Armenien-Resolution und Visa-Freiheit: "EU und Türkei sind Partner auf Augenhöhe"
Die türkische Regierung sieht die geplante Armenien-Resolution im Bundestag kritisch. Die Aufarbeitung sieht Jugend- und Sportminister Cagatay Kilic als türkisch-armenische Aufgabe.
Herr Minister, die Europäische Union verlangt von Ankara eine Änderung der Anti-Terror-Gesetzgebung, damit es zur Visafreiheit für türkische Bürger kommen kann. Wird die Türkei den Anti-Terror-Paragrafen ändern?
Wir müssen erst einmal klarstellen, worum es überhaupt geht, wenn wir über die Anti-Terror-Gesetzgebung reden. Die PKK ist eine Terrororganisation - so wird sie auch von Deutschland und der gesamten EU eingestuft. Wir führen einen Kampf gegen den Terror, und da müssen wir zusammenstehen. Es ist die EU, die sich bewegen muss, wenn es um die Definition des Anti-Terror-Kampfes geht. Wenn es um Daesh (Bezeichnung für "Islamischen Staat", Anm. der Red.) geht, steht die Terror-Bekämpfung bei den Europäern - anders als im Fall der PKK - ganz oben auf der Agenda. Da müssen wir uns wirklich einmal an einen Tisch setzen, damit wir bei der Bekämpfung von Daesh und der PKK zu vergleichbaren Maßstäben kommen.
Die EU verlangt die Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung unter anderem deshalb, damit missliebigen Journalisten künftig nicht mehr das Wort verboten werden kann.
Die Meinungsfreiheit in der Türkei ist nicht eingeschränkt. Aber die Meinungsfreiheit hört da auf, wo zur Gewalt gegen andere Menschen aufgerufen wird.
Also wird es keine Änderung des Anti-Terror-Paragraphen geben?
Eine Änderung der Anti-Terror-Gesetzgebung steht nicht auf der Agenda.
Nehmen Sie dann auch in Kauf, dass es möglicherweise nicht zur Visafreiheit für türkische Bürger kommt?
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Schon seit langem ist uns die Visafreiheit für den Oktober 2016 in Aussicht gestellt worden. Wir wissen, was von uns verlangt wurde. Es ist aber nicht fair, wenn nun zusätzlich neue Bedingungen gestellt werden.
Im Europaparlament wird das offensichtlich anders gesehen. EU-Parlamentschef Schulz hat in der vergangenen Woche noch einmal erklärt, es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Türkei insgesamt 72 Bedingungen für die Visafreiheit zu erfüllen habe - darunter eben auch eine Reform der Anti-Terror-Gesetzgebung.
Herr Schulz sollte auch einmal aus seinem Fenster in Brüssel schauen. Es stellt sich doch die Frage: Wie kommt es dazu, dass eine Terrorgruppe wie die PKK mitten in Brüssel ein Zelt zu Propagandazwecken aufbauen kann, wie es im vergangenen März passiert ist?
Wird die Türkei die Flüchtlingsvereinbarung mit der EU aufkündigen, wenn die Aufhebung des Visumszwangs nicht wie geplant zu Stande kommt?
Warten wir erst einmal ab, ob die Visafreiheit kommt. Demnächst wird Bundeskanzlerin Merkel in der Türkei ein Gespräch mit Präsident Erdogan führen. Ich denke schon, dass die Lage der Flüchtlinge in der Türkei und Europa auf den Tisch kommen wird. Grundsätzlich gilt: Die Türkei hat immer ihre humanitären Pflichten gegenüber den Flüchtlingen erfüllt. Bis jetzt hat die Türkei fast drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Ihren Kurs zur Aufnahme von Flüchtlingen wird die Türkei auch in Zukunft nicht verlassen. Diese Menschen möchten in ihre Heimat zurück. Seit fünf Jahren wird ihre Heimat von einem Tyrannen und Diktator zerstört. Mehr als 400.000 Menschen sind in Syrien gestorben. Leider hat die Welt weggeschaut. Auch darüber müssen wir sprechen.
Steht eigentlich noch ein Vollbeitritt der Türkei zur EU in Ankara ernsthaft zur Debatte?
Die Türkei und die EU sind Partner auf Augenhöhe. Ich glaube, unsere europäischen Freunde müssen sich fragen, ob sie sich gegenüber der Türkei wirklich fair verhalten. Eigentlich sollten wir in den Verhandlungen über den Beitritt viel weiter sein, aber die Gespräche werden aus politischen Gründe von Südzypern und Frankreich blockiert.
Wenn die Gespräche stocken, dann liegt das derzeit an der Befürchtung vieler Europäer, dass sich die Türkei unter ihrem Präsidenten Erdogan in Richtung einer Autokratie entwickelt - zumal er seine Pläne für ein Präsidialsystem vorantreibt.
Präsident Erdogan wurde mit 52 Prozent der Stimmen direkt gewählt. Beim Präsidialsystem geht es um ein neues Regierungssystem. Es geht nicht um einen Umbau der staatlichen Ordnung, wie uns immer wieder in Europa unterstellt wird. Auch Frankreich hat ein Präsidialsystem - und da erhebt niemand den Vorwurf einer Autokratie.
Der Bundestag will Anfang Juni eine Resolution verabschieden, in der das Massaker an den Armeniern vor 101 Jahren als Völkermord bezeichnet werden soll. Was sagen Sie dazu?
Wie über die Geschichte geurteilt wird, liegt nicht in der Hand von Parlamenten. Beim sogenannten Völkermord handelt es sich nicht um eine politische, sondern um eine juristische Definition.
In der Vergangenheit haben aber bereits mehrere Parlamente den Völkermord verurteilt, darunter die französische Nationalversammlung.
Für uns hat Deutschland als ein Land, in dem fast drei Millionen Türken leben, eine besondere Bedeutung. Wir hoffen, dass Fehler, die in anderen Parlamenten gemacht wurden, nicht im Bundestag wiederholt werden. Es liegt nicht zuletzt bei der Türkei und Armenien, die Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten. Wir haben eine gemeinsame Kommission zur Aufarbeitung der Dokumente in den Archiven unseren beiden Länder vorgeschlagen. Aber von armenischer Seite ist die Antwort bislang ausgeblieben.
Das Gespräch führte Albrecht Meier.