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Alle wollen gut abschneiden beim Corona-Management, mal mit-, mal gegeneinander: Manuela Schwesig (SPD, rechts), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Berlins Regierender Michael Müller (SPD), bei der Coronaschalte.
© dpa

„Im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen“?: Fehler gehören dazu, Frau Merkel – und das Eingestehen auch

Mit ihrer Dissonanz in der Corona-Kommunikation provozieren Merkel, Schwesig, Söder & Co den Vertrauensverlust, den sie beklagen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Es gibt Sätze in der Politik, die fordern eine zornige Replik oder sarkastischen Spott geradezu heraus, weil sie so quer zum allgemeinen Empfinden den Raum füllen. „Ich glaube, dass im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen ist“, sagt Angela Merkel über die Coronalage in Deutschland.

Der erste Reflex: Wie kann der Kanzlerin solch ein Fehlgriff unterlaufen? In der ersten Welle der Pandemie war sie für ihre Kommunikatorin gelobt worden. Ihr Appell „Nehmen Sie es ernst, denn es ist ernst“ trug dazu bei, dass Deutschland erstmal glimpflich davonkam, dank der klugen Mischung aus eindringlicher Warnung, Bitte um Eigenverantwortung und Zuversicht.

Heute ist die Stimmung anders. Ganz viel ist schiefgelaufen, von den Schulen und Kitas über die Nachverfolgung der Ansteckungsketten bis zur Impfstrategie.

Vertrauen in Corona-Management sinkt von 75 auf 49 Prozent

Die Bürger wissen es. Der Anteil derer, die Vertrauen in das Krisenmanagement haben, ist dramatisch gesunken, von 75 Prozent in der ersten Welle über 65 zu Beginn der zweiten, 59 kurz vor Weihnachten auf 49 in diesen Tagen. Wie kann Merkel da behaupten, im Großen und Ganzen sei nichts schiefgelaufen?

Oder verhält es sich womöglich umgekehrt? Hat Merkel den Satz in vollem Bewusstsein der Missstände gesagt, weil sie die Gefahr sieht, dass eine Mehrheit dem Kurs nicht mehr folgen möchte, und sie die Folgen des Vertrauenseinbruchs mehr fürchtet als die absehbare Kritik an ihrer Formulierung? Sie will gewiss auch das Zitat korrigieren, das aus einer vertraulichen Krisensitzung gedrungen war: „Uns ist das Ding entglitten.“

Deutschland durchläuft eine der bislang riskantesten Phasen der Pandemie. In den nächsten zwölf Wochen kommt es auf kollektive Disziplin ganz besonders an. Weder die Impfungen werden schnelle Linderung bringen noch die Erfahrung, dass Atemwegserkrankungen mit dem Frühjahr nachlassen. April und Mai sind noch fern.

Volatile Stimmung: Die Impfbereitschaft steigt

Ausgerechnet jetzt droht die Stimmung zu kippen. Die Umfragen sind freilich widersprüchlich. Lockdown-Vorgaben an sich finden weiter breite Unterstützung, da gibt es nicht den Einbruch wie beim Vertrauen. Die Impfbereitschaft, die um den Jahreswechsel Sorgen bereitete, ist zuletzt deutlich gestiegen.

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Was also tun gegen das wachsende Misstrauen: offen ansprechen, was schief läuft, um durch eine Kultur des Umgangs mit Fehlern verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen? Oder die Missstände damit erklären, dass die Pandemie eine präzedenzlose Herausforderung ist, die Politik so gut sie kann auf Sicht fährt, gewiss nicht alles richtig macht, aber im Großen und Ganzen schon, um die Verunsicherung nicht zu steigern?

Schwesig und Söder mäkeln, Merkel redet die Lage schön

Die Kakophonie der Stimmen ist zu einem eigenen Problem geworden. In den Ländern tun sich Manuela Schwesig und Markus Söder beim Fehler-Beklagen besonders hervor – wohl kaum aus altruistischen Gründen. Merkel versucht es mit der Forderung nach härteren Auflagen und Wegreden der Fehler, Jens Spahn mit einem Mittelweg.

Deutschland ist auf das freiwillige Mittun seiner Bürgerinnen und Bürger stärker angewiesen als andere Staaten Europas. In Frankreich, Spanien, Portugal wurden schnell dreistellige Euro-Bußgelder bei Verstößen verhängt. Wäre das hier praktikabel, hat Deutschland das Personal dafür, oder würde es einen Aufschrei gegen ein autoritär strafendes Vorgehen der Obrigkeit geben?

Stärken, Schwächen und Versuchungen des Föderalismus

Deutschland ist auch kein Zentralstaat. Das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen ist zum Gutteil freiwillig. Der Föderalismus zeigt Stärken, Schwächen - und Versuchungen. Laschet, Schwesig, Söder & Co sind mitverantwortlich für die Unzulänglichkeiten, die sie bei der Kanzlerin abladen. Und was Gesundheitsämter leisten sollten, aber nicht schaffen, liegt auch an den Kommunen, ebenso die Lage in Schulen und Kitas.

Wieso funktioniert die Corona-App nicht, warum bekommt Deutschland es bis heute nicht hin, die Rückkehrer aus Risikogebieten verlässlich zu erfassen und ihre Quarantäne durchzusetzen?

Das Handeln der Politik, ihre Kommunikation und die Wahrnehmung der Bürger sind drei verschiedene Dynamiken, die sich zwar gegenseitig beeinflussen, aber unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen. Die Öffentlichkeit ist, wenn etwas nicht funktioniert, schnell mit der Suche nach Schuldigen, die man an den Pranger stellen kann.

Auch die Kommunikation von Fehlern will abgestimmt werden

Wer komplexe Probleme managen muss, weiß zumeist aus Erfahrung: Fehler sind nicht immer verschuldet. Wäre eine Entscheidung anders gefallen, hätte man nicht keine Probleme, sondern andere Probleme.

Im Umgang mit Fehlern muss sich Dreierlei verbessern. Es ist wichtig, sie zuzugeben; sonst kann man sie nicht beheben. Das Anprangern Anderer zum Ablenken von eigenen Versäumnissen ist verantwortungslos. Und Bund und Länder sollten ihre öffentliche Fehlerkommunikation besser abstimmen. Sonst sinkt das Vertrauen in ihr Coronamanagement weiter. Und das könnte viele Leben zusätzlich kosten.

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