Diskussion um Lieferprobleme beim Impfstoff: Was sich die EU leistet, das ist unverschämt
AstraZeneca und Co. wird vorgeworfen, dass es in Sachen Impfstoff nicht schnell genug vorangeht. Nein, diesen Schuh muss sich die EU selber anziehen. Ein Kommentar.
Da bleibt einem doch fast die Spucke weg. Wie die EU-Kommission jetzt vom eigenen Verhalten, ja Versagen im Bewältigen in der Corona-Krise ablenken will – das grenzt an Unverschämtheit. Vorsichtig ausgedrückt.
Was wird hier Firmen zugemutet, die in Rekordzeit Impfstoffe entwickeln und Unternehmensallianzen geschmiedet haben, um dann milliardenfach Impfdosen zur Verfügung stellen zu können. Die sollen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es nicht ausreichend vorangehe. Nein! Dieser Vorwurf fällt auf die EU zurück. Und zwar nicht allein auf die zyprische Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Die ist doch in dieser Sache nur eine Ausführende.
Kyriakides dringt im Hinblick auf die Liefer- und Produktionsschwierigkeiten des britisch-schwedischen Unternehmens AstraZeneca auf einen genauen Plan, mehr Zuverlässigkeit und auf eine beschleunigte Verteilung der Dosen. (Grund dafür ist eine geringere Produktion an einem Standort in der europäischen Lieferkette.)
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Im Lenkungsausschuss zur EU-Impfstrategie herrschte dementsprechend tiefe Unzufriedenheit darüber – von Selbstkritik war dagegen nichts zu hören. Dabei besteht zu Selbstzufriedenheit, was die eigenen Planungen angeht, kein Anlass.
Immerhin war es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Beschaffung und Verteilung der Impfdosen EU-Präsidentin Ursula von der Leyen zugeschoben hat. Merkel hat von ihrer Richtlinienkompetenz in der Hinsicht Gebrauch gemacht, dass sie Gesundheitsminister Jens Spahn zurückpfiff. Der war zuvor mit anderen europäischen Ländern eine Impfunion eingegangen. Stattdessen ein ziemlich unterwürfiger Brief an die Präsidentin. Die EU übernahm daraufhin. Schon vergessen?
Chefinnensache also. Nur jetzt, da es Kritik hagelt, soll davon keine Rede mehr sein? Vielmehr verbittet sich die EU Kritik, gibt sie sofort zurück, an Deutschland, wo der Unmut quer durch alle Parteien nicht gering ist. Die Organisationsfragen für Impfungen waren aber absehbar; und auch, dass die Vereinbarung von Lösungen mit den Firmen wie den Staaten im europäischen Verbund oben angesiedelt sein muss.
Das Impf-Thema ist supranationaler Natur
Wann bekommt wer wie viel? Wie viele Injektionsfläschchen stehen zur Verfügung? Wie viele Kühlcontainer? Wie wird der Transport gewährleistet? Die Anforderungen sind nicht nur national. Deshalb sollte doch gerade die EU damit befasst werden. Das Ganze erinnert im Übrigen an Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin, die dafür zuständig war, dass die Gewehre schießen, die Panzer rollen, die U-Boote tauchen, die Flugzeuge fliegen, die Schiff in See stechen können. Das hat ja bekanntlich alles nicht so gut geklappt.
Nun war das noch ein eher nationales Thema, kann man sagen. Das jetzt allerdings ist unzweifelhaft supranational: Hier muss konzertiert und konzentriert vorgegangen werden, generalstabsmäßig geradezu, weil es sich um die größte Herausforderung handelt, mit der die EU seit Jahrzehnten konfrontiert ist.
Was die Pharmazie geleistet hat, mit bahnbrechenden Erfindungen in allerkürzester Zeit, grenzt an ein Wunder. Was sich die EU leistet, ist dagegen bestenfalls verwunderlich. Freundlich ausgedrückt.