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Geflüchtete Familie am Münchner Hauptbahnhof vor zwei Jahren.
© Andreas Gebert/dpa

Vor Koalitionsverhandlungen: Bamf korrigiert Einschätzung zum Familiennachzug

Ob Flüchtlinge ihre Familien nachholen dürfen, dürfte ein wesentlicher Streitpunkt der Koalitionsverhandlungen werden. Jetzt liefert das Bamf neuen Stoff für Diskussionen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) korrigiert seine Einschätzung, für jeden anerkannten Flüchtling würde etwa ein Familienmitglied nachziehen, nach unten. Eine frühere „Einschätzung und Berechnung entspricht nicht mehr dem aktuellen Geschehen“, sagte eine Sprecherin des Bamf dem Tagesspiegel. Das Amt war in einer internen Einschätzung im Herbst 2015, also unmittelbar nach dem Sommer der Migration, von einem Faktor von 0,9 bis 1,2 Nachzügen pro anerkanntem Geflüchteten ausgegangen. Die Sprecherin verwies auf das Asylpaket II vom März 2016. Es nimmt Asylbewerbern, die lediglich subsidiären, also eingeschränkten Schutz erhalten, bis zum Frühjahr 2018 die Möglichkeit, Angehörige nachzuholen. Neue Zahlen nennt die Nürnberger Behörde nicht: „Eine aktuelle Einschätzung gibt es nicht.“

"Schlechte Politik mit unhaltbaren Zahlen"

Nach Berechnungen der Linksfraktion allerdings liegt der Faktor auch für die Flüchtlinge, die ihre Familien weiterhin nachholen dürfen, nur halb so hoch, und dies für den gesamten Zeitraum. Die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke bezog sich dabei auf Zahlen des Auswärtigen Amts. Demnach entfallen auf die etwa 360 000 syrischen und irakischen Asylbewerber – die der wichtigsten Herkunftsländer –, die von 2015 bis Mitte dieses Jahres Asyl oder den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhielten, 170 000 Visa-Anträge für den Nachzug von Angehörigen. 100 000 Visa wurden erteilt, 70 000 Menschen warten noch darauf, ihr Visum beantragen zu können. „Daraus ergibt sich ein rechnerischer Nachzugsfaktor in Höhe von 0,5“, so Jelpke. Sie beklagte, dass „mit unhaltbaren Zahlenprognosen schlechte Politik gemacht werde“.
Die Unionsfraktionen hatten sich am Sonntag darauf geeinigt, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte auch über den März 2018 hinaus auszusetzen. Die neu im Bundestag vertretene AfD operierte am Mittwoch gar mit dem „Faktor 4“, also vier Nachzüglern pro Flüchtling. Ihr Fraktionschef Alexander Gauland sprach von einer „Migrationswelle von rund zweieinhalb Millionen Menschen nach Deutschland allein in 2018“ und sprach von einer „Gefahr für den sozialen Frieden und die innere Sicherheit“, für die er vor allem die Grünen verantwortlich macht.

Grüner Palmer begrüßt Unionsbeschlüsse

Die Grünen dürften den Familiennachzug zu einem Knackpunkt der bevorstehenden Verhandlungen zu einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition machen und haben bereits Widerstand gegen den Unionsbeschluss vom Sonntag angekündigt. Das erneute Nein der CDU/ CSU zum Familiennachzug nannte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin eine „Verleugnung urchristlicher Werte“. Außerdem verhindere es Integration. Das Unionspapier enthält neben den Aussagen zum Familiennachzug auch eine Zielgröße von 200 000 Flüchtlingen, die man pro Jahr höchstens aufnehmen will. Dem Parteilinken Trittin widersprach am Mittwoch der grüne Bürgermeister von Tübingen Boris Palmer, der sich zustimmend über die Unionsbeschlüsse äußerte: „Die Ausweitung sicherer Herkunftsländer, die Einrichtung von Ausreisezentren, Aussetzung des Familiennachzugs – das ist kein Papiertiger, aber auch keine Verleugnung urchristlicher Werte, sondern pragmatische Politik“, sagte Palmer der „Rhein-Neckar-Zeitung“. „Die Mehrheit der Menschen im Land will mehr Begrenzung und Steuerung in der Asylpolitik als wir Grüne.“ Das müsse in den Gesprächen über eine Jamaika-Koalition zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP eine Rolle spielen. Palmer empfahl den Parteifreunden, ihre Verhandlungsschwerpunkte anders zu setzen: „Die Grünen müssen in den Koalitionsverhandlungen ihr Augenmerk vor allem auf die Umwelt- und Klimaschutzpolitik richten. Die Menschen wählen uns in erster Linie wegen dieser Themen.“

Jamaika sondiert ab nächster Woche

Die Liberalen hatten in ersten Reaktionen auf das Papier der Unionsparteien durchblicken lassen, dass ihnen Obergrenzen oder Zielzahlen in der Flüchtlingspolitik weniger wichtig sind als ein Einwanderungsgesetz. Dass dies jetzt auch auch die Union wolle, nannte FDP-Vize Wolfgang Kubicki „bemerkenswert“. Deren Festlegung auf Zahlen werde keine Rolle spielen. FDP und Grüne sind ohnehin für ein solches Gesetz und haben dazu bereits Vorschläge vorgelegt.
Die Sondierungen zwischen CDU/CSU, Grünen und der FDP sollen am Mittwoch beginnen.

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