Jugendforscher über Klimaaktivisten: „Radikalisierung würde Fridays for Future Sympathien kosten“
Werden die Fridays for Future von schärferen Protestformen wie Extinction Rebellion abgelöst? Jugendforscher Klaus Hurrelmann warnt vor Radikalisierung.
Klaus Hurrelmann hat als Jugendforscher jahrelang die Shell-Jugendstudien verantwortet und ist Professor an der Berliner Hertie School of Governance. Amory Burchard fragte ihn heute nach seiner Einschätzung zu neuen Aktionsformen der Klima-Aktivisten.
Herr Hurrelmann, die Gruppe „Extinction Rebellion“ (Aufstand gegen Auslöschung) trainiert ihre Anhängerschaft, um ab dem 7. Oktober „Berlin lahmzulegen“, besetzt Gebäude und am Montag vorübergehend die Linken-Zentrale. Radikalisieren sich die Klimaproteste?
Die Bewegung war bisher ganz überwiegend in der Hand von Schülerinnen und Schülern, die sehr konstruktiv mit ihrem Protest umgegangen sind. Sehr clever haben die Fridays for Future nur eine Grenze überschritten, nämlich freitags die Schulpflicht zu verletzen. Doch mit ihrer absoluten Forderung, die Bundesregierung müsse jetzt sofort die Pariser Klimaziele einhalten, haben sich die Klimaaktvisten selber unter Zugzwang gesetzt. Wer sagt, das Klimapaket sei vollkommen unzureichend, muss sich neue Protestformen überlegen.
Würden Sie denn sagen, dass sich die Bewegung bereits radikalisiert hat?
Gemessen an den heiteren, aber klaren und zähen Protesten der Kinder und Jugendlichen, die wir seit gut einem Jahr erlebt und breit unterstützt haben, ist das schon eine Radikalisierung. Mit der Berlin-Blockade ab dem 7. Oktober wird ja auch der bisherige Rhythmus verlassen, freitags friedlich auf die Straße zu gehen. Die Bewegung schichtet sich also um. Jetzt kommt es sehr darauf an, ob es trotzdem noch eine „For Future“-Demo bleibt, die die Regeln der Fairness einhält. Sind das friedliche Schüler, die sich nach ein, zwei Stunden wegtragen lassen? Oder lassen sie sich auf Formen der Aggression ein? Das Aufkommen radikalerer Gruppen wie „Extinction Rebellion“ oder „Ende Gelände“ jedenfalls kann zu einer Aufspaltung von Fridays for Future führen.
Die „Vulkangruppe Ok“, die sich am 20. September dazu bekannte, Kabelschächte der S-Bahn angezündet zu haben, um den Flughafenexpress nach Schönefeld zu stoppen, beruft sich auf Fridays for Future.
Genau in einer solchen linksradikalen Vereinnahmung liegt die Gefahr für die eigentliche Jugendbewegung. Bisher haben es die Fridays for Future geschafft, radikale Kräfte wegzulächeln und aus ihren Demos abzudrängen. Wenn jetzt die Verhältnismäßigkeit der Mittel radikal überdehnt wird, schwindet die breite öffentliche Akzeptanz für die Klimaproteste. Obwohl man sich etwa mit den Tagebau-Besetzungsaktionen von Ende Gelände punktuell solidarisiert hat, ist noch unklar, ob sich die Schülerbewegung vereinnahmen lässt oder sich distanziert. Allerdings warten linksradikale Gruppen nur darauf, über ein weithin akzeptiertes Thema wie den Klimaschutz auf der Protestwelle mitzureiten.
Gretas Auftritt bei der UN war aber anzumerken: Die Geduld ist am Ende. Stachelt sich die Bewegung nicht auch selber an?
Bisher war Gretas Absolutismus, von den Regierungen der Welt sofortiges Handeln gegen die drohende Klimakatastrophe zu verlangen, sympathisch. Durch die grundsätzliche Weigerung, politische Prozesse anzuerkennen, in denen nun einmal Kompromisse ausgehandelt werden und es bestenfalls Schritt für Schritt vorangeht, wird eine außerparlamentarische Bewegung daraus. Das ist nicht ganz ungefährlich und könnte die Fridays for Future die großen Sympathien kosten, die sie sich erarbeitet haben. Zweifellos steht die Bewegung vor fundamentalen Weichenstellungen.
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