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Update

Abstimmung am Donnerstag: Euro-Rettungsschirm: Merkel kämpft um Mehrheit im Bundestag

Angela Merkel ist vor der Euro-Abstimmung im Bundestag zuversichtlich. Eine eigene Mehrheit ist der Regierung unsicher. SPD und Grüne machen sich für Volksentscheide in EU-Fragen stark.

Nein, nur schöngeredet hat die Bundeskanzlerin die Lage ihres Regierungsbündnisses nicht zum Auftakt der schwierigen Woche der Euro-Entscheidung im Bundestag. Doch zumindest am Wochenende haben sich Union und FDP um Geschlossenheit bemüht, sich vor der entscheidenden Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm EFSF am Donnerstag im Bundestag noch einmal versöhnlich gezeigt.

Es ist Sonntagabend, Angela Merkel sitzt als einziger Gast im Studio der Talkshow von Günther Jauch und versucht eine Stunde lang die Risiken eines Euro-Kollapses zu erklären und den Sinn von Milliarden-Bürgschaften, den nicht nur viele Bürger, sondern auch viele Abgeordnete von Union und FDP bezweifeln. Merkel bekennt sich zum Regierungsbündnis mit der FDP. Ihre Koalition, so sagt die Politikerin im blauen Jackett, sei zwar "in einer sehr komplizierten, schwierigen Situation". Auch dass der Umgangston nicht immer so sei, "dass ich zufrieden bin", räumt sie ein. Doch die christlich-liberale Koalition habe "einen Auftrag", ihre Resultate könnten "sich sehen lassen", bekräftigt die Kanzlerin. Mit Blick auf die Bankenrettung während der Finanzkrise 2008 betont die Kanzlerin die erfolgreiche Arbeit der großen Koalition. Die Gemeinsamkeiten mit der FDP seien jedoch größer als sie es mit der SPD gewesen seien, sagte Merkel. Viel mehr muss sie an diesem Abend zum Thema nicht sagen, denn Moderator Jauch, der zur Euro-Rettung viele kluge Fragen stellt, hat nicht vor, in den Wunden der Koalition zu bohren.

Womöglich hätte sich das gelohnt. Denn nicht viele Koalitionspolitiker teilen die Zuversicht in die Zukunft des schwarz-gelbe Bündnisses, von der Merkel mit dürren Worten und ohne erkennbare Begeisterung spricht. Seitdem die Liberalen bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl mit euro-kritischen Tönen nur 1,8 Prozent der Stimmen holten, zweifeln aber nicht nur in der Union viele, ob sich der Koalitionspartner bis zur Bundestagswahl 2013 wieder erholen kann. Auch in den Reihen der Liberalen wächst die Verzweiflung darüber, dass die neue Führung mit massiven handwerklichen Fehlern den Abwärtstrend eher beschleunigt als stoppt und umdreht.

Dennoch betonte auch FDP-Chef Philipp Rösler seinerseits die Verantwortung der Liberalen angesichts der Schuldenkrise in der Europäischen Union. "Nur weil es schwierig wird, werden wir nicht weglaufen", sagte der Wirtschaftsminister. Rösler verteidigte aber weiterhin seine Idee, die Schuldenkrise Athens notfalls auf dem Weg einer geordneten Insolvenz zu lösen.

Mitten in der Euro-Krise ist die Schwäche der verunsicherten Regierungskoalition längst nicht mehr nur ein deutsches, sondern ein europäisches Problem. Zwar beschwören wichtige CDU-Vertreter eine Entwicklung, in der das Bewusstsein der gemeinsamen historischen Verantwortung die Partner wieder zusammenschweißt. Auch CDU-Chefin Merkel betonte, der Erhalt der Werte der EU lohne „jede Anstrengung“. Doch dass am Ende alle zusammenhalten, ist keineswegs ausgemacht.

Am Donnerstag steht im Bundestag eine Entscheidung an, die sowohl in anderen EU-Ländern als auch auf den Weltfinanzmärkten aufmerksam verfolgt werden dürfte. Das Parlament stimmt dann über den erweiterten Rettungsschirm (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, EFSF) ab. Mehrere Abgeordnete der Union und der FDP haben erklärt, dass sie die in ihren Augen unkalkulierbaren Risiken nicht zu tragen bereit sind und deshalb den Vorgaben der Fraktionschefs nicht folgen wollen. So auch Peter Gauweiler. Im Tagesspiegel kündigte CSU-Abgeordnete an, er werde "auf keinen Fall" für die Ausweitung des Rettungsfonds EFSF stimmen. Im Talkssessel bei Günter Jauch warnte die Kanzlerin vor einem verfrühten Schuldenschnitt. "Was wir nicht machen dürfen, ist, das Vertrauen aller Anleger zu zerstören", meinte Merkel. "Sonst legt niemand mehr sein Geld in Europa an."

Zwar steht der Erfolg der EFSF-Vorlage nicht infrage, da die große Mehrheit von SPD und Grünen im Interesse Europas das Vorhaben der Regierung stützen will. Doch würde ein Verfehlen der eigenen Mehrheit klar machen, dass die Kanzlerin schlicht nicht mehr führen kann. Ohnehin muss sich Merkel gegen den Vorwurf wehren, sie verfolge in der Euro-Krise keinen klaren Kurs. Ob ihr der politische Kompass fehle, fragt Jauch zu Anfang seiner Sendung. „Nee, absolut nicht, meine Kompassnadel steht“, entgegnet sein Gast.

Lesen Sie auf Seite 2, was die Opposition für Europa fordert.

Auch für den Fall, dass Union und FDP die Kanzlermehrheit erreichen, bleibt ihr Bündnis gefährdet. Denn die Partner können sich auch dann nicht aufeinander verlassen, wenn es um die großen Linien einer weiteren EU-Integration geht, die neue Währungskrisen verhindern soll.

"Schritt für Schritt" entwickeln will die Kanzlerin die Politische Union Europas, wie sie in der Talkshow sagt. Zwei CDU-Politiker, die als Thronanwärter für die Zeit nach Merkel gelten, nämlich Umweltminister und NRW- CDU-Landeschef Norbert Röttgen und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, profilieren sich derweil mit Vorschlägen zur Übertragung deutscher Hoheitsrechte an die EU (Röttgen) und für Vereinigte Staaten von Europa (Leyen).

Die Rufe nach mehr Europa kommen auch aus der Opposition. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte eine größere direkte Mitwirkungsmöglichkeit der Bevölkerung in Deutschland bei grundsätzlichen Fragen der Europapolitik. Darüber „sollte das Volk in Zukunft direkt entscheiden“, sagte der SPD-Vorsitzende der „Bild am Sonntag“. Die Grünen begrüßten Gabriels Vorschlag. Der Fraktionschef der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, schlug vor, künftig einen EU-Präsidenten direkt von der europäischen Bevölkerung wählen zu lassen. „Das würde dazu führen, dass eine echte Auseinandersetzung über Europa in Gang käme“, sagte er dem Tagesspiegel. Auch die Brundesgrünen wollen mehr Europa wagen. Partei-Chef Cem Özdemir zeigte sich erfreut darüber, „dass auch in der SPD offenbar die Bereitschaft für mehr direkte direkte Mitsprache in EU-Fragen für die Bürgerinnen und Bürger steigt“. Über europäische Fragen müsse möglichst EU-weit und nicht in einzelnen Referenden in den Mitgliedstaaten abgestimmt werden, sagte Özdemir.

So viel Zustimmung für Europa bekommt Merkel in den eigenen Reihen nur von Thronanwärter von der Leyen und Röttgen. Die CSU hält die Vereinigten Staaten von Europa für ein Schreckgespenst. Ob die FDP-Spitze ihre Basis von mehr Integration überzeugen kann, ist völlig offen: Die nötigen Stimmen für den auch von euro-kritischen liberalen Abgeordneten ins Leben gerufenen Mitgliederentscheid sind nach Auskunft der Initiatoren fast schon zusammen. Ein Erfolg der Abstimmung aber würde die Regierungspartei zerreißen.

Weiter hinter Merkels Kurs stehen auch Finanzminister Wolfgang Schäuble und der CDU-Haushälter Norbert Barthle. Sie sprachen sich dafür aus, den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM bereits auf 2012 vorzuziehen. Der ESM, der Instrumente für eine mögliche geordnete Insolvenz von Staaten vorsieht, soll eigentlich erst Mitte 2013 wirksam werden.

Trotz aller Zwietracht: Einen anderen Partner als die FDP kann Merkel vor 2013 nicht finden. Neuwahlen sind nach Verfassungslage ausgeschlossen, die SPD will keinesfalls als Juniorpartner zur Verfügung stehen. An diesem Montag wird in Berlin das Buch „Schwarz-Grün im Parteiengefüge“ vorgestellt. Der Termin erscheint inzwischen unzeitgemäß: Nach dem mäßigen Abschneiden der Grünen in Berlin haben Fraktionschef Jürgen Trittin und seine Ko-Chefin Renate Künast eine schwarz-grüne Option für die Wahl im Jahr 2013 ausgeschlossen. Bleibt es dabei, hat die Union dann neben der großen Koalition keine andere Regierungsoption als die mit der kränkelnden FDP. Vorausgesetzt, diese schafft es wieder ins Parlament.

Am Dienstag will Merkel persönlich das erste Porträtbuch über Vizekanzler Philipp Rösler vorstellen. „Glaube. Heimat. FDP“ heißt es in Anlehnung an die Bibel. Der FDP-Chef, dessen Autorität im Griechenland-Streit schweren Schaden nahm, hält es eher mit dem Prinzip Hoffnung. Es sei doch „ein sehr starkes Signal“ für den Zusammenhalt in der Koalition, dass die Kanzlerin das Buch vorstelle, lobte er im Deutschlandfunk. Nach anderen Signalen der Hoffnung müsste der FDP-Chef lange suchen.

Albrecht Meier, Hans Monath

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