Landesparteitag der Berliner Grünen: Arbeiten statt abheben
Robert Habeck mahnt angesichts des Umfragehochs: "Was mit uns passiert, sollte uns ernster machen". Mehrheit für Leitanträge zu Bildung und Stadtentwicklung.
Wer die ganz große Jubel-Show erwartet hatte vor diesem Parteitag der aktuell in den Umfragen führenden Grünen in Berlin, wurde bitter enttäuscht. Nüchterne Sacharbeit statt Selbstbeweihräucherung lautete das Motto des Tages, das von Anfang bis Ende und vom einfachen Mitglied bis hin zum Bundesvorsitzenden der Partei, Robert Habeck, mit Leben gefüllt wurde. Der aus Schleswig-Holstein stammende Habeck war es, der bei seinem ersten Auftritt überhaupt vor dem Hauptstadt-Verband seiner Partei den Kurs vorgab.
„Mit jedem Prozentpunkt wächst die Hoffnungserwartung und der Vertrauenszuschuss an uns. Je lauter alles um uns herum wird, desto leiser müssen wir werden“, sagte Habeck vor den rund 150 Delegierten. Die aktuellen Umfragewerte des Landesverbandes zeigten, dass seine Vertreter in Senat und Parlament die richtige Ansprache finden. Und dennoch mahnte Habeck unter dem Applaus der Anwesenden: „Was mit uns passiert, sollte uns ernster machen. Lasst uns arbeiten und nicht abheben.“
Habeck traf damit exakt die Stimmung derer, die sich anlässlich der Landesdelegiertenkonferenz auf den Weg nach Kreuzberg gemacht hatten. So wie Johannes Kersten und Frederic Woywod, zwei von zuletzt monatlich rund 200 Neumitgliedern, die sich seit wenigen Wochen bei den Grünen engagieren. „Ich halte es grundsätzlich für richtig, bei der Sachlichkeit zu bleiben. Das wird am Ende auch von den Wählern belohnt“, sagte Kersten, der zuvor Mitglied der SPD war und am Samstag seine erste Veranstaltung der Grünen erlebte. Woywod ergänzte: „Man merkt, dass die Grünen gestalten wollen. Sie haben eine Zukunftsvision, die anderen Parteien fehlt.“
Klare Mehrheit für Leitantrag zu Schulen
Und während sich die beiden für eine kurze Pause vor die Tür begeben hatten, wurde im dicht gefüllten Saal diskutiert. Mehr als zwei Stunden debattierten die knapp 150 Delegierten darüber, wie Bildung und Schulen in der Stadt verbessert und damit allen Kindern eine Chance auf Bildungserfolg gegeben werden kann. „Religiösen Ernst“ hatte dabei Reinhard Bütikofer, ein früherer Amtsvorgänger Habecks und Gastredner auf dem Parteitag, erkannt.
Der Leitantrag, eingebracht durch die Landesvorsitzende Nina Stahr und Ergebnis einer einjährigen Arbeitsphase, fand schließlich – nach Abstimmung über zahlreiche Änderungsanträge – eine klare Mehrheit. Geht es nach den Berliner Grünen, sollen die Schulen der Stadt damit künftig über schnelles W-Lan in jedem Klassenraum verfügen, zu Treffpunkten für Nachbarn und Vereine werden. Ausreichend Lehrer sollen eingestellt werden, um das individuelle Pensum für einzelne Lehrkräfte zu reduzieren. Der zweite Leitantrag des Tages zur grünen Stadtentwicklung, eingebracht von Stahrs Amtskollegen Werner Graf, fand nach deutlich kürzerer Debatte ebenfalls eine klare Mehrheit.
Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, bezeichnete die damit unter Beweis gestellte intensive Sacharbeit als einzig richtige Antwort auf die aktuellen Umfragewerte. „Wir haben fast täglich Artikel in den Zeitungen, in denen uns von außen unterstellt wird, wir würden abheben. Ich habe das Gefühl, wir arbeiten und beschäftigen uns gar nicht so sehr mit Umfragen", erklärte Kapek. Die Leitlinien zur Bildungspolitik und zur grünen Stadtentwicklung zeigten, dass die Berliner Grünen die Mahnung des Bundesvorsitzenden längst umsetzen würden. „Arbeiten und nicht Abheben ist genau das, was wir hier mit unserem Parteitag machen“, sagte Kapek.
"Es ist zwangsläufig, dass die grüne Partei eine europäische Partei ist"
Mit Blick auf die aktuellen Umfragen und wohl auch auf den damaligen Absturz der Grünen vom Umfragerekord vor den Abgeordnetenhauswahlen im Jahr 2011 verwies Kapek darauf, dass allein in den vergangenen 12 Monaten vier verschiedene Parteien an der Spitze der Umfragen standen. „Das zeigt, wie zufällig das Ganze auch ist“, sagte Kapek. Der eigentliche „Lackmustest“, die für Grüne traditionell schwierigen Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern 2019, stehen schließlich erst bevor. Dann erst werde sich zeigen, wie belastbar das aktuelle Hoch der Partei tatsächlich ist.
Bewusst oder nicht hatte Kapek damit exakt die Wortwahl ihres Parteivorsitzenden Robert Habeck wiederholt. Dieser hatte in seiner Rede ebenfalls von einem Lackmustest gesprochen, allerdings mit Bezug auf die im Mai 2019 anstehende Europawahl. „Es ist zwangsläufig, dass die grüne Partei eine europäische Partei ist. Das ist in unserer DNA begründet.“
Die Berliner Grünen gehen mit ihren seit 2016 amtierenden Landesvorsitzenden in das Wahljahr 2019. Die Delegierten bestätigten Nina Stahr (89 Prozent) und Werner Graf (88 Prozent). Einen Wechsel im siebenköpfigen Vorstand gab es nur auf der Position der frauen- und genderpolitischen Sprecherin. Dort folgt Ina Rosenthal auf Rhea Niggemann. Am Abend wollten die Grünen – wie zuvor SPD und Linke – beschließen, dass der 8. März, der Internationale Frauentag, in Berlin Feiertag wird.
Kurz vor Ende ihres Landesparteitages sprachen sich die Berliner Grünen für die Einführung eines zusätzlichen Feiertages am 8. März aus. Sie folgten damit den beiden Koalitionspartnern Linke und SPD, die sich bereits zuvor für den Frauenkampftag als Feiertag ausgesprochen hatten. Damit ist der Weg für einen zusätzlichen Feiertag in Berlin frei.
Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek, die den Dringlichkeitsantrag eingebracht hatte, kritisierte, dass die Partei im „Hauruckverfahren“ über den zusätzlichen Feiertag hatte abstimmen müssen, und gab die Schuld dafür den Koalitionspartnern. „Wir brauchen keinen verdammten neuen Muttertag, an dem ich die Blumenindustrie unterstütze“, sagte Kapek, forderte aber zugleich, den 8. März nicht nur zum Frauentag, sondern zum „Kampftag“ machen. „Lasst uns kämpfen, jeden 8. März, nicht nur für die Frauen, sondern für Gleichstellung und Emanzipation“, so Kapek zum Abschluss ihrer Rede.