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Menschen in Athen lesen die Schlagzeilen der Zeitungen nach der US-Wahl.
© dpa

US-Präsident Trump und Europa: Europa wird das Laufen lernen müssen

Donald Trumps Außenpolitik wird noch isolationistischer als die seines Vorgängers sein. Niemand nimmt Europa mehr an der Hand. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Was haben wir von Amerika unter der Präsidentschaft Donald Trumps zu erwarten? Wird er wahr machen, was er im Wahlkampf als Drohungen oder Optionen verkündete? Den Bau der Mauer nach Mexiko, die Ausweisung Millionen illegaler Einwanderer, Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran, Relativierung der Beistandspflichten, die sich aus dem Nato-Vertrag ergeben, freundschaftliche Kontakte zu Putin? Wir wissen es nicht.

Die Politik des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten ist für uns wie eine geheimnisvolle oder gefährliche Black Box. Es bringt jedoch nichts, die in Zeiten der Vor-Gorbatschow’schen Sowjetunion im Westen so gerne betriebene Kreml-Astrologie nun an einem neuen Zielobjekt, dem Weißen Haus, auf ihre Treffgenauigkeit zu testen. Es genügt, aus dem, was wir wissen und nicht nur vermuten, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Donald Trumps Außenpolitik wird noch isolationistischer als die seines Vorgängers sein. Nach dem Willen dieses Präsidenten sollen die USA wieder zu sich selbst finden, zu alter Stärke, zu der die militärische selbstverständlich gehört, aber zum eigenen Schutz und zur Durchsetzung eigener Interessen, nicht als westliche Führungsmacht. Schon Barack Obama wandte sich vom Beginn seiner ersten Amtszeit an mehr dem pazifischen als dem atlantischen Raum zu. Das ergab sich aus der – verhängnisvollen – Fehleinschätzung Russlands als einer Regionalmacht, der man nicht mehr wie früher der Sowjetunion große Aufmerksamkeit widmen müsse, und es war Schlussfolgerung aus dem unübersehbaren Anspruch Chinas auf Dominanz in dieser Weltregion, die auch durch die Westküste der USA begrenzt wird.

Barack Obama wollte die Kriege George W. Bushs beenden und sich nicht in neue hineinziehen lassen. Was das bedeutet, hätte Europa spätestens begreifen müssen, als die USA nach der russischen Besetzung der Krim und der Infiltration der östlichen Ukraine die diplomatische Lösungssuche Europa und vor allem Deutschen und Franzosen überließen.

Schon davor, auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014, hatten der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin signalisiert, dass vor allem Deutschland mehr globale Verantwortung übernehmen müsse. Gerade Joachim Gauck betonte damals, dass dies auch eine militärische Option einschließe. Das löste eine breite Diskussion aus, führte aber nicht zu Ergebnissen.

Nun, am Tag nach Trumps Wahl, mahnt Jean-Claude Juncker, der Präsident der EU-Kommission, eine europäische Verteidigungsunion an, mehr Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik und am Ende eine europäische Armee, zusammengesetzt aus nationalen Kontingenten. Die Verteidigungsminister der EU wollen schon in der nächsten Woche darüber beraten. Das machte die Nato nicht überflüssig, aber es verstärkte wieder das europäische Standbein, dessen Fehlen nicht erst der nun ins Amt kommende US-Präsident Donald Trump rügte.

In den Jahren nach dem Zusammenbruch der UdSSR hatten die Staaten des Westens und vor allen anderen Deutschland durch einen massiven Rüstungsabbau die sogenannte Friedensdividende eingestrichen. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, diese Dividende wieder zu investieren – in Sicherheitspolitik. Niemand nimmt uns mehr an der Hand. Europa wird das Laufen lernen müssen.

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