Berlin soll blockiert werden: Extinction Rebellion gefährdet den Klima-Konsens
Radikale Klimaaktivisten wollen Berlin lahmlegen. Mit solchen Aktionen könnten sie genau das zerstören, was Fridays for Future erreicht hat. Ein Kommentar.
Wer diese Woche ein wichtiges Vorstellungsgespräch hat, seine Kinder von der Kita abholen oder in den Urlaub fliegen möchte, könnte ein Problem haben. Von Montag an wollen die Umweltaktivisten von Extinction Rebellion – zu Deutsch: „Rebellion gegen das Aussterben" – Teile der Stadt lahmlegen. Zentrale Verkehrsknotenpunkte in Berlin, etwa der Potsdamer Platz, sollen blockiert werden. Hunderte sind bereit, sich festnehmen zu lassen.
Das Problem des Klimawandels ist so fundamental, finden sie, dass radikale Formen des Protestes angemessen sind. Doch auch, wenn sie in der Sache rechthaben: Diese Form des Protests ist falsch. Die Aktivisten werden das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen möchten. Die breite Akzeptanz, die Fridays for Future für die Proteste und auch für die Sache gewonnen hat, wird schwinden.
In Hamburg trugen im September schwarz-gekleidete Demonstranten das Klima in einem weißen Sarg symbolisch zu Grabe. Im Juni ketteten sich Aktivisten mit Fahrradschlössern an den Zaun des Kanzleramts in Berlin. In London, wo die Bewegung ihren Ursprung hat, zogen sich Protestierende im Unterhaus bis auf die Unterwäsche aus, und zeigten die Slogans auf ihrer Haut. Diese Aktionen sind radikal im Ausdruck, aber legal.
Doch in London hat eine Extinction-Rebellion-Gruppe versucht, mit Drohnen den Luftverkehr lahmzulegen. Auch mit den Straßensperrungen in Berlin stören sie die öffentliche Ordnung. Die spontanen Straßenblockaden in dieser Woche betreffen einzelne Bürger, die sich nicht darauf einstellen können. Mit zivilem Ungehorsam erheben sie sich über das Gesetz.
Ziviler Ungehorsam kann gerechtfertigt sein – in diesem Fall sprechen zwei Gründe dagegen. Zum einen mag die Politik vielen zu langsam an dem Problem arbeiten, doch sie arbeitet daran, ein erster Kompromiss liegt mit dem Klimapaket vor. Es wäre nun sinnvoller, zu versuchen, auf den Prozess einzuwirken – statt durch Radikalität die Gesprächsgrundlage zu zerstören.
Aktivisten gefährden breite Akzeptanz
Zudem gefährden die Aktivisten die breite Akzeptanz der Bewegung. Der Ärger über die Blockaden könnte sich auf die Sache übertragen – und die Unterstützung für mehr Klimaschutz abnehmen. Das wäre fatal für unsere Gesellschaft und für alle Erfolge, die Fridays for Future bereits verzeichnen konnte. Fridays for Future ist ein beeindruckendes gesellschaftliches Phänomen, das später in den Geschichtsbüchern vorkommen wird.
Eine damals 15-Jährige hat innerhalb eines Jahres Millionen von Menschen zu Klimademonstrationen bewegt. Schüler haben sich politisiert und organisiert. Sie haben eine ernstzunehmende Organisation geschaffen, die die Zukunft nachhaltig positiv verändern kann. Und dabei haben sie vor allem das fast erreicht, was Extinction-Rebellion zerstören könnte: Einen gesamtgesellschaftlichen Konsens.
Politiker umarmen Demonstranten rhetorisch
Zu Fridays for Future gehören inzwischen nicht nur Schüler, sondern auch Wissenschaftler und Eltern. Unternehmen und Politiker umarmen die Demonstranten zumindest rhetorisch. Hinter diese Bekenntnisse kommen sie kaum zurück – es sei denn, radikale Aktivisten geben ihnen einen Anlass dazu. Die Schüler haben die Debatte ganz oben auf die politische Agenda gesetzt und waren ein ausschlaggebender Grund dafür, dass es ein Klimapaket der Bundesregierung gibt.
Ein gesamtgesellschaftlicher Konsens für den Klimaschutz und ein konsequentes Handeln der Politik und jedes Einzelnen sind das, was unser Klima retten kann. Radikale Rebellen erreichen mit ihren Aktionen nur das Gegenteil. Sie spalten die Klimaschützer in verschiedene Gruppen und können ein Grund dafür sein, dass sich Menschen vom Klimaschutz abwenden. Der Klimaprotest darf nicht radikaler werden, sondern muss weiterhin die ganze Gesellschaft mitnehmen. Die Rebellen sollten das beachten. Für Aktionen, die der Sache nur schaden, ist das Thema zu wichtig.