Seehofer will „europäische Lösung“: Feuer von Moria entfacht den Groko-Streit neu
Die SPD will Flüchtlinge aus dem abgebrannten Lager nach Deutschland holen. CSU-Innenminister Horst Seehofer lehnt das ab.
Mit den Bildern von Moria, den verkohlten Zeltplanen und verzweifelten Menschen, ist sie wieder zurück: die Kritik an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).
Noch bevor die Fotos am Morgen nach dem Feuer das Ausmaß der Zerstörung zeigten, jagten die ersten Forderungen über Twitter: Seehofer müsse seine „Blockade“ in der Migrationspolitik aufgeben, damit man nun endlich Menschen aus Moria nach Deutschland holen könne. Vor allem aus der SPD ist das lautstark zu hören – womit das Feuer von Moria auch einen alten Streit in der Groko neu entfacht.
„Moria muss evakuiert und die Frauen, Männer und Kinder auf dem griechischen Festland und in anderen europäischen Ländern in Sicherheit gebracht werden“, fordert SPD-Chefin Saskia Esken. „Dazu muss der Bundesinnenminister seine Blockadehaltung im Hinblick auf die Seebrücke beenden.“
Rolf Mützenich, Fraktionschef der SPD im Bundestag, wünscht sich ein Machtwort von Angela Merkel (CDU): „Wir dringen auch gegenüber der Bundeskanzlerin auf eine schnelle Lösung.“ Es gebe genug deutsche Städte und Kommunen, die zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit seien.
„Wir haben keine Zeit zu verlieren“
So wollen etwa die rot-rot-grünen Regierungen von Berlin und Thüringen mit „Landesaufnahmeprogrammen“ Flüchtlinge nach Deutschland holen. 300 besonders Schutzbedürftige, vor allem Frauen und Kinder, will Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) aufnehmen. „Dazu stehen wir nach wie vor“, teilte er am Mittwoch mit.
Seehofer hatte die Aufnahme zuletzt mit Verweis auf das Aufenthaltsgesetz untersagt. Das erlaubt es den Bundesländern, Ausländer aus humanitären Gründen nach Deutschland zu holen. Allerdings bedarf es dafür „des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern“.
Geisel will in der kommenden Woche eine Initiative in den Bundesrat einbringen, um das Gesetz zu ändern. So lange könne man nicht warten, sagt der migrationspolitische Sprecher der SPD im Bundestags, Lars Castellucci: „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Die Bundesregierung müsse jetzt „auf europäischer Ebene eine Zahl nennen, wie viele Menschen aus den Lagern in Griechenland die Städte und Kommunen bei uns aufnehmen wollen“, so Castellucci weiter.
In der Unionsfraktion wiegelt man jedoch ab. Man werde nicht über Nacht den Kurs in der Flüchtlingspolitik ändern, heißt es.
Auch im Innenministerium sieht man keinen Grund, „unsere bisherige Rechtsordnung infrage zu stellen“. Bei CDU und CSU ist die Sorge groß, dass ein Alleingang Deutschlands eine „europäische Lösung“ verhindern könnte. Die Bereitschaft vieler Kommunen, Flüchtlinge aufzunehmen, sei zwar „anerkennenswert“, hatte Merkel kürzlich gesagt. „Wenn sich aber in Europa herumspricht, dass alle Flüchtlinge, die jetzt zur Debatte stehen, von Deutschland aufgenommen werden, werden wir nie eine europäische Lösung bekommen.“ Auch Außenminister Heiko Maas und Vizekanzler Olaf Scholz (beide SPD) bevorzugen eine EU-Lösung.
Seehofer: Hardliner oder Flüchtlingsretter?
Den Vorwurf vieler Genossen, der „Hardliner“ Seehofer verhindere eine humanitäre Lösung, will man in der Union nicht gelten lassen. In der Unionsfraktion verweist man darauf, dass sich der Innenminister seit längerem für eine Aufnahme von besonders Schutzbedürftigten einsetze. So habe er eine „kleine Lösung“ in Malta ausverhandelt. Vor einem Jahr hatte Seehofer mit Malta und Italien einen „temporären Notfallmechanismus“ für die Aufnahme von Bootsflüchtlingen vereinbart. Auch gebe es die Zusage des Innenministers, in einer „Koalition der Willigen“, an der sich inzwischen 13 EU-Staaten beteiligen, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen.
Das erkennt auch der SPD-Politiker Castellucci an. „Horst Seehofer hat auf EU-Ebene teilweise Bewegung in die Migrationspolitik gebracht“, sagt er. „Die Aufnahme von kranken und minderjährigen Flüchtlingen läuft aber insgesamt erbärmlich schleppend.“
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In der Tat hat Seehofer, der zu seiner Zeit als CSU-Chef im Jahr 2011 noch davon sprach, das deutsche Sozialsystem „bis zur letzten Patrone“ gegen Einwanderer zu verteidigen, in der Vergangenheit seinen Kurs in der Migrationspolitik geändert.
So hat er rhetorisch deutlich abgerüstet und spricht sich für eine „humane“ Migrationspolitik aus. Mittlerweile hört man von ihm Sätze wie: „Mir ist eine geordnete Flüchtlingspolitik lieber als ungeordnete Zuwanderung.“ Das würden wohl alle Bundestagsparteien unterschreiben – außer der AfD, deren Fraktionschefin Alice Weidel den Brand von Moria zum Anlass nahm, um die Abschiebung der Menschen aus dem Lager „nach Hause ins Heimatland“ zu fordern.
Auch von der Idee, Flüchtlinge aus der Sahara in nordafrikanischen Lagern zu internieren, ist Seehofer inzwischen abgerückt. Im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft will er nun das „Gemeinsame europäische Asylsystem“ (GEAS) reformieren. Organisationen wie „Pro Asyl“ sehen dahinter allerdings einen Versuch, das Asylrecht in Europa auszuhöhlen.
Einigkeit herrscht darüber, dass die Menschen in Moria nun vor allem eine schnelle Notversorgung brauchen. Die Bundesregierung will „zügig und unkompliziert“ Hilfe schicken. Für Castellucci ist das Feuer ein Weckruf. „Ich frage mich, was muss noch alles passieren, bis wir endlich handeln?“
Paul Starzmann