Notfalls Rechtsstreit mit Seehofer: Berliner SPD dringt auf schnelle Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland
Die Berliner SPD will die Evakuierung griechischer Flüchtlingslager vorantreiben. In der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen bremsen die Genossen dagegen.
In den rot-rot-grünen Landesregierungen von Berlin und Thüringen mehren sich die Auseinandersetzungen um die Evakuierung von Flüchtlingen aus den Lagern in Griechenland, die mit sogenannten Landesaufnahmeprogrammen nach Deutschland geholt werden sollen.
In Berlin wächst der parteiinterne Druck auf SPD-Innensenator Andreas Geisel, das Programm zügig in die Tat umzusetzen. In einem Beschluss vom Dienstag fordert der Landesvorstand der Berliner Sozialdemokraten Geisel auf, „die Aufnahme einer zu definierenden Gruppe geflüchteter Menschen von den griechischen Inseln anzuordnen und dazu die Zustimmung vom BMI einzuholen“.
Dem BMI – dem Bundesinnenministerium – hatte Geisel vor einem knappen Monat einen Brief geschrieben und darin Deutschlands „humanitäre Verpflichtung“ gegenüber den Geflüchteten in den Elendslagern auf den griechischen Inseln betont. Dabei wiederholte der SPD-Politiker die grundsätzliche Bereitschaft Berlins, mindestens 70 Menschen aufzunehmen. Bislang fehlt dazu allerdings die Zustimmung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).
In der Berliner SPD, wo man offenbar von Geisel mehr Engagement erwartet, ist von einer „einseitigen Brieffreundschaft“ die Rede, die der Senator mit Seehofer führe, wie in junger Funktionär spottet.
Soll Berlin gegen Seehofer klagen?
Die Berliner Genossen fordern nun, dass Geisel im Zweifelsfall die juristische Auseinandersetzung mit Seehofers Ministerium sucht. „Sollte das BMI die Anordnung ablehnen, ist zu prüfen ob das Land Berlin die Ziele des Landesaufnahmeprogrammes auf dem Rechtsweg weiterverfolgt“, heißt es in dem Papier, das am Dienstag in einer Schalte des Vorstands unter Leitung von SPD-Landeschef, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller, verabschiedet wurde.
„Das ist ein guter Beschluss“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, die Mitglied im Landesvorstand ist. „Damit senden wir auch ein Signal an die Bundesebene, an Herrn Seehofer, dass es viele Kommunen und auch Länder gibt, die Geflüchteten aus den griechischen Lagern Schutz bieten wollen.“ Ein Sprecher der Senatsverwaltung sagt auf Tagesspiegel-Anfrage: „Der Innensenator steht inhaltlich zu 100 Prozent hinter dem Beschluss des Landesvorstandes.“
Auch die Organisation „Seebrücke“ begrüßt den Vorstoß des SPD-Landesvorstand: „Bundesländer müssen handeln wenn Bund und EU es nicht tun“, heißt es bei den Flüchtlingshelfern.
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Laut Aufenthaltsgesetz dürfen die Bundesländer „Ausländer aus bestimmten Staaten“ aus „völkerrechtlichen oder humanitären Gründen“ nach Deutschland holen. Zur „Wahrung der Bundeseinheitlichkeit“ bedarf das allerdings des „Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern”.
Aus Sicht des SPD-Landesvorstands ist Seehofers Zustimmung für das Landesaufnahmeprogramm jedoch nicht nötig. Die „Aufnahme einer in Quantität und Qualität definierten Gruppe von geflüchteten Menschen“ stelle keine „Gefahr der Verletzung der Bundeseinheitlichkeit in diesem Sinne dar“, heißt es in einer Erklärung der Antragssteller, die unter anderem aus der Berliner SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration & Vielfalt stammen.
Die Abgeordnete Kiziltepe teilt deren Sicht: „Da kann man schon mal fragen, was hier mit dem Föderalismus los ist, wenn die humanitäre Hilfe vom Veto des Bundesinnenministers abhängt. Es ist deshalb auch richtig, die Sache notfalls auf juristischem Weg zu klären.“
Senatsverwaltung: Klage gegen Seehofer wäre aussichtslos
In der Senatsverwaltung wiegelt man allerdings ab. Der Abschnitt im Aufenthaltsgesetz (§ 23 Absatz 1), auf den sich der SPD-Landesvorstand beruft, biete nur die „Rechtsgrundlage für die humanitäre Aufnahme von Menschen aus einem Drittstaat, also außerhalb der EU. Die geflüchteten Menschen auf den griechischen Inseln befinden sich aber bereits in Griechenland und damit innerhalb der EU“. Eine Klage des Landes Berlin gegen das Bundesinnenministerium sei deshalb „juristisch aussichtslos“.
Hakan Demir, Mitglied im Landesvorstand und Landesvorsitzender der AG Migration, hat eine andere Einschätzung. Das Aufenthaltsgesetz unterscheide nicht „nach dem Ort der Notlage“. Damit zeichnet sich ein Streit zwischen Geisel und den Genossen über die Auslegung des Gesetzestextes ab.
Streit in der Thüringer Koalition
Während in Berlin die Sozialdemokraten die Evakuierung von Geflüchteten vorantreiben wollen, zeigen sich ihre Genossen in der rot-rot-grünen Thüringer Landesregierung in der Sache als Bremser. Am Mittwoch trafen sich Thüringens Justizminister Dirk Adams (Grüne) und SPD-Finanzministerin Heike Taubert zum Chefgespräch, um den Streit zwischen ihren beiden Parteien auszuräumen.
Taubert wollte sich anschließend nicht äußern. Adams sagte am Dienstagabend dem Tagesspiegel: „Auch wenn noch keine Einigung erreicht ist, bin ich zuversichtlich, dass wir zu einem Landesaufnahmeprogramm kommen werden. Offen ist zum Beispiel die Anzahl der maximal aufzunehmenden Geflüchteten und der Anteil der UMAs daran. Innerhalb der nächsten Tage soll darüber entscheiden werden.“
Eine Initiative des Thüringer Justizministers sehen die Sozialdemokraten, die in der Erfurter Dreierkoalition als zweitgrößter Partner mitregieren, skeptisch. Adams will bis zum Jahr 2023 insgesamt 2000 Geflüchtete aus Griechenland in den Freistaat holen.
Der migrationspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Hartung, wirft den Grünen „reine Symbolpolitik“ vor. Es wäre „wesentlich einfacher“, das Vorhaben im Einvernehmen mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) umsetzen. Adams aber wolle es „gegen den Bund machen“. Hartung sagte: „Das wird aber nicht funktionieren.“ Der Plan für Thüringen benötige „Rechtssicherheit“, sonst sei er zum Scheitern verurteilt. Grundsätzlich seien auch die Thüringer Sozialdemokraten zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit – nur eben nicht im Alleingang.
Wie auch der Grünen-Minister Adams wünschen sich auch die Berliner Sozialdemokraten eine Ausweitung derjenigen Personengruppen, die für eine Evakuierung von den griechischen Inseln infrage kommen. Neben unbegleiteten Minderjährigen sollen das laut dem Beschluss des SPD-Landesvorstands „neben religiösen Minderheiten und wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminierten Menschen auch Alleinerziehende und ihre Kinder, Familien, sowie Menschen mit Erkrankungen und von Traumatisierung betroffene Menschen“ sein.