuvor. 2020 musste der Bund 130 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, 2021 waren es 155 Milliarden.
Was gehört zur Verschuldung 2022?
Aber in der Koalition wird anders gerechnet. Offiziell plant sie für 2022 nur mit der am Montag genannten Neuverschuldung in Höhe von 138,9 Milliarden Euro. Die 60 Milliarden Euro aus dem Nachtragsetat werden dem Jahr 2021 zugerechnet, denn SPD, Grüne und FDP nutzten nicht genutzte Kreditermächtigungen der Vorgängerregierung für diese Form einer Vorratsverschuldung. Für 2021 stehen daher offiziell 215 Milliarden Euro in der Ist-Bilanz, auch wenn im Jahresverlauf tatsächlich eben 60 Milliarden weniger gebraucht wurden.
Auch den 100-Milliarden-Nebenetat zugunsten der Armee rechnet die Koalition nicht der Neuverschuldung in diesem Jahr zu. Auch diese Kreditermächtigungen sind Schulden auf Vorrat, die erst haushaltsrelevant werden, wenn die Waffenkäufe finanziert werden müssen (Konkretes ist dazu noch gar nicht beschlossen). Binnen fünf Jahren soll das Geld jedoch fließen, so die bisherige Annahme – es kann natürlich auch ein längerer Zeitraum werden. 2022 wird wegen der notwendigen Planungsvorläufe bei Beschaffungsprojekten jedenfalls wenig bis nichts aus diesem Sondervermögen abfließen, so viel ist heute schon klar.
Zwei Summen zur Wahl
So hat man die Wahl. Man kann der Regierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und ihrem Finanzminister Christian Lindner (FDP) knapp 300 Milliarden Euro an neuen Krediten zurechnen, die jetzt im ersten Regierungsjahr beschlossen und zur Ausgabendeckung im laufenden Jahr und zur Projektfinanzierung in den nächsten Jahren genutzt werden. Das wäre dann eine recht ordentliche neue Rekordverschuldung, die wohl auf lange Zeit Bestand haben würde – käme es nicht wieder zu einer Ballung von Krisen. Oder aber man zieht die Summe von 160 Milliarden Euro an Vorratsschulden ab. Dann beträgt die allein auf das Jahr 2022 bezogene Schuldensumme eben knapp 140 Milliarden Euro. Was dann keine Rekordverschuldung wäre.
In der Auflistung der Neuverschuldung in der offiziellen Finanzplanung bis 2026 tauchen die 160 Milliarden Euro allerdings bisher nicht auf. Noch plant die Regierung für diesen Zeitraum nur mit neuen Krediten in Höhe von zusammen 43,6 Milliarden Euro, womit sie im erlaubten Rahmen der Schuldenbremse bliebe. Insbesondere Lindner und die FDP pochen darauf, die Schuldenregel im Grundgesetz ab 2023 wieder einzuhalten. Und weil die Vorratskredite in Höhe von 160 Milliarden Euro zum einen (im Nachtragsetat) über die Notfallklausel begründet wurden, zum anderen aber (via Sondervermögen) an der Schuldenbremse vorbei aufgenommen werden sollen, kann der Finanzminister sie – folgt man dieser Linie – außen vor lassen.
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