Nach den Landtagswahlen: Es sind die Kandidaten, stupid
Der Wahlabend hat gezeigt: auf die Kandidaten kommt es an. In allen drei Bundesländern bestätigten die Wähler die regierenden Ministerpräsidenten. Vor allem Winfried Kretschmann hat in Baden-Württemberg gezeigt, wie es geht. Ein Gastbeitrag.
Wahlen sind Schicksalstage, insbesondere für die politische Klasse – das Wahlvolk fällt sein Urteil über die Bilanz der letzten Jahre, entscheidet über das Auf oder Ab von Karrieren und den politischen Kurs der nächsten Jahre. Dabei zählen nicht in erster Linie Programme, sondern Personen. Das scheint ein genereller Trend zu sein: die Parteibindung nimmt ab, eine wachsende Zahl von Bürgern ist nicht mehr in Treue fest mit einer Partei verbandelt, sondern entscheidet situativ, ob und wen sie wählen. Im Gegenzug wächst die Bedeutung von Personen in der politischen Arena: wofür stehen sie, wie glaubwürdig und handlungskompetent werden sie wahrgenommen, wie viel Vertrauen vermitteln sie, dass das Land bei ihnen in guten Händen ist? Kein Zufall, dass in allen drei Bundesländern die Ministerpräsidenten von den Wähler/innen bestätigt wurden. Sie haben offenbar das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung, und in Zeiten wachsender Unsicherheit ist Vertrauen die entscheidende politische Münze. Das Phänomen Merkel schlägt auch auf die Landesebene durch. Wenn schon alles im Fluss ist, will man Kontinuität an der Spitze.
Das ist die große Leistung von Winfried Kretschmann: Er hat es geschafft, über die Parteigrenzen hinaus Anerkennung und Vertrauen zu erwerben. Eine Regierung zu wählen, heißt ihr eine nicht unerhebliche Macht anzuvertrauen. Und die Wähler haben einen feinen Sinn dafür, wie ihre Repräsentanten mit dieser geliehenen Macht umgehen: heben sie ab oder bleiben sie auf dem Teppich, ist ihre Politik einigermaßen verlässlich und konsistent, hören sie noch zu und sind sie fähig zum Dialog? Politik im Dialog – das ein Schlüssel für den Erfolg grüner Regierungspolitik in Ba-Wü.
Der schwierige kleine Koalitionspartner SPD
Niemand kann das so gut wie der philosophierende Handwerker Kretschmann, der seine Bibel ebenso kennt wie Hannah Arendt und sich unter schwäbischen Pietisten ebenso gut bewegen kann wie unter Intellektuellen oder Unternehmern. Aber selbstverständlich steht auch er auf den Schultern vieler kluger, engagierter Leute, die das grüne Regierungsprojekt vorangebracht haben. Auch die anderen grünen Minister/innen stehen hoch im Kurs, das Zusammenspiel mit Partei und Fraktion hat gut funktioniert und sogar der Umgang mit dem schwierigen kleinen Koalitionspartner SPD, der gut gepflegt werden musste, um über den grünen Erfolg nicht auszurasten.
Dass die Grünen ausgerechnet in einem industriellen Herzland Deutschlands die jahrzehntelange Vorherrschaft der Union geknackt haben und stärkste Partei wurden, kann man gar nicht hoch genug schätzen. Das Signal lautet: Ökologische Politik ist keine Bedrohung für Unternehmen und Arbeitsplätze. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Nur eine Industrie, die ihre Verfahren und Produkte radikal erneuert, ist eine zukunftsfähige Industrie. Dass die Grünen diese Veränderung mit den Unternehmen statt gegen sie betreiben, hat alte Gräben zugeschüttet und neue Allianzen ermöglicht.
Kretschmann könnte beispielgebend für die Grünen insgesamt sein - wenn sie wollen
Was Kretschmann & Co in Baden-Württemberg geschafft haben, könnte bundesweit beispielgebend für die Grünen sein, sofern sie denn bereit wären, sich auf diese Erfahrung einzulassen: Kretschmann & Co haben erfolgreich den Kampf um die Mitte geführt, Wurfanker in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus verankert und eine gelungene Mischung aus Pragmatismus und Veränderungswillen entwickelt. Anders gesagt: sie haben den Windfall-Profit, der den Grünen mit Fukushima zufiel, klug genutzt , um die Grünen zu einer ernsthaften Regierungsalternative zu machen, der man die Führung des Landes zutraut. Davon könnte man lernen, wenn man es denn will. Das setzt freilich voraus, dass ein erfolgreiches Ausgreifen in die Mitte nicht sofort unter Opportunismusverdacht gestellt und schlechtgeredet wird.
Dass die Tendenz zur Personenwahl nicht immer gerecht ist, erlebten die Grünen in Rheinland-Pfalz – dort sind sie in den Windschatten des Ministerpräsidentinnen-Duells zwischen Malu Dreyer und Julia Klöckner geraten, und je knapper der Ausgang dieses Zweikampfs wurde, desto schwerer wurde es für die Grünen, sich als eigenständige Kraft zu behaupten. Umgekehrt kann man daraus lernen, dass sie nur als dritte Kraft mit einem eigenständigen Profil eine Chance haben, sich gegen Union und SPD (und alle anderen) zu behaupten.
Politisches Vakuum für die AfD
Nicht zuletzt waren diese Wahlen das Einfallstor für eine Erweiterung des bundesdeutschen Parteienspektrums nach rechts. Angela Merkel hat ihre Partei in den letzten Jahren so entschieden in die Mitte geführt, dass der SPD kaum noch Luft bleibt. Damit ist ein politisches Vakuum auf dem rechten Flügel entstanden, in das jetzt die AfD stößt. Die Flüchtlingsfrage ist dafür nur der Kristallisationspunkt, nicht die alleinige Ursache. Wir erleben jetzt in Deutschland, was in den meisten europäischen Ländern bereits gang und gäbe ist: den Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei. Verglichen mit Frankreich, Österreich, Skandinavien etc. hält sich der Erfolg der AfD in Westdeutschland noch in Grenzen, und es ist immer noch fraglich, ob es ihr gelingt, ihren aktuellen Aufschwung zu konsolidieren. Das Potential dafür ist da.
Wie erste Analysen zeigen, erhält die AfD nicht nur Zulauf aus dem großen Reservoir bisheriger Nichtwähler. Sie zieht zugleich Protestwähler von der Union, der SPD und im Osten von der Linkspartei ab. Die große Gefahr ist nicht die AfD selbst, sondern der Anpassungsdruck, den sie insbesondere auf SPD und Union ausübt. Man kann in Frankreich, Österreich etc. beobachten, wie sehr die Ränder die politische Agenda prägen und wie sehr den etablierten Parteien der Mut schwindet, insbesondere in der Flüchtlingsfrage. Umso wichtiger, dass es die Grünen in Ba-Wü geschafft haben, die demokratische Mitte zu stärken. Für die CDU war es ein bitterer Abend: wie die SPD ist sie jetzt in einer Sandwitch-Position zwischen den Kretschmann-Grünen und der AfD. Das wird die innerparteiliche Lage nicht beruhigen.
Ein Effekt der Erosion von Union und SPD ist, dass Regierungsbildung immer komplizierter wird. In Sachsen-Anhalt reicht es nicht einmal mehr für eine vermeintlich „Große Koalition“. Neue Konstellationen sind unvermeidlich. Das erfordert eine neue Beweglichkeit der demokratischen Parteien, macht die Politik aber zugleich unkalkulierbarer. Gut daran ist zumindest, dass sich künftig niemand mehr auf irgendwelchen Erbhöfen ausruhen kann.
Ralf Fücks ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung.
Ralf Fücks