Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: Es kann noch ganz eng werden für Angela Merkel
Der Stimmenverlust der CDU in Schwerin trifft die Kanzlerin hart und nährt die Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik. Hält Angela Merkel dem Druck stand? Eine Analyse.
- Sabine Beikler
- Antje Sirleschtov
Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist die CDU mit 19Prozent von den Wählern abgestraft worden. Der Stimmverlust wiegt vor allem deshalb so schwer, weil die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) besser als die CDU abgeschnitten hat – und das im politischen Heimatland von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Am 18. September wählen die Berliner ein neues Abgeordnetenhaus und die CDU muss nach Umfragen mit einem ähnlich schlechten Ergebnis rechnen. Als Grund für den Missmut der Bürger wurde in erster Linie der Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik ausgemacht.
Wird Angela Merkel ihren Flüchtlingskurs nun ändern?
Das ist nicht zu erwarten. Als die Wähler im Nordosten am Sonntag abstimmten, war Angela Merkel im chinesischen Hangzhou Teilnehmerin des G-20-Treffens der Staats- und Regierungschefs. In Anbetracht des Wahldebakels für ihre Partei hatte sie sich jedoch entschlossen, mit einer eigenen Stellungnahme zum Ausgang der Wahl nicht – wie es üblich ist – bis zu ihrer Rückkehr zu warten. In ihrem Umfeld hieß es, die Kanzlerin habe den Wählern rasch signalisieren wollen, dass sie deren Botschaft wohl verstanden hat. Am Montag gab Merkel am Rande des Staatschef-Treffens ihre Verantwortung für den Wahlausgang und das Erstarken der AfD zu. Sie sei Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin, was in den Augen der Menschen nicht zu trennen sei. „Und deshalb bin ich natürlich auch verantwortlich“, sagte sie. Der Wahlausgang habe „natürlich was mit der Flüchtlingspolitik zu tun“, gab Merkel zu, betonte aber zugleich: „Ich halte dennoch die Entscheidungen, so wie sie getroffen wurden, für richtig.“
Welche Schlussfolgerungen zieht die CDU-Vorsitzende aus dem Wahlergebnis?
In einer Telefonschaltkonferenz zogen Merkel und die Mitglieder des Parteivorstandes am Montagmorgen ein erstes Resümee. Die CDU-Chefin bilanzierte danach, sie müsse „zur Kenntnis nehmen, dass viele Menschen im Augenblick nicht das ausreichende Vertrauen in die Lösungskompetenz für diese Themen haben, obwohl wir schon sehr viel geschafft haben“. Am Morgen hatten sich die telefonierenden Präsidiumsmitglieder nach Teilnehmerangaben darauf verständigt, den Grund für den Vertrauensverlust der Bevölkerung in den Flüchtlingskurs der Regierung insbesondere in einer mangelhaften Kommunikation mit den Menschen zu sehen. Obwohl die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge seit Jahresbeginn deutlich zurückgegangen ist und die von der Union geführte Regierung seither zahlreiche Beschlüsse zur weiteren Reduzierung und zur Integration gefasst hat, kam man in der CDU-Führung offenbar zu der Erkenntnis, dass das Erreichte deutlicher herausgestellt werden müsse.
Generalsekretär Peter Tauber mahnte später zur Besonnenheit. Es brauche „Zeit, bis verlorenes Vertrauen zurückkehrt“. Gleichzeitig forderte Merkels Generalsekretär jedoch die eigene Partei auf, die Flüchtlingspolitik nicht immer wieder selbst infrage zu stellen. Auch Merkel wurde in der Telefonkonferenz mit der Mahnung vernommen, nicht alles „schlecht zu reden“ und damit den Eindruck zu verstärken, die Merkel-Partei sei sich selbst nicht sicher mit ihrem Kurs. Taubers öffentliche Mahnung richtete sich allerdings auch an die Schwesterpartei CSU. Deren erneute Forderung einer „Obergrenze“ wies Tauber mit dem Hinweis zurück, dass die Flüchtlingszahlen längst zurückgingen und man eine Reihe von Maßnahmen zur Begrenzung beschlossen habe, weshalb eine solche Obergrenze „keine entscheidende Rolle mehr spielt“. Auf Vorschlag Merkels verständigten sich die CDU-Granden im Übrigen auf eine spätere intensive Auswertung der Wahlergebnisse. Angedacht ist dazu offenbar eine Sondersitzung des Präsidiums nach der Berlin- Wahl.
Wächst nun der innerparteiliche Druck in der CDU auf Merkel, den Kurs zu ändern?
Dass in der CDU zur Frage, wie mit dem Flüchtlingsthema umzugehen ist, schon lange keine Einigkeit herrscht, ist kein Geheimnis. Genauso wie die Feststellung, dass es innerhalb der CDU derzeit keine Alternative zu einer Kanzlerin Angela Merkel gibt. Ein Putsch ist also nicht in Sicht. Der Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern wird aber die kritischen Stimmen in den nächsten Tagen noch einmal verstärken. Zu den Kritikern werden diejenigen gehören, die eine aktivere Abschiebungspolitik fordern.
Der CDU-Fraktionsvize Michael Kretschmer nannte am Montag „Baustellen der Flüchtlingspolitik, die nun konsequent angegangen werden müssen“. Er zählte dazu konsequente die Ausweisung straffällig gewordener Asylbewerber und eine härtere Gangart gegen abgelehnte Asylbewerber. Kretschmer forderte darüber hinaus eine „klare Positionierung dazu, das deutsche Vorstellungen vom Zusammenleben in unserem Land durchgesetzt werden müssen“.
Der Mittelstandspolitiker Carsten Linnenmann beklagte, nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zeige sich, dass die politischen Parteien „ein Glaubwürdigkeitsproblem haben“. Die Menschen treibe „das Unbehagen, dass die politischen Eliten nicht wissen, wie die Bevölkerung denkt“. Als MIT-Vorsitzender erhalte er zunehmend Post von Mittelständlern, die den Flüchtlingskurs der Bundesregierung nicht verstünden und sich Sorgen um die Zukunft des Landes und damit auch um die Sicherheit ihrer Investitionen machten.
Wie reagiert Horst Seehofers CSU?
Zunächst nur mit – für bayerische Verhältnisse zurückhaltenden – rhetorisch verschärften Forderungen nach einer Kursänderung. Nach einem Telefonat der Kanzlerin mit CSU-Chef Horst Seehofer sagte der christsoziale Generalsekretär Andreas Scheuer, am kommenden Sonntag wolle man beim Treffen der Koalitionsspitzen über Obergrenzen für Flüchtlinge, schnellere Rückführungen, die Ausweitung der Zahl sicherer Herkunftsländer und bessere Integration sprechen. „Diese Verärgerung über ein Thema überlagert alles. Das ist bitter und schade. Das zu ändern geht nur mit klaren Worten und einem klaren Kurs“, sagte Scheuer. Die Zielrichtung ist dabei klar: Mehr Druck auf den sozialdemokratischen Koalitionspartner ausüben – und indirekt damit auch auf die Schwesterpartei CDU.
Bayerns Finanzminister Markus Söder hatte in der „Bild“-Zeitung bereits gefordert, das Ergebnis der Wahl müsse „ein Weckruf für die Union“ sein. „Es braucht einen Kurswechsel in Berlin.“ Der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger sprach am Montag von einer „Zäsur“, die nicht ohne Konsequenzen bleiben könne. Die Regierung müsse „deutlichere Signale der Begrenzung setzen“, sagte er. „Die Obergrenze ist schon überschritten“, fügte er an. Das sehe die deutsche Bevölkerung ganz offenbar genau so. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer forderte überdies, der Türkei klar zu sagen, dass es für die Deutschen nicht vorstellbar sei, die von Ankara geforderte Visafreiheit umzusetzen. „Das ist ein Hochrisikounternehmen“, bei dem die Gefahr groß sei, dass von der türkischen Regierung Verfolgte und Kurden in großer Zahl nach Deutschland kommen, hier Asyl beantragen und innertürkische Konflikte nach Deutschland bringen, sagte Singhammer. Hier müsse die Bundesregierung einen „klaren Kurs fahren“.
Was heißt das Wahlergebnis für die Berliner CDU?
Am Montagmorgen trat der CDU-Spitzenkandidat und Parteichef Frank Henkel gut gelaunt vor 450 Wirtschaftsvertretern in der IHK auf. Auf die Frage, ob nach Innensenator und Bürgermeister „noch mehr geht“, sagte er: „Natürlich geht noch mehr. Der Regierende Bürgermeister geht noch. Ich kämpfe für eine starke Union.“ Henkel sprach Sonntagabend von einem „klaren Arbeitsauftrag für die verbleibenden zwei Wochen“. Man wisse, dass es ein Potenzial an Protestwählern gebe – auch in Berlin. Und auch in Berlin gehe es an den Ständen um „die Flüchtlingsfrage“. Die Berliner CDU wird jedoch keinen Kurs gegen Merkels Flüchtlingspolitik fahren, sondern versuchen „stärker zu kommunizieren“, dass man deutlich mehr Abschiebungen und Rückführungen veranlassen konnte. Und die CDU will die Protestwähler erreichen und ihnen verdeutlichen, dass sie mit der Wahl der AfD keine gestalterische Option hätten. „Wir werden deutlich machen, wie gefährlich ein solches Ergebnis für unsere Stadt wäre“, sagte Henkel.
Die CDU hat in ihrer letzten Plakatwelle für die Berlin-Wahl den Slogan „Keine Experimente. Kein Rot-Rot-Grün“ stark gemacht. „Wer den extrem rechten Rand wählt, bekommt am Ende Rot-Rot-Grün“, betonte der CDU-Spitzenkandidat. Nur eine starke CDU könne eine Regierung mit Linken und Grünen verhindern. In den letzten Umfragen liegt die CDU mit 20Prozent hinter der SPD mit 21 Prozent und vor den Grünen, Linken, der AfD und der FDP, die mit fünf Prozent wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen könnte. Die Berliner Grünen haben eine Koalition mit der Berliner CDU bereits ausgeschlossen. Somit gäbe es für die Christdemokraten nur noch die Option auf eine Fortsetzung der großen Koalition, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) nicht konkret ausgeschlossen hat.
Nach dem Wahlerfolg der SPD in Mecklenburg-Vorpommern gebe es kein Grund für die SPD in Berlin zu jubeln, sagte der CDU-Generalsekretär Kai Wegner. „Müllers Jubelarie wirkt wie das Pfeifen im Walde und zeigt eine beachtliche Realitätsblindheit.“ Müller sollte nochmal in sich gehen, vielleicht käme er dann ja zu einer anderen Bewertung. „Dass er seine Meinung gut und schnell ändern kann, hat er in der Vergangenheit ja schon häufiger unter Beweis gestellt. Statt Triumphgeheul auszustoßen, sollte Müller lieber Demut zeigen“, schimpfte Wegner. Alle etablierten Parteien hätten in Mecklenburg-Vorpommern verloren. Statt Scheindebatten, um politisches Kapital für die Abgeordnetenhauswahl zu schlagen, müsse man die Sorgen und Ängste der Bürger ernst nehmen. Wegner forderte, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Außerdem müsse man dafür sorgen, dass die „kleine Minderheit der Asylbewerber, die sich nicht an unsere Regeln hält, unser Land wieder verlässt“. Solange SPD und Grüne immer wieder notwendige Anpassungen verhinderten, betrieben sie damit das Geschäft der AfD.
Die CDU erhält deutliche Wahlkampfunterstützung der Kanzlerin. Vor kurzem waren Wirtschaftsvertreter aus Berlin mit der CDU-Spitze und Angela Merkel zu einem Dinner im Ellington Hotel geladen. Am heutigen Mittwoch ist ein „Wirtschaftstag“ der Berliner CDU im Beisein der Bundeskanzlerin geplant.
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