Befangenheit von Bundesverfassungsrichtern: Etwas mehr Besorgnis darf sein
Der Ex-CDU-Politiker Harbarth urteilt als Richter über ein Gesetz gegen Kinderehen, das er selbst mitgestaltet hat. Glücklich ist das nicht. Ein Kommentar.
Absicht oder Zufall? Der designierte Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der Ex-CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth, durfte die zweitägige Verhandlung über die Lauschpraktiken des Bundesnachrichtendiensts in Karlsruhe als Vorsitzender des Ersten Senats noch zu Ende bringen. Erst am Tag danach veröffentlichte sein Gericht einen Beschluss in eigener Sache: Auch das Verfahren um das Gesetz zur „Bekämpfung von Kinderehen“ wird Harbarth mitverhandeln. „Die Besorgnis der Befangenheit von Vizepräsident Harbarth ist nicht begründet“, hieß es.
Die glückliche Chronologie der Ereignisse hat dem Ex-Politiker, der am Tag dieser Mitteilung Zeit fand, eine Konferenz der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin zu besuchen, eine unerfreuliche Diskussion weitgehend erspart. Denn so problemlos, wie es klingt, ist es nicht mit der möglichen Besorgnis der Befangenheit.
Im Furor über Scharia-Recht ging Augenmaß verloren
Das zeigen schon die Gegenstimmen, die es unter den Richterinnen und Richtern gegeben hat. Denn Bundestagsmitglied Harbarth war vorne mit dabei, als der Gesetzgeber gegen Kinderehen zu Felde zog. Das war zwar ein berechtigtes Anliegen. Aber seine Lösung, die pauschale Nichtigerklärung von solchen Zusammenschlüssen, kann betroffene Frauen isolieren und von Versorgungsansprüchen abschneiden. Anders gesagt: Manchmal kann es sinnvoll sein, im Ausland geschlossene Ehen von Unter-16-Jährigen anzuerkennen.
Harbarth hatte sich damals zwar für ein abwägendes Modell stark gemacht. Aber Gesetz wurde das kompromisslose, das nun zu Recht dem Gericht vorliegt. Denn der benachbarte Bundesgerichtshof hält es für verfassungswidrig. Die Ehe wird im Grundgesetz geschützt; eine Auflösung ohne Gespür für den Einzelfall ist damit nur schwer vereinbar. Im allgemeinen Furor über Scharia-Recht war das Augenmaß verloren gegangen.
Der Vorgang ist fragwürdig. Es muss (!) im Sinne eines funktionierenden Rechtsstaates jeder Anschein vermieden werden, dass es Interessenskollisionen gibt.
schreibt NutzerIn w.heubach
Es gilt, jeden Anschein zu vermeiden
Nun wird Harbarth an herausragender Stelle über ein Gesetz urteilen, das er als Parlamentarier, man darf sagen: mit angeregt und mitgestaltet hat. Darin liegt die Crux des schnellen Wechsels an der Schnittstelle von Politik und Recht. Immer wieder drohen Konflikte, die die Autorität des Gerichts schwächen können. Bei Harbarth ging es schon los im Verfahren um die Hartz-Sanktionen, das er leitete, obschon er erst kurz zuvor weitere Reformen zum Arbeitslosengeld mitverantwortet hat. Es könnte weitergehen mit der Vorratsdatenspeicherung, für die er eintrat. Oder es kommt sein Job als früherer Wirtschaftsanwalt ins Spiel, dessen damalige Kanzlei Volkswagen beim Dieselthema vertrat.
Befangen? Nein. Aber es gilt, jeden Anschein zu vermeiden. Etwa durch eine Karenzzeit für Politiker, ehe sie Verfassungsrichter werden. Der Fall Harbarth ist ein tauglicher Anlass.