Wagenknechts kritisiert „Lifestyle-Linke“: Ex-Fraktionschefin wirft Linken Selbstgerechtigkeit vor
Die umstrittene Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht rechnet mit ihrer Partei ab - und setzt einen alten Machtkampf fort.
Lange war Sahra Wagenknecht von der Bildfläche verschwunden. Ihre letzte Bundestagsrede hielt die Linken-Politikerin im vergangenen Juni, es war ihr einziger Auftritt am Rednerpult im ganzen Jahr. Bei der Mehrzahl der namentlichen Abstimmungen im Parlament 2020 fehlte die ehemalige Fraktionschefin der Linken. Auch auf dem Parteitag im Februar meldete sie sich nicht zu Wort.
Doch nun will sie es noch einmal wissen: Bei der Bundestagwahl tritt sie wieder an, am Wochenende wurde die parteiintern höchst umstrittene Politikerin zur Spitzenkandidatin der Linken in Nordrhein-Westfalen gewählt. In einem an diesem Mittwoch erscheinenden Buch rechnet Wagenknecht mit ihrer Partei und den deutschen Linken insgesamt ab.
Die Abfolge – erst die Wahl zur Spitzenkandidatin, dann die Buchveröffentlichung – erscheint sorgfältig gewählt, der Verlag erinnerte vorab mehrfach daran, dass nicht vor dem Erscheinungstag über das Buch berichtet werden dürfe. Dennoch wurden vor dem Parteitag in Nordrhein-Westfalen Zitate aus dem Buch bekannt, verbreitet von Wagenknecht-Kritikern in der Partei, die Aufregung war intern so groß wie erwartbar.
In ihrem Buch „Die Selbstgerechten – Mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ (Campus-Verlag) zeichnet Wagenknecht das Bild eines Landes, das „tief gespalten“ sei. Für den Niedergang der Debattenkultur macht sie vor allem den „Linksliberalismus“ verantwortlich, der aus Sicht Wagenknechts aber nicht liberal ist und schon gar nicht links. Dessen Meinungsführer kämen aus der „gut situierten akademischen Mittelschicht der Großstädte“, schreibt die promovierte Volkswirtin.
Weltbürger mit Helikoptereltern
Der „Lifestyle-Linke“ wird in Wagenknechts Buch polemisch-plakativ überzeichnet. „Er sorgt sich um das Klima und setzt sich für Emanzipation, Zuwanderung und sexuelle Minderheiten ein.“ Er halte den Nationalstaat für ein Auslaufmodell und sich selbst für einen Weltbürger, „den mit dem eigenen Land eher wenig verbindet“, schreibt Wagenknecht. „Überkommene Werte wie Leistung, Fleiß und Anstrengung findet er uncool.“ Denn großgezogen wurde er von „meist gut situierten Helikoptereltern“. Sicherheit gäben ihm „Papas kleines Vermögen und Mamas Beziehungen“, deshalb könne er sich auch unbezahlte Praktika leisten.
Identitätspolitik stehe im Zentrum des linksliberalen Weltbildes. „Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein“, schreibt Wagenknecht. Es gehe dem Linksliberalismus nicht um die rechtliche Gleichstellung von Minderheiten, sondern um die „Forderung nach Privilegierung von Minderheiten“, um die „Heiligsprechung von Ungleichheit“.
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Doch letztlich zielt Wagenknecht mit ihrer Kritik an einer angeblichen linken Selbstgerechtigkeit vor allem auf die eigene Partei. Kurz nach der Gründung 2007 habe die Linke noch viele Menschen erreicht. Die Wählerschaft habe sich aber geändert, „als die Parteiführung auf die Themen und den Gestus der Lifestyle-Linken zu setzen begann“. Auch die Linke sei heute überwiegend eine Akademikerpartei.
Die traditionellen Linken – in Wagenknechts Lesart die einzig wahren Linken, zu denen sie sich unausgesprochen selbst zählt – hätten in den Parteigremien immer weniger Einfluss. Wegen der „Übernahme der Parteispitze durch Lifestyle-Linke“ habe die Partei Wähler verloren. Damit wird Wagenknechts Buch zur Fortsetzung ihres jahrelangen erbitterten Machtkampfes, den sie als Fraktionschefin gegen die damaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger führte. In ihrem Buch spricht sie an einer Stelle vom „damaligen Vorsitzenden einer deutschen linken Partei, dessen Name heute zu Recht vergessen ist“ – gemeint ist Riexinger. Wagenknecht hatte 2018 versucht, mit der Gründung der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ einen Akzent auch gegen die Parteiführung zu setzen.
Wagenknecht macht Migration für Niedriglöhne verantwortlich
Auf massive Kritik stießen parteiintern auch Passagen in dem Buch, in denen Wagenknecht die Zuwanderung für Niedriglöhne in Deutschland verantwortlich macht. Alle Parteien jenseits der Rechten weigerten sich, „die aus Migration resultierenden Probleme auch nur anzuerkennen“ – sie würden stattdessen „die wütenden Opfer moralisch verurteilen“. In der Frage der Begrenzung der Zuwanderung habe die AfD „die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich“, behauptet Wagenknecht. Kein Wunder, dass sie nach der Kritik aus den Reihen der Linken ausgerechnet Unterstützung aus der AfD bekam. „Sahra Wagenknecht trifft es auf den Punkt“, lobte die AfD in NRW auf Twitter und zitierte Wagenknechts Satz über die „immer skurrileren Minderheiten“.
Die neue Linkenführung bemüht sich nun, den langjährigen Konflikt mit Wagenknecht im Wahljahr nicht eskalieren zu lassen. Die neuen Vorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow stellten am Montag den Entwurf des Wahlprogramms vor, das schon einmal von Kipping und Riexinger präsentiert und nun vom Vorstand noch leicht abgeändert wurde. Die Partei fordert eine Anhebung des Mindestlohns, die Einstellung von 200.000 Pflegekräften in Krankenhäusern und Altenpflege, eine „sanktionsfreie Mindestsicherung“ statt Hartz IV und einen Mietendeckel nach Berliner Vorbild für ganz Deutschland. Außerdem plädieren die Linken für eine Vermögenssteuer und eine zusätzliche Vermögensabgabe für Millionäre.
Auf Nachfrage sagte Wissler, sie gehe davon aus, dass jeder, der für die Partei kandidiere, auf den Grundsätzen des Wahl- und Parteiprogramms stehe. Die Parteichefin wies außerdem darauf hin, dass sich Wagenknecht auf den Wahlkampf in NRW konzentrieren wolle. Mehr wollen die neuen Vorsitzenden zum Thema Sahra Wagenknecht öffentlich nicht sagen.