Europawahl: Europas Grüne wählen Keller und Eickhout zum Spitzenduo
Die europäischen Grünen haben ihr Spitzenduo für die Europawahl gekürt. Die Deutsche Ska Keller ist dabei - wie schon bei der letzten Wahl 2014.
Irgendwann taucht im Publikum beim Parteitag der Europäischen Grünen die Frage auf, worin sich die drei Kandidaten unterscheiden. Es ist ein bisschen wie bei einer Casting-Show, aber die drei Kandidaten auf der Bühne - die Deutsche Ska Keller, der Niederländer Bas Eickhout und die Belgierin Petra De Sutter - wollen sich nicht auseinanderdividieren lassen. Zumindest nicht bei den Inhalten, über welche die drei Kandidaten bei dem Parteitreffen in Berlin diskutieren: die Energiewende, die soziale Dimension dieser Wende und die Gefahren für die Demokratie in der EU. Um Differenzen herauszubekommen, sagt Ska Keller scherzhaft, solle man die Kandidaten vielleicht nach ihrem Musikgeschmack befragen.
Der Musikgeschmack ist es vermutlich nicht, der bei der Wahl der rund 100 Grünen-Delegierten aus der gesamten EU am Samstag den Ausschlag gibt. Der Parteitag entscheidet sich dafür, Keller und ihren niederländischen EU-Parlamentskollegen Eickhout als Spitzenduo für die Europawahl im Mai ins Rennen zu schicken. „Ich liebe Wahlkämpfe“, hat Keller zuvor bei der Debatte zwischen den drei Grünen am Freitagabend erklärt. Mit einem Augenzwinkern bezeichnet sich die 37-Jährige, die die Grünen-Fraktion im EU-Parlament anführt, dabei als "Veteranin": Schon bei der letzten Europawahl im Jahr 2014 war die Deutsche gemeinsam mit dem Franzosen José Bové als Spitzenkandidatin in den EU-weiten Wahlkampf gezogen.
Mit dem Berliner Wahlparteitag hat die Partei eine Lehre aus dem Debakel von 2014 gezogen. Damals wagte die Partei vor der letzten Europawahl bei der Kür der Spitzenleute das Experiment einer Online-Befragung ihrer Mitglieder. Das Echo war aber niederschmetternd gering: Europaweit beteiligten sich gerade einmal 22.676 Menschen an der Befragung. Das schwache Ergebnis offenbarte die Tücken der direkten Demokratie, und deshalb überließ man die Abstimmung über die Spitzenkandidaten diesmal sicherheitshalber den Delegierten in Berlin.
Auf Keller kommt nun mit dem Votum des Berliner Parteitreffens eine Doppelrolle zu, nachdem sie beim Grünen-Parteitag in Leipzig vor zwei Wochen bereits gemeinsam mit dem Europaabgeordneten Sven Giegold zur nationalen Spitzenkandidatin gekürt worden war. Das wichtigste Thema, mit dem die Parteilinke demnächst sowohl in Deutschland als auch in der gesamten EU für ihre Partei werben will, lässt sie am Wochenende bereits anklingen: die Umsetzung des Pariser Klimabkommens.
Die Grünen sind darüber hinaus sichtlich darum bemüht, beim Kampf gegen den Klimawandel die ganze Breite der Bevölkerung im Blick zu behalten. Dass die Partei keineswegs etwa nur Frauen aus einem großstädtischen Milieu ansprechen will, macht Keller mit einem Hinweis auf ihre Herkunft aus der deutsch-polnischen Grenzregion rund um das brandenburgische Guben deutlich. „Dort“, sagt sie, „wird Braunkohle abgebaut, das dreckigste Zeug, was man sich vorstellen kann“. Und mit Blick auf den Kohleausstieg fügt sie hinzu: „Wir müssen das Soziale und das Ökologische zusammenbringen.“ Die Menschen, welche die Folgen der Energiewende zu tragen hätten, bräuchten eine Perspektive, erklärt sie - gerade in einer schrumpfenden Kommune wie Guben. Wenn die Grünen nicht nur eine Partei für besserverdienende Großstädter sein wollen, wird das auch durch Kellers Forderung deutlich, dass gesunde Lebensmittel nicht nur für eine Biomarkt-Klientel verfügbar sein dürften.
„Die soziale Frage muss auch im Mittelpunkt unserer Diskussion stehen“, sagt denn auch Robert Habeck bei seinem Auftritt vor den Europa-Grünen. Der Grünen-Vorsitzende erklärt, dass zum Sozialen eine funktionierende Infrastruktur mit Schulen und Kindergärten genauso gehöre wie zusätzliche Hilfen für die „working poor“ und eine Revision der Agenda 2010. Habeck wird gefragt, welche Rezepte die Grünen gegen das starke Abschneiden der AfD in Ostdeutschland parat hätten. Der Grünen-Chef antwortet, dass es keiner Politik speziell für die neuen Bundesländer bedürfe, weil es vergleichbare soziale Missstände ja auch in anderen Regionen Deutschlands gebe. Entscheidend sei eine neue Haltung der Politik, sagt er: „Wir müssen aufhören, immer nur über die Menschen statt mit den Menschen zu reden.“ Es gelte, die vernachlässigte Klientel, welche jetzt auch die Grünen für sich gewinnen will, „aus ihrem radikalen Tunnel herauszuholen“, findet Habeck.