„Team Nigel“ winkt Wahlsieg: Farage will mit seiner Brexit-Partei das Parteiensystem aufbrechen
In Großbritannien findet die Europawahl schon an diesem Donnerstag statt. Populist Nigel Farage begeistert die Brexit-Fans. Den Tories droht ein Desaster.
Der Lakeside Country Club hat bessere Tage gesehen. In der Bar hängen vergilbte Schwarz-Weißfotos von britischen Entertainern der 1980er Jahre, herausgehoben aus der Masse ist ein Porträt der Tory-Premierministerin Margaret Thatcher (1979-90). An der Theke drängen sich Männer im fortgeschrittenen Alter, viele im Freizeitlook. Noch schnell ein Bier, ehe im Saal die Attraktion wartet.
Dort liegt auf jedem altmodischen Stuhl ein brandneues Plakat der Brexit-Party, und bald strecken die Zuhörer sie begeistert in die Luft. Nigel Farage ist gekommen, der langjährige Europa-Abgeordnete und frühere Chef der Ukip-Partei, dessen neue Partei sich anschickt, bei der schon heute anstehenden Europawahl in Großbritannien unangefochten Platz Eins zu belegen. Von Europa spricht der 55-Jährige kaum.
Nigel Farage hat sich nach der für ihn erfolgreichen Brexit-Abstimmung in die Büsche geschlagen. Dieses feige Verhalten hat aber dazu geführt, dass er von den Brexit-Befürwortern nicht dafür verantwortlich gemacht wird, dass Großbritannien noch nicht aus der EU ausgetreten ist.
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Die mal zornige, mal witzige 15-Minuten-Ansprache im Stil eines Sektenpredigers fokussiert ausschließlich auf das Unterhaus. Weil der für Ende März geplante EU-Austritt verschoben wurde, seien die Abgeordneten eines „wissentlichen, dauerhaften Verrats am größten demokratischen Votum“ des Landes schuldig, ruft Farage. Der Saal tobt: „Nigel, Nigel,Nigel!“
Begeisterte Anhänger gehen an die Urnen, Unentschiedene bleiben daheim
Die Szene in Frimley, eine knappe Autostunde südwestlich von London, hat sich in den vergangenen Wochen dutzendfach wiederholt. Farage richtet seine Aufmerksamkeit auf jene Regionen des Landes, die 2016 für den Austritt gestimmt haben – verarmte Mittel- und Kleinstädte im Norden ebenso wie prosperierende Gemeinden im Speckgürtel der Hauptstadt wie Frimley. Selbst in Schottland, wo Ukip in seinem besten Jahr 1,6 Prozent verzeichnete, sah eine Umfrage die Brexit-Party zu Wochenbeginn bei 20 Prozent. Sein digitales Team überschwemmt das Internet mit höchst professionellen Clips der Auftritte von „Team Nigel“.
Begeisterte Anhänger gehen an die Urnen, die Unentschiedenen bleiben daheim, lautet die Erfahrung des Ukip-Veterans aus sechs Wahlgängen zum Brüsseler Parlament. Zudem werden Europawahlen auf der Insel traditionell als Protestvotum wahrgenommen und leiden unter minimaler Beteiligung. 2014, als Ukip mit 27,4 Prozent Platz Eins belegte, bemühten sich gerade mal 34 Prozent der Wahlbürger an die Urne.
Farage macht sich den Unmut über die Brexit-Verhandlungen zu eigen
Geschickt macht sich Farage, dem die Umfragen bis zu 37 Prozent prophezeien, die allgemeine Verdrossenheit über das Brexit-Thema zunutze und propagiert den chaotischen Austritt ohne Vereinbarung mit der EU („no deal“). „Wir wollen diese Agonie beenden und unser Leben weiterleben.“ Und natürlich sei an weitere Zahlungen in die Brüsseler Kasse nicht zu denken. Dass es schwierige Details zu lösen gibt, die nun einmal auftreten, wenn sich eine führende Industrienation aus der engen Verflechtung mit den Nachbarn lösen will, erwähnt er mit keinem Wort.
Wer will davon schon hören? Die konservative Regierungspartei unter der noch amtierenden Premierministerin Theresa May jedenfalls hat die öffentliche Debatte verweigert, kein Wahlprogramm aufgelegt, keine Tour der Parteichefin oder der Spitzenkandidaten organisiert. Ganz erkennbar wollen die Torys dem ungeliebten Urnengang, der nur durch die Brexit-Verschiebung nötig wurde, die Legitimität entziehen. Der ältesten Partei der Welt droht laut Umfragen ein einstelliges Ergebnis.
Eine ähnlich brutale Klatsche wie den Konservativen dürfte der Labour-Party von Jeremy Corbyn bevorstehen. Umfragen zufolge liegt sie mit 13 Prozent deutlich hinter den Liberaldemokraten (19) und beinahe Kopf an Kopf mit den Grünen (12). Beide Parteien setzen auf eine Ablehnung des Brexit, wollen ein zweites Referendum oder sogar den Austrittsantrag zurückziehen.
Geldzahlungen werden untersucht
Das Europaparlament untersucht derzeit finanzielle Zuwendungen an Farage. Sollte es ein Fehlverhalten feststellen, könnten gegen Farage Sanktionen verhängt werden. Möglich wäre zum Beispiel, ihm Tagegelder zu streichen oder ein Ämterverbot zu verhängen.
Hintergrund der Untersuchung sind Medienberichte in Großbritannien. Nach diesen soll Farage Zuwendungen in Höhe von etwa 450 000 Britische Pfund von dem Millionär und Brexit-Befürworter Arron Banks für die Finanzierung seines extravaganten Lebensstils erhalten haben. Darunter sind Flugreisen, ein Auto mitsamt Chauffeur und die Miete für eine Wohnung im Londoner Nobelviertel Chelsea. Der britische Fernsehsender Channel 4 will dafür Belege in Form von Rechnungen, E-Mails und anderen Dokumenten eingesehen haben.
Nigel Farage stimmt seine Anhängerschaft schon auf die nächste Unterhauswahl ein. „Unser Job“, schreit er, „ist die komplette Erneuerung des Zwei-Parteiensystems“. (mit dpa)