Scharfe Kritik an Bundesregierung: Ex-Mitglieder der Kohlekommission sehen Kompromiss „grob verletzt“
Ehemalige Kommissionsmitglieder kritisieren den Ausstiegsplan der Regierung. Dieser hintergehe den mühsam ausgehandelten Kohlekompromiss aus dem Jahr 2019.
Frühere Mitglieder der Kohlekommission werfen der Bundesregierung vor, dass diese den fast genau vor einem Jahr ausgehandelten Kompromiss „klar und einseitig“ verlassen hätte. Das berichtet der „Spiegel“ unter Berufung auf eine Stellungnahme, die von ehemaligen Mitgliedern der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) unterzeichnet worden ist.
An der nun ausgehandelten konkreten Umsetzung monieren die Kritiker demnach, dass die „Buchstaben und Geist der in der KWSB erzielten Kompromisse vor allem mit Blick auf den Klimaschutz sowie den Umgang mit den vom Braunkohletagebau betroffenen Menschen grob verletzt“ seien. Das Schreiben ging dem Bericht zufolge am Montagabend per Brief an Angela Merkel. Es liegt dem Magazin nach eigenen Angaben vor.
Laut Spiegel schreiben die Unterzeichner, dass sie ohne Korrekturen den in der Kohlekommission „gefundenen und von uns bisher mitgetragenen Kompromiss durch Bund und Länder aufgekündigt“ sehen.
Die Kohlekommission hatte im Januar 2019 ein Konzept für den Kohlausstieg vorgelegt. Schon damals wurde dieses als Kompromiss zwischen Klima und Kohlekraftbefürwortern gewertet - und als teuer für die Steuerzahler.
Auch die ehemalige Vorsitzende unter den Unterzeichnern
Acht ehemalige Mitglieder fühlen sich dem Bericht zufolge von der Bundesregierung hintergangen, weil diese vor einem Jahr die Umsetzung des mühsam ausgehandelten Kompromisses zugesagt habe. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die ehemalige Vorsitzende der Kommission, Barbara Praetorius, der Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der Energieexperte Felix Matthes und alle Vertreter der Umweltverbände.
Die Stellungnahme soll vier konkrete Kritikpunkte enthalten:
- Zunächst wird die Reihenfolge der Abschaltungen kritisiert. Weil nur wenige Kraftwerke zwischen 2023 und 2028 abgeschaltet werden sollen, würde die ganze Last des Ausstiegs auf das Ende des Jahrzehnts verlagert. Die längeren Laufzeiten und die hohen Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber könnten demnach auch einen niedrigeren Preis von CO2-Zertifikaten zur Folge haben.
- Die geplante Inbetriebnahme des nordrhein-westfälischen Steinkohlekraftwerks Datteln 4 verstoße gegen die Vereinbarung, keine neuen Kohlekraftwerke ans Netz zu nehmen.
- Die Unterzeichner kritisieren außerdem die Abbaggerung von Dörfern für den Braunkohle-Tagebau und bezeichnen es als „empörend“, dass dafür symbolisch der Erhalt des Hambacher Waldes versprochen werde.
- Schließlich fehle ein Fahrplan, wie die Bundesregierung bis 2030 auf einen Anteil von 65 Prozent an erneuerbaren Energien kommen wolle.
Vergangene Woche hatten die Bundesregierung und die Kohle-Bundesländer einen Kohleausstiegsplan im Umfang von 50 Milliarden Euro vereinbart. Ein wichtiger Aspekt waren auch die Entschädigungssummen, die Kraftwerksbetreibern für die Abschaltung alter Kohlekraftwerke gezahlt werden sollen. Mehr als vier Milliarden Euro an Steuergeldern sollen allein an die Energiekonzerne RWE und Leag gehen. Daran entzündete sich jetzt die Kritik.
Allerdings hat das Statement offenbar auch Gegner. Unter Bezug auf einen nicht namentlich genannten Insider berichtet der „Spiegel“, dass maßgebliche Mitglieder der Kohlekommission die Stellungnahme nicht mittragen wollen. Darunter seien auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Bund der Deutschen Industrie.
Johanna Kleibl