Debatte um Armutsmigration: EU-Kommissar Andor gibt Probleme zu
EU-Kommissar Andor verschließt nicht die Augen davor, dass die Armutsmigration einzelnen Kommunen auch Probleme bereiten kann. Unterm Strich profitiere Deutschland aber von der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
In der Debatte um die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union hat EU-Sozialkommissar Laszlo Andor zugegeben, dass die Armutsmigration einzelnen Kommunen auch Probleme bereiten kann. Die Zuwanderung könne sich unter Umständen auch „negativ auf das Bildungs- und Gesundheitswesen“ in den betroffenen Stadtteilen auswirken, sagte der ungarische EU-Kommissar am Freitag in Berlin. Unterm Strich profitiere Deutschland aber von der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU, sagte der Kommissar weiter.
Vor drei Wochen war es zu einer heftigen Kontroverse zwischen der EU-Kommission und der CDU/CSU gekommen, nachdem eine Stellungnahme der Brüsseler Behörde in einem laufenden Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) bekannt geworden war. In der Stellungnahme vertrat die Kommission die Ansicht, dass EU-Ausländer, die ohne Job nach Deutschland kommen, nicht pauschal von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen werden dürften. Dies rief in Deutschland wiederum scharfen Protest vor allem aus den Reihen der Union hervor.
Andor sagte nun in Berlin, dass sich die Aufregung voraussichtlich legen werde, wenn sich die Angst vor einer plötzlichen Zunahme der Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien als unbegründet erweisen werde. Seit dem 1. Januar dürfen Rumänen und Bulgaren sich als Arbeitnehmer überall in der EU niederlassen. Bei der Debatte um eine mögliche Armutsmigration aus Rumänien und Bulgarien geht es vor allem um die Situation der Roma aus beiden Ländern.
Andor machte sich am Nachmittag im Berliner Stadtteil Neukölln ein Bild von kommunalen Integrationsprojekten für Roma – er besuchte ein Wohnprojekt für Roma und die Hans-Fallada-Grundschule. Nach Angaben des Bezirksamtes Neukölln hat die Schule auf den Zuzug vom Roma-Familien in den letzten Jahren mit der Einrichtung von speziellen Fördergruppen und Sprachkursen reagiert und setzt rumänischsprachige Erzieherinnen und Sozialarbeiter ein. Ein Schulprojekt, die sogenannte Lernwerkstatt, wird durch EU-Mittel unterstützt. Dort können Klassen eigenständig forschen.
Rund 5500 bulgarische und rumänische Staatsangehörige sind im Bezirk Neukölln gemeldet. Bezirksstadträtin Franziska Giffey (SPD) schätzt aber, dass es eigentlich doppelt so viele sind. Seit dem EU-Beitritt 2007 habe es einen kontinuierlichen Anstieg gegeben. Der Wegfall der Freizügigkeitsbeschränkungen zu Anfang des Jahres habe an dieser Entwicklung bisher nichts Wesentliches geändert. Die Zuwanderer, die in Neukölln aus Bulgarien und Rumänien ankommen, hätten in der Regel einen niedrigen Bildungsstand, sagte Giffey. „Die Eltern können meistens weder Deutsch noch Englisch, und zu uns kommen Kinder, die mit zehn Jahren noch nie in der Schule waren“, erläuterte die Bezirksstadträtin. Rund 3000 Gewerbeanmeldungen habe es in den letzten Jahren von Bulgaren und Rumänen gegeben, die meisten im Reinigungs-, Transport- und Baugewerbe. In diesen Branchen arbeiteten viele Roma zu Dumpinglöhnen. „Daneben spielt auch der Kindergeldbezug eine Rolle“, sagte Giffey.
Seit dem Beginn dieses Jahrzehnts hat sich zudem nach den Worten der Bezirksstadträtin die Dauer des Aufenthalts von Zuwanderern verlängert: Während sich zuvor viele Familien nur während der Sommermonate in Berlin aufgehalten hätten, blieben die meisten inzwischen dauerhaft. Der Bezirk brauche sowohl von der EU als auch von Bund und Land mehr Unterstützung, verlangte Giffey. Mehr Geld für den Einsatz von Sprach- und Kulturmittlern sei nötig. Darüber hinaus müssten die Meldepflicht verschärft und der Sozialleistungsbezug klarer geregelt werden. Zudem müsse sich die EU darum kümmern, die Probleme in den Herkunftsländern in den Griff zu bekommen. Die Kommunen allein seien überfordert, sagte Giffey. Die Bezirksstadträtin erläuterte das mit dem Beispiel der überbelegten Schrottimmobilien, in denen viele Roma leben. Den Kommunen fehle die Handhabe, gegen die Vermieter vorzugehen. Wenn der Bezirk ein derart überbelegtes Haus räume, stehe er in der Pflicht, die Bewohner anderweitig unterzubringen. „Und dafür haben wir weder Platz noch Mittel. Wenn wir die Menschen in einem Hostel unterbringen, dann sind wir ganz schnell pleite.“
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