Kampf gegen Schlepper: Die Mafia mischt mit im Schleuser-Geschäft
Schlepper-Netzwerke machen enorme Profite. Der Handel mit Flüchtlingen ist so attraktiv, dass organisierte Verbrecherbanden das Geschäft kapern. Die EU kann wenig dagegen tun.
Wenn die italienische Küstenwache einen Notruf aus Deutschland erhält, wundern sich die diensthabenden Beamten nicht. Denn es kommt neuerdings häufiger vor, dass Flüchtlinge, die schon länger in Deutschland oder einem anderen EU-Land leben, Hinweise auf Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer geben und die Küstenwache bitten, den Insassen zu Hilfe zu eilen. „Die sind dann vorher von einem Freund oder Verwandten angerufen worden, der ihnen mitgeteilt hat, dass er gerade in Libyen ins Boot steigt“, erklärt Fabrizio Colombo, Einsatzleiter der Küstenwache in Catania auf Sizilien.
Manchmal drücken die Schleuser auch einem der Bootsinsassen ein Satellitentelefon in die Hand, in dem die Telefonnummer der Küstenwache eingespeichert ist. Schließlich wissen die Schlepper ganz genau, dass ihre Schlauchboote die Überfahrt nach Italien nicht schaffen würden. Der Anruf bei der Küstenwache gehört praktisch zum Service professionell organisierter Schlepper, die ihre Dienste ganz offen auf Facebook anbieten.
„Die Schlepper organisieren sich immer besser und sind entlang der Flüchtlingsrouten gut vernetzt“, sagt Michael Rauschenbach, der bei Europol die Abteilung für schwere Verbrechen und Organisierte Kriminalität leitet. Auch über die sogenannte Balkanroute dirigieren kriminelle Banden nach wie vor tausende Flüchtlinge, wie die Bilder der vergangenen Wochen aus Serbien belegen. Das Balkanland ist laut Europol Zentrum der Schleppermafia in der Region. Seit die Grenzen der Balkanstaaten für Flüchtlinge offiziell geschlossen sind, organisieren kriminelle Gruppen von hier aus Schleusungen per Zug oder Lkw nach Österreich und Deutschland.
Serbiens Nachbarland Kosovo hat sich zu einer Art Umschlagplatz für minderjährige Flüchtlinge entwickelt, wie ein Aktionstag internationaler und einheimischer Polizeieinheiten zutage förderte. In Griechenland wiederum wurde kürzlich eine Fälscherbande ausgehoben, die Asylbescheide, Pässe und Aufenthaltsgenehmigungen verkaufte. Teile der Gruppe waren auch in Tschechien aktiv. Die Mitglieder stammten aus dem Sudan und Bangladesch – ein Beleg dafür, dass die Netzwerke global aufgestellt sind.
50.000 Verdächtige, aber wenig Festnahmen
Europol hat inzwischen ein Zentrum eingerichtet, das sich ausschließlich mit der Bekämpfung der Schleuserkriminalität befasst. Denn das Geschäft mit den Flüchtlingen ist so einträglich, dass auch Drogenkartelle und andere organisierte Banden mitmischen wollen. „Sie kapern das Geschäft regelrecht“, erklärt Rauschenbach. Insgesamt sollen Menschenschmuggler jährlich rund vier bis sechs Milliarden Euro mit Schleusungen in die EU verdienen. Die Preise für eine Schleusung seien kontinuierlich gestiegen. „Während früher der ganze Trip von Afrika nach Europa zwischen 3000 und 5000 Euro kostete, wird dies heute teilweise schon für eine einzelne Etappe verlangt.“
Die EU hat dem nur wenig entgegenzusetzen. Flüchtlinge, die von Schiffen der EU-Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeer aufgenommen werden, müssen zwar sofort Auskunft über ihre Flucht geben. Auch werden ihre Handys noch an Bord ausgelesen, um Telefonnummern oder Fotos von Schleusern zu sichern. Die Europol-Datenbank ist so auf 50 000 Verdächtige angewachsen. Faktisch konnten in den vergangenen Jahren auf dem Mittelmeer aber nur 655 Schlepper gestellt werden. In Serbien oder dem Kosovo gehen die Behörden ohnehin nur zögerlich gegen Schlepper vor. Schließlich verdienten dort viele gut am Elend der Flüchtlinge.
Italien bleibt Hauptankunftsland
Die EU muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob sie das Geschäftsmodell der Schleuser nicht sogar fördert, weil sie seit fast zwei Jahren mit einer ganzen Flotte auf dem Mittelmeer unterwegs ist, um Flüchtlinge zu retten. Im italienischen Außenministerium ist man anderer Ansicht. Die Zahl der Flüchtlinge sei vor der koordinierten Seeraumüberwachung ähnlich hoch gewesen, heißt es dort. Von einem sogenannten „Pull-Faktor“, einer Anziehungskraft, könne daher nicht die Rede sein.
Seit in Griechenland deutlich weniger Flüchtlinge ankommen, ist Italien wieder das Hauptankunftsland in der EU. Insgesamt erreichten im vergangenen Jahr mehr als 180 000 Flüchtlinge die italienische Küste. Damit sind die Ankunftszahlen im Vergleich zu 2015 zwar leicht gestiegen, 2014 lagen sie jedoch tatsächlich auf ähnlich hohem Niveau. Fakt ist dennoch: Praktisch alle Flüchtlinge, die 2016 Italien erreichten, wurden schon auf dem Meer von europäischen Schiffen aufgenommen. Von der Küstenwache, von Frontex oder der EU-Militärmission zur Schleuserbekämpfung „Operation Sophia“ oder von einem der zahlreichen Rettungsboote verschiedener Hilfsorganisationen.
Insgesamt sind etwa 30 Schiffe zwischen Italien und Libyen in Sachen Flüchtlingsrettung unterwegs. Deutschland beteiligt sich mit zwei Marineschiffen und Beamten für den Frontex-Einsatz. Laut Einsatzleiter Fabrizio Colombo erreichten nur vier Flüchtlingsboote Sizilien aus eigener Kraft.
Mehr Retter und trotzdem mehr Tote
Die Überfahrt ist trotz der Hilfe aber gefährlicher geworden. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind 2016 etwa 4400 Menschen auf der sogenannten zentralen Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien ertrunken. 2015 waren es knapp 3000. Hauptgrund dafür ist die schlechte Qualität der Boote, auf denen die Schleuser die Flüchtlinge auf die Reise schicken. Von Ägypten aus starten meist klapprige Fischkutter aus Holz mit vielen Hundert Menschen an Bord. Kentert ein solcher Kahn, haben vor allem die Passagiere unter Deck - oft 300 und mehr - kaum eine Überlebenschance.
In Libyen, wo Schätzungen zufolge derzeit rund 300 000 Menschen auf eine Überfahrt warten, sind die Schleuser auf Schlauchboote umgestiegen. Das Material dafür lassen sie sich aus China liefern. In kleinen Werkstätten hinter der libyschen Küste werden die Planen zusammengeschweißt und mit einem provisorisch zusammengezimmerten Holzboden versehen. Allerdings wird immer dünneres Plastik verarbeitet, und meist haben die Boote nur ein oder zwei Luftkammern. Ein kleines Loch führt da unweigerlich zur Katastrophe. Innerhalb weniger Minuten geht das Boot unter. Die Schleuser setzen offensichtlich darauf, dass die Retter nicht weit sind. Aus diesem Dilemma kommt die EU nicht heraus.