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Gefahr im Krankenhaus. Für geschwächte Patienten können multiresistente Keime tödlich sein.
© Oliver Berg /dpa
Exklusiv

„Unkenntnis und teilweise Tatenlosigkeit“: FDP attackiert Bundesregierung wegen Zunahme resistenter Keime

Der gefährliche Klinikkeim MRSA ist auf dem Rückzug. Dafür nehmen andere Resistenzen zu. Für die FDP ein Grund, die Regierung heftig zu kritisieren.

Bei der Aufzucht von Masthühnern in Deutschland kommen immer mehr sogenannte Panzerschrank-Antibiotika zum Einsatz. Der Verbrauch dieser Mittel, die wegen starker Nebenwirkungen eigentlich nur für bei schwerste Infektionen reserviert sind, habe in der Hühnermast weiter zu genommen, bestätigte die Bundesregierung. Gleichzeitig sei ein Anstieg von multiresistenten Bakterien in der Lebensmittelkette von Putenfleisch zu beobachten, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion, die dem Tagesspiegel vorliegt.

FDP-Experte entsetzt über "Unkenntnis und teilweise auch Tatenlosigkeit"

Der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann, der bis zu seinem Einzug in den Bundestag vor zwei Jahren als Professor für Infektiologie an der Universität Würzburg arbeitete, nannte den Befund besorgniserregend. Zwar sei es erfreulich, „dass die Zahlen im Antibiotikaverbrauch allgemein nach unten zeigen“. Gleichzeitig schockierten ihn „Unkenntnis und teilweise auch Tatenlosigkeit“ der Bundesregierung bei diesem gravierenden Problem, sagte Ullmann dem Tagesspiegel. Wegen der Zunahme von Antibiotika-Resistenzen bestehe die Gefahr, dass die globale Gesundheitsversorgung in ein „prä-antibiotisches Zeitalter“ zurückfalle. Die Auswirkungen wären „katastrophal“.

Auch die Weltgesundheitsorganisation warnt eindringlich vor der Zunahme multiresistenter Erreger, gegen die selbst Reserve-Antibiotika nicht mehr wirken. Eine Studie des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ist zu entnehmen, dass sich die Zahl der Infektionen mit resistenten Keimen in der EU zwischen 2007 und 2015 fast verdoppelt hat. Mehr als 33.000 Todesfälle seien auf solche Erreger zurückzuführen. Hierzulande hätten sich allein im Jahr 2015 knapp 55 000 Menschen mit antibiotika-resistenten Keimen infiziert, fast 2400 seien daran gestorben. Und die OECD prognostiziert, dass in Europa, Nordamerika und Australien ohne gezielte Maßnahmen bis zum Jahr 2050 rund 2,4 Millionen Menschen an solchen Keimen sterben könnten.

Deutlicher Anstieg von resistenten Darmkeimen

Den Regierungsangaben zufolge hat die Entwicklung von resistenten Darmkeimen – Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) – hierzulande „über die letzten vier Jahre signifikant zugenommen“. Im Gegenzug gingen die Infektionen mit dem Krankenhaus-Killerkeim MRSA weiter zurück.

Ein positiver Befund ist auch, dass die gesamte Antibiotika-Abgabemenge für Tiere deutlich gesunken ist. Sie verringerte sich zwischen 2014 und 2018 um knappe 42 Prozent – von 1238 auf 722 Tonnen. Bei der Masttierzucht ein ähnliche Entwicklung: Hier sank die Abgabemange um 31,6 Prozent - von 298 auf knappe 204 Tonnen. Bei Masthühnern und Mastputen allerdings blieb der Verbrauch laut Regierung „nahezu unverändert“ - und bei den verabreichten Reserve-Antibiotika für Masthühner ist der Anteil an der Verbrauchsmenge teilweise sogar gestiegen.

Man habe daher „verbindlich vereinbart“, dass die Geflügelwirtschaft dem Agrarministerium in den kommenden zwei Monaten eine Strategie zur deutlichen Verringerung des Einsatzes von Antibiotika und insbesondere von Reserveantibiotika vorzulegen habe, heißt es in der Regierungsantwort. Die Antibiotika-Anwendung in der Geflügelmast müsse „optimiert“ werden.

Kliniken entscheiden frei über Screening

Wie hoch die Kosten für die Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Keimen sind, weiß das Gesundheitsministerium nicht. Und auch bei der Frage nach der Häufigkeit eines Screenings auf multiresistente Keime in Krankenhäusern musste das Haus von Minister Jens Spahn (CDU) passen. Klinikärzte könnten „frei über die Art und Häufigkeit der Durchführung von Antibiotika-Empfindlichkeitsprüfungen“ entscheiden, heißt es in der schriftlichen Antwort von Staatssekretär Thomas Gebhart. Daten über den Umfang solcher Tests lägen nicht vor.

„Hier stellt sich für mich die Frage, auf welcher Grundlage die Entscheidungen bei solch einem gravierenden Problem getroffen werden und ob es im Bundesministerium für Gesundheit keinen interessiert, wie hoch der Aufwand und die Kosten sind“, sagte Ullmann. Der FDP-Politiker forderte, den „One-Health-Ansatz“ viel stärker in den Vordergrund zu rücken. Dabei geht es um übergreifende Strategien gegen Antibiotika-Resistenzen für Mensch, Tier und Umwelt.

Forderung nach mehr Hygienefachkräften

Gleichzeitig drängt Ullmann auf mehr Fachkompetenz in den Kliniken. „Dort braucht es festangestellte Hygienefachkräfte, und zwar flächendeckend“, sagte er. Zudem müsse es hierzulande endlich auch bundesweit Fachärzte für Infektiologie geben. Hier sei aber „nicht nur die Bundesregierung gefragt, sondern auch und vor allem die Bundesärztekammer“.

Den Regierungsangaben zufolge hat sich die Zahl der Hygienefachkräfte in den Akutkrankenhäusern zwischen 2005 und 2017 nahezu verdoppelt. Zuletzt wurden 2118 solcher Klinikexperten gemeldet. Allerdings arbeiteten rund 35 Prozent davon nur in Teilzeit. Etwa die Hälfte der knapp 2000 Kliniken verfügt über mindestens eine Hygienefachkraft. Der einzige Lehrstuhl für Infektiologie befindet sich seit 1999 an der Berliner Charite.

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