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Die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms.
© dpa

Rebecca Harms über das Einreiseverbot: "Es gibt in Russland eine 'Schwarze Liste'"

Der Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, wurde die Einreise nach Russland verweigert. Im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt sie, was hinter dem Einreiseverbot steckt.

Frau Harms, Ihnen ist in Russland die Einreise verweigert worden. Durften Sie am Donnerstag deshalb nicht nach Russland einreisen, weil Sie die pro-europäische Maidan-Bewegung in Kiew im vergangenen Frühjahr aktiv unterstützt haben?

Ich wollte gestern zusammen mit polnischen und russischen Menschenrechtsorganisationen den Prozess gegen die ukrainische Hubschrauberpilotin Nadja Sawtschenko beoabachten, der einen eklatanten Fall politisch motivierter Justiz bedeutet. Das war einer der Gründe, warum mein Besuch nicht erwünscht war. Aber das größere politische Problem besteht woanders: Offensichtlich gibt es in Moskau eine Entscheidung für eine 'Schwarze Liste', die gestern 'Stop List' genannt wurde und auf der sich eine ganze Reihe von europäischen Politikern befinden sollen, die in Russland nicht mehr willkommen sind. Die Begründung der russischen Behörden scheint mir klar, nachdem ich gestern einen ganz kurzen letzten Austausch mit einem Mitarbeiter des Außenministeriums Russlands auf dem Flughafen in Moskau hatte: Kurz bevor ich wieder in das Flugzeug zurück nach Brüssel gesetzt wurde, fragte man mich, ob ich für die Wirtschaftssanktionen gegen Russland gestimmt hätte. Ich habe darauf geantwortet, das sei ja bekannt und kein Geheimnis. Der Konsul des russischen Außenministeriums sagte mir daraufhin: 'Sehen Sie, das ist jetzt auch der Grund für Sanktionen gegen Sie.'

Wie viele Personen stehen auf der 'Schwarzen Liste'?

Das wissen wir nicht. Diese Informationen liegen in der deutschen Botschaft in Moskau nicht vor. Es wird versucht, nähere Details in Erfahrung zu bringen. Die deutsche Botschaft ist gestern Nachmittag offensichtlich über einen öffentlichen Hinweis auf eine solche Liste gestolpert. Aber bis heute sind keine Namen bekannt. Sicherlich wird jetzt Druck gemacht, damit die Namen auf der Liste veröffentlicht werden. Dass ich auf der Liste stehe, wurde nur durch den gestrigen Eklat bekannt

Sie wollten in Moskau den Prozess gegen die ukrainische Hubschrauberpilotin Nadja Sawtschenko verfolgen. Worum geht es in dem Fall?

Sawtschenko ist eine junge ukrainische Soldatin, die schon vor mehreren Monaten von Lugansk nach Russland gebracht wurde. Schon das ist ein eklatanter Rechtsverstoß gewesen. Sie steht in Russland vor Gericht mit der Anschuldigung, dass sie für den Tod von russischen Journalisten verantwortlich sein soll. Sie befindet sich in Untersuchungshaft. Es gibt bereits eine Ankündigung, dass sie in die Psychiatrie gebracht werden sollte. Nadja Sawtschenko hat immer wieder Schwierigkeiten, an ihrem eigenen Verfahren teilzunehmen. Heute morgen wurde der angesetzte Prozesstermin zur allgemeinen Überraschung als nicht öffentlich deklariert. Also konnten alle anderen Prozessbeobachter aus der Ukraine, Polen oder die russische Menschenrechtsorganisation 'Memorial' nicht in den Gerichtssaal. Anschließend wurde der Prozess vertagt. Die Anwälte von Frau Sawtschenko wollen derzeit durchsetzen, dass die Prozesstermine überhaupt nur mit der Anwesenheit ihrer Mandantin öffentlich stattfinden sollen.

Vor dem Europaausschuss des Bundestages hat EU-Energiekommissar Günther Oettinger am Donnerstag erklärt, Russland sei 'keine Demokratie'. Wie würden Sie das russische Herrschaftssystem charakterisieren?

Mich überrascht diese Einstufung natürlich nicht. Es gibt in Russland keine fairen demokratischen Wahlen, es herrscht politische Justiz. Es gibt nun eine neue Situation, in der sich Russland nicht mehr an die europäische Friedensordnung hält und systematisch internationales Recht bricht, um Einfluss auf die Politik in die Ukraine und die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland zu bekommen.

Der russische Gaskonzern Gazprom liefert Ungarn mehr Gas - im Gegenzug stoppt Budapest vorübergehend seine Lieferungen an die Ukraine.
Der russische Gaskonzern Gazprom liefert Ungarn mehr Gas - im Gegenzug stoppt Budapest vorübergehend seine Lieferungen an die Ukraine.
© AFP

Oettinger vermittelt an diesem Freitag im Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine. Der EU-Kommissar hat in Berlin erklärt, dass Russland nicht nach dem Motto 'Teile und herrsche' gegenüber den EU-Staaten vorgehen dürfe. Hat er Recht?

Russland betreibt Politik mit Rohstoffen. Auch wenn Deutschland noch nie darunter gelitten hat, ist das eine Tatsache, mit der sich auch Deutschland innerhalb der EU auseinandersetzen muss. Ich finde es gut, dass Günther Oettinger alles versucht, um eine Lösung für den kommenden Winter und eine Versorgung der Ukraine zu erreichen. Die langfristige Lösung sollte aber in einer Strategie zur Diversifizierung, zum Energiesparen und zur Effizienz bestehen: Wir müssen mehr auf eigene Quellen wie die Erneuerbaren setzen. Die EU muss unabhängiger von undemokratischen, unberechenbaren Staaten werden. Eine größere Unabhängigkeit von russischen oder saudischen Energieimporten dient auch der Freiheit und der Demokratie. Das ist etwas, das uns gerade im Ukraine-Konflikt überdeutlich wird.

Ungarn hat die Gaslieferungen an die Ukraine überraschend unterbrochen und bekam dafür im Gegenzug höhere Gaslieferungen vom russischen Gaskonzern Gazprom zugesagt. Wie bewerten Sie den Vorgang?

Am Fall Ungarns kann man sehen, dass über die Abhängigkeit Ungarns von Russland der Druck auf die Ukraine erhöht wird. Die EU hat sich lange bemüht, zu einer Energieunion mit Russland zu kommen. Die Verhandlungen sind aber vor Jahren an der russischen Seite gescheitert. In der aktuellen Situation muss die EU, wenn Oettinger nicht erfolgreich sein sollte, sich insgesamt - auch für die Ukraine und für Moldau - über einen Notfall-Plan Gedanken machen und sich auf einen Winter vorbereiten, der schwieriger werden könnte als die letzten. Dieser Notfall-Plan müsste auch das Worst-Case-Szenario durchspielen: Was soll passieren, wenn die EU-Staaten kein Gas, Öl oder keine Kohle mehr aus Russland bekommen? Wo gibt es Ersatzlieferanten? Auf diese Fragen hätten wir längst vorbereitet sein müssen.

Wäre eine gemeinsame Gas-Einkaufspolitik der EU-Staaten gegenüber Russland, wie sie der künftige EU-Ratschef Donald Tusk vorgeschlagen hat, der richtige Ausweg aus dem Dilemma?

Wir brauchen in der Tat eine gemeinsame europäische Energiestrategie. Die Idee einer europäischen Energieunion muss man der russischen Politik entgegensetzen. Es stärkt auch unsere Interessen gegenüber Moskau, wenn Russland uns Europäer nicht mehr gegeneinander ausspielen kann. Diese Idee ist aber lange nicht aufgegriffen worden. Die EU-Mitgliedstaaten, Deutschland vorneweg, wirtschaften lieber jeweils auf eigene Rechnung mit Russland. Einerseits ist es richtig, dass sich Tusk für eine Energieunion einsetzt. Andererseits unterschätzt er, wie notwendig es ist, in Zukunft auf Energieeffizienz und Erneuerbare Energien zu setzen. Für mich ist es glaskar: Wir leben in einer der Welt der begrenzten Ressourcen. Für mich ist eine EU-Energieunion, die auf Effizienz auf Erneuerbare Energien setzt, das europäische Zukunftsprojekt schlechthin.

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