Schlacht um Aleppo: Evakuierung von Ost-Aleppo wieder gestoppt
Moskau und Damaskus erklären die Transporte aus der Stadt für beendet. In den Rebellengebieten sind noch immer Zehntausende eingeschlossen.
Syriens Regierung hat die Evakuierung der Rebellengebiete im Osten der syrischen Stadt Aleppo wieder gestoppt. Das Regime in Damaskus und die Opposition gaben sich dafür am Freitag gegenseitig die Schuld. Russland als enger Verbündeter Syriens erklärte den Transport von Kämpfern und deren Familien aus Ost-Aleppo für beendet. Die syrische Armee habe zudem ihren Einsatz zur Rückeroberung der Rebellengebiete abgeschlossen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.
Alle Frauen und Kinder aus den von der Opposition kontrollierten Vierteln hätten Ost-Aleppo verlassen, erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau weiter. „Zurück bleiben Gruppen radikaler und unversöhnlicher Militanter, die auf syrische Truppen feuern.“ Das Militär rücke in diesen Vierteln vor.
Aktivisten erklärten hingegen, Zehntausende Zivilisten warteten dort noch darauf, aus der Stadt gebracht zu werden. „Als ich ging, waren dort Tausende Familien mit Frauen und Kindern“, berichtete ein Aktivist, der Ost-Aleppo bereits verlassen hat. Frankreichs Präsident François Hollande hatte beim EU-Gipfel in Brüssel gesagt, in Ost-Aleppo seien noch 50 000 Menschen eingeschlossen.
Wegen einer monatelangen Blockade durch das Regime ist die humanitäre Lage in den Rebellengebieten nach Angaben von Hilfsorganisationen katastrophal. Es fehlt akut an Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung. Die Menschen leiden unter dem kalten Winterwetter.
Syriens staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, der Abzug sei gestoppt worden, nachdem „terroristische Gruppen“ auf Busse und Autos geschossen hätten. Das oppositionelle Lokale Koordinierungskomitee erklärte hingegen, regimetreue Milizen hätten das Feuer eröffnet. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kehrten Busse mit Hunderten Menschen wieder nach Ost-Aleppo zurück.
Fares Schehabi, Abgeordneter des syrischen Parlaments, sagte zudem, die Evakuierung sei wegen Unstimmigkeiten über die von Rebellen belagerten Orte Fua und Kafraja ausgesetzt worden. „Die Rebellen lassen die Menschen dort nicht hinaus“, erklärte er. Die beiden Orte im Nordwesten Syriens werden überwiegend von Schiiten bewohnt. Milizen aus dem schiitischen Iran, die an der Seite der syrischen Armee kämpfen, hatten nach Angaben aus Regierungskreisen bereits in den vergangenen Tagen gefordert, dass im Gegenzug für die Evakuierung der Rebellengebiete Aleppos auch die Blockade von Fua und Kafraya aufgehoben werden müsse.
Ein Sprecher der Rebellengruppe Nur al-Din al Sinki warf der Führung in Damaskus und mit ihr verbündeten schiitischen Milizen vor, den Abzug aus Aleppo zu blockieren. Syrische Staatsmedien berichteten, die Rebellen hätten gegen die Abmachung verstoßen und versucht, schwere Waffen aus Aleppo herauszuschmuggeln. In der Region seien mehrere Explosionen zu hören gewesen. Die Ursache dafür war zunächst unklar. Der regimenahe Sender Al-Mayadeen berichtete, Rebellen hätten das Feuer eröffnet.
Die Evakuierung hatte nur schleppend begonnen
Aktivisten hatten zuvor berichtet, dass die Evakuierung nur schleppend vorankommt. Augenzeugen erklärten, Tausende warteten bei winterlichen Temperaturen auf Busse, die sie aus der Stadt bringen sollen. „Das Problem ist, dass nicht viele Busse kommen“, sagte Ibrahim al-Hadsch von der Rettungsorganisation Weißhelme.
Die Evakuierung hatte am Donnerstag begonnen. Ein Abkommen zwischen Regierung und Rebellen sieht vor, dass Kämpfer und Zivilisten die Stadt verlassen und in andere Gebiete unter Kontrolle der Opposition gebracht werden. Ein erster Anlauf zur Umsetzung war am Mittwoch gescheitert, weil neue Kämpfe ausgebrochen waren.
In Ost-Aleppo warten noch Zehntausende auf den Transport. Frankreichs Präsident François Hollande erklärte, es seien noch 50.000 Menschen eingeschlossen. Hilfsorganisationen rechnen sogar mit rund 70 000 Menschen, die aus der Stadt gebracht werden müssen. Wegen einer monatelangen Blockade durch das Regime ist die humanitäre Lage dort katastrophal.
Bilder aus Ost-Aleppo zeigten volle Straßen, in denen Einwohner neben Trümmern mit Koffern auf den Transport warteten. „Die Menschen sind alle erschöpft“, berichtete ein Aktivist mit dem Namen Abdulkafi. „Und sie haben Angst, dass die Waffenruhe wieder scheitern könnte.“
Die Sprecherin des Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Ingy Sedky, erklärte, die Evakuierungsoperation sei über Nacht weitergelaufen. Es lasse sich jedoch nur schwer sagen, wie viele Menschen Ost-Aleppo verlassen hätten.
Aus syrischen Regierungskreisen hieß es, bislang hätten mehr als 8000 Menschen Ost-Aleppo verlassen. Nach russischen Angaben wurden bisher rund 6500 Menschen aus der Stadt gebracht, wie die Agentur Tass berichtete. Das Rote Kreuz hatte am Donnerstag erklärt, die Evakuierung könne noch Tage dauern.
Bundespräsident Joachim Gauck warf der internationalen Gemeinschaft schwere Versäumnisse im Syrien-Konflikt und eine Mitverantwortung an den Gräueln des Bürgerkriegs vor. Die „Mechanismen der internationalen Ordnung“ hätten kläglich versagt, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“.
Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel erhob auch der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament heftige Vorwürfe gegen Russland und den Iran. „Der Iran, Russland - (Präsident) Putin, muss man sagen - hat Blut an den Händen“, sagte Manfred Weber (CSU) im rbb-„Inforadio“. Derzeit habe humanitäre Hilfe oberste Priorität. „Und dann brauchen wir Klartext. Das heißt, wir müssen deutlich machen, wer schuld ist an dieser Situation.“
Russland und der Iran sind die engsten Verbündeten der Regierung in Damaskus und unterstützen sie militärisch. Merkel hatte beiden Ländern nach dem Brüssler EU-Gipfel schwerste Vergehen im Kampf um Aleppo vorgeworfen. Sie sprach von „gezielten Angriffen auf Zivilpersonen (...), auf Krankenhäuser“ und nahm auch das Regime von Baschar al-Assad in die Pflicht.
Putin setzt auf ein neues Format von Syrien-Gesprächen mit der Türkei als Schutzmacht der Opposition. Russland versuche, die syrische Regierung dafür zu gewinnen, die Türkei wiederum die Gegner von Präsident Assad. Das habe er mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan vereinbart, sagte Putin am Freitag bei einem Besuch in Tokio. Die Treffen könnten in Kasachstan stattfinden.
Syriens Armee hatte nach dem Beginn einer Offensive den allergrößten Teil der bisherigen Rebellengebiete in Ost-Aleppo eingenommen. Unter Vermittlung Russlands und der Türkei vereinbarten die Konfliktparteien in dieser Woche ein Abkommen über den Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus der Stadt. (dpa/AFP)
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