Italien ruft um Hilfe: Europas Süden soll Geld bekommen, aber nicht weniger Flüchtlinge
Italien droht, Flüchtlinge wegzuschicken, weil Europa nicht hilft. Von besserer Verteilung der Menschen ist in Brüssel weiter nicht die Rede.
Italiens Drohungen haben Wirkung gezeigt. Ob sie dem südlichen EU-Staat, der allein in der vergangenen Woche rund 12 000 neue Mittelmeerflüchtlinge aufgenommen hat, tatsächlich die erhofften Erleichterungen bringen werden, bleibt aber abzuwarten. Italien ist derzeit Hauptanlaufpunkt für Flüchtende, die in die EU kommen wollen. 83 000 Menschen kamen seit Januar, der überwiegende Teil von Libyen aus über das Mittelmeer. Weil die Aufnahmekapazitäten erschöpft sind und die EU- Partner nicht einmal ihre bisherige Zusage einhalten, 35 000 Flüchtlinge aus Italien umzuverteilen, hatte Innenminister Marco Minniti angekündigt, Italien wolle künftig Schiffe mit geretteten Flüchtlingen abweisen. Diese – besonders jene privater Hilfsorganisationen – sollten in andere EU-Häfen ausweichen.
Italiens Premier Gentiloni erwartet Konkretes
Damit liegt das Thema auf dem Tisch der EU-Innenminister, die sich am Mittwoch und Donnerstag in Tallinn treffen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der französische Ressortchef Gérard Collomb saßen aber schon am Sonntagabend mit ihrem italienischen Kollegen zusammen; Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte außerdem bereits bei den G-20-Vorbereitungen in Berlin Unterstützung signalisiert. Italiens Premier Paolo Gentiloni zeigte sich zufrieden über „erste Ergebnisse“ – nun solle Europa konkret werden.
Das Land kann wohl vor allem mit finanziellen Hilfen rechnen. Alle weiteren Pläne sind eher langfristiger Natur – und zielen in erster Linie darauf, Flüchtlinge von Europas Küsten fernzuhalten. So soll die libysche Küstenwache gestärkt und das Bürgerkriegsland bei der Grenzsicherung im Süden beraten werden.
In Tallinn soll außerdem ein „Verhaltenskodex“ für private Hilfsorganisationen erörtert werden, die Flüchtlinge vor der Küste Libyens retten. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen, die selbst zwei Schiffe im Mittelmeer im Einsatz hat, warnte die EU davor, die Arbeit privater Rettungsschiffe einzuschränken. „Wenn Helfer daran gehindert werden, den nächsten sicheren Hafen anzulaufen, bringt das Flüchtlinge und Migranten zusätzlich in Gefahr“, teilte das Hilfswerk dem Tagesspiegel auf Anfrage mit. Die Schiffe seien schon jetzt bis zur Belastbarkeitsgrenze beansprucht und hätten auch nicht genug Personal, Lebensmittel und Medikamente an Bord, um weiter entfernte Häfen anzusteuern.
Europas Asylregeln vor dem Umbau
Europas Asylregeln, erst 2013 erlassen, sind ohnehin gerade in einer Generalrevision. Ein Qualitätssprung ist fraglich, denn nationale Egoismen verhindern weiterhin eine Lösung der alten Schlüsselfrage, wie Flüchtlinge fair verteilt werden. Einen „Kampf um Solidarität“ nannte das kürzlich Ska Keller, Migrationsfachfrau der Grünen im Europaparlament und Fraktionsvorsitzende. Während sich im Parlament aktuell eine Mehrheit dafür abzeichnet, das Dublin-System radikal zu reformieren und Flüchtlinge direkt bei Ankunft auf die EU-Mitgliedstaaten zu verteilen, will die EU-Kommission dies nur in Zeiten, wenn sehr viele Menschen kommen – wohl in realistischer Einschätzung der Aufnahmebereitschaft der nördlichen Mitgliedstaaten, die anders als Italien und Griechenland weit weg von Afrika und dem Nahen Osten liegen.
Dass Migrationskommissar Avramopoulos Italien jetzt zwar Hilfe in Aussicht stellte, aber nicht davon sprach, dass dem Land Flüchtlinge abgenommen würden, deutet an, in welche Richtung auch die geplante Reform gehen wird.
Der Kommissionsvorschlag vom vergangenen Jahr sieht auch vor, dass Staaten sich von der Aufnahme freikaufen können – mit 250 000 Euro pro geflüchtetem Menschen. Das Parlament tendiert hingegen dazu, Verweigerern stattdessen bestehende Zahlungen aus Brüssel zu streichen. Seine endgültige Position will das EU-Parlament noch im Sommer festlegen – oder spätestens im kommenden Herbst.
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