Donald Tusk wird EU-Ratspräsident: Eine gute Nachricht für EU und Ukraine
Als Ministerpräsident sagte Donald Tusk stets, er sei nur an Polen interessiert. Jetzt wird er als erster Osteuropäer EU-Ratspräsident. Er kann mit Angela Merkel – und redet mit Wladimir Putin. Tusk könnte ein Glücksgriff auch für die Krise mit Russland sein.
Es war sein erster öffentlicher Auftritt nach der Berufung zum Präsidenten des Europäischen Rats – und er war nur wenig überzeugend.
Donald Tusk betrat das Brüsseler Pressezentrum steif. Nicht einmal der überreichte Blumenstrauß konnte ihm mehr als ein kurzes Lächeln abringen. Verkniffen las er eine kurze Erklärung auf Englisch vom Blatt ab. In seine Muttersprache wechselnd meinte er, er werde nun zum letzten Mal hier in Brüssel auf Polnisch sprechen. „Künftig hört ihr von mir Englisch, versprochen“, fügte er halblaut hinzu.
Dieser Auftritt des ersten osteuropäischen EU-Ratspräsidenten will nicht recht in das Bild passen, dass das Ausland gewöhnlich von dem 57-Jährigen hat. Dass es mit seinen Englischkenntnissen nicht zum Besten bestellt ist, war bekannt. Doch Tusk spricht dafür mit Angela Merkel frei auf Deutsch und mit Putin auf Russisch. Im Spannungsfeld dieser beiden wurde in Polen auch sofort seine Brüsseler Wahl gesehen.
Mit Merkel verbindet ihn eine Freundschaft
Mit der Kanzlerin verbindet Tusk seit dem Wahlsieg über die Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski vor sieben Jahren eine enge Freundschaft; und dass in erster Linie Berlin die Brüsseler Politik bestimmt, ist zumindest unter den EU-Neumitgliedern aus Osteuropa ein Gemeinplatz. Mit Putins imperialistischer Aggression hat Tusk am vergangen Samstagabend begründet, dass er seine Wahl annimmt. Die Situation in der Ukraine habe ihn „erst heute“ dazu bewogen, dieses ehrenwerte Amt anzunehmen, sagte Tusk. Will heißen: Musste er sagen. Denn enge Vertraute berichteten hinter vorgehaltener Hand schon länger, Donald Tusk wolle Nachfolger Herman Van Rompuys werden.
In der Rückschau deutete nichts auf diesen Erfolg Tusks hin. Der 1957 in Danzig als Sohn eines kaschubischen Tischlers und einer Krankenschwester geborene Tusk fiel bei seinen ersten politischen Schritten vor allem durch seinen Sinn für Soziales auf. Tusk, der früh seinen Vater verloren hatte, betont auch heute immer wieder, dass er in den Danziger Hinterhöfen aufgewachsen sei. Zwangsweise war sein Großvater in die Wehrmacht eingezogen worden, zu Hause wurde polnisch, deutsch und kaschubisch gesprochen. Für die Minderheit der Kaschuben hat sich Tusk als Danziger Lokalpolitiker immer wieder eingesetzt, über die multinationale Geschichte seiner Heimatstadt als Historiker publiziert.
Vom Fensterputzer zum Präsidenten: Tusks Aufstieg
Als Tusk jedoch noch zusammen mit dem späteren Staatspräsidenten Lech Kaczynski im antikommunistischen Danziger Untergrund wirkte, spielte dies alles keine Rolle. Tusk galt als Heißsporn. Nach seinem Geschichtsstudium arbeitete der Solidarnosc-Aktivist als Fensterputzer, in seiner Freizeit publizierte er illegal liberale Manifeste. Nach der gewaltfreien Wende 1989, mit 35 Jahren, wurde Tusk Vorsitzender der ersten liberalen Partei Polens (KLD). Als diese nach den Wirren der Transformation den Wiedereinzug ins Parlament verpasste, machte Tusk in Danzig nicht wie seine liberalen Mitstreiter das große Geschäft, sondern gründete eine Stiftung für Kinder aus Alkoholikerfamilien.
Internationale Ambitionen leugnete er lange
Lange gab sich der 1997 erstmals ins Parlament gewählte Donald Tusk als Landespolitiker ohne internationale Ambitionen. „Ich bin nur an Polen interessiert“, wiederholte er noch kurz vor dem EU-Gipfel vom 30. August gebetsmühlenartig. Er sagte das so lange, bis es auch eigene Parteifreunde zu glauben begannen. Noch vor kurzem habe er versprochen, die Partei im Wahljahr nicht alleine zu lassen, klagt ein Anhänger. „Wir müssen uns über diesen unglaublich großen Erfolg für Polen freuen“, sagt dagegen Rafal Grupinski, der Fraktionschef von Tusks Bürgerplattform PO. „Tusk flüchtet nach Brüssel“ und „Er hinterlässt nur Leere“, titelten am Montag die beiden wichtigsten Zeitungen der Opposition voller Schadenfreude.
Nach Tusks Berufung ins zweithöchste Amt der EU ist der Politbetrieb Polens in Aufruhr. Selbst in Tusks liberaler Bürgerplattform erholt man sich erst langsam von dem Schock. Im November stehen Lokalwahlen an, in einem Jahr die nächsten regulären Parlamentswahlen. Doch spätestens nach der Abhöraffäre vor der Sommerpause – ein Kellner hatte vertrauliche Gespräche von Politikern mitgeschnitten – befindet sich Tusks Partei in einem Umfragetief. Bis zu elf Prozent betrug zeitweise der Abstand zu Jaroslaw Kaczynskis Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Im Nachgang zu Tusks Brüsseler Erfolg hat die PO in den vergangenen Tagen allerdings etwas von dem Rückstand gutmachen können.
Einen Nachfolger baute Tusk nicht auf
2001 hatte Donald Tusk die Bürgerplattform gegründet – gemeinsam mit dem ehemaligen Außenminister Andrzej Olechowski und dem 2010 bei Smolensk in Lech Kaczynskis Präsidentenflugzeug abgestürzten Maciej Plazynski. Die Partei sollte eine basisdemokratische politische Erneuerungsbewegung sein. Doch seine beiden Mitstreiter bot Tusk bald aus, basisdemokratische Entscheidungen verkamen unter seiner Führung zu leeren Hülsen. Bald konzentrierte Tusk jegliche Entscheidungsgewalt in seinen Händen. Einen Nachfolger baute er nicht auf. Viele PO-Mitglieder erwarten aus diesem Grund nach Tusks Amtsantritt in Brüssel am 1. Dezember einen parteiinternen Krieg.
Gebrochene Versprechen: Tusks politische Bilanz
Dabei hatte Donald Tusks Aufstieg so harmonisch begonnen. Ende Oktober 2007: Donald Tusk hält strahlend einen „Polska“-Fußballschal in die Höhe, zu seiner Rechten seine Frau Malgorzata, zu seiner Linken Tochter Kasia stolz lächelnd. Der nette, wirtschaftsliberale Oppositionsführer Donald Tusk hat bei den vorgezogenen Parlamentswahlen den bissigen, nationalkonservativen Regierungschef Jaroslaw Kaczynski geschlagen. „Liebe, nicht Macht ist das Wichtigste im Leben“, sagt Tusk, als die ersten Ergebnisse bekannt werden. „Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden, denn ich habe heute lachende Mitbürger gesehen“, sagte er bei der Siegesfeier. Kein politisches Wort war von ihm in dieser Nacht zu hören.
Tusk wurde deshalb zumindest in Polen bald mit John F. Kennedy, Willy Brandt und Tony Blair verglichen. Nicht Programminhalte, sondern ein radikaler Stilwechsel wurde erwartet, eine Abkehr von der autoritären Politik seines Vorgängers Kaczynski. Doch der Regierungswechsel brachte noch mehr. Donald Tusk sorgte dafür, dass Polen wieder ein ernst zu nehmender Partner auf der europäischen Bühne wurde. Er bemühte sich persönlich um die von den Kaczynski-Zwillingen hintertriebene Versöhnung mit Deutschland und auch Russland.
Viele Wahlversprechen wurden gebrochen
In Polen jedoch wurden viele Wahlversprechen bereits während der ersten Amtszeit Tusks gebrochen. Zunächst hieß es noch, das Steuerrecht würde vereinfacht werden und die Steuern weniger – doch schon bald kamen neue Abgaben hinzu. Der bereits unter Kaczynski massiv ausgebaute Beamtenapparat wurde weiter aufgebläht. Statt billiger zu werden, wurde der Staat teurer, denn auch Tusk belohnte seine Unterstützer aus Partei und Wirtschaft mit Ämtern.
Dennoch wurde Donald Tusk 2011 für eine zweite Amtszeit zum polnischen Regierungschef gewählt. Er hatte es geschafft, Polen ohne Rezession durch die Wirtschaftskrise zu lotsen. „Nur starke Spieler überleben die Krise“, sagte er diesmal in seiner Regierungserklärung warnend – und nahm dann fast prophetisch seine Berufung von Ende August 2014 vorweg: „Wir müssen stark sein, um in Europa eine Rolle spielen zu können.“ Doch Tusks Erhöhung des Rentenalters von 60 beziehungsweise 65 auf 67 Jahre kostete ihn auch viel Zustimmung. So viel, dass nun in Polen anzustehen scheint, was Donald Tusk 2011 trotz Wirtschaftskrise noch einmal abwenden konnte: eine Rückkehr Jaroslaw Kaczynskis.
Für die EU und auch die Ukraine indes ist Tusks Berufung zum Präsidenten des Europäischen Rats laut Warschauer Beobachtern eine gute Nachricht. Trotz aller Kritik an seinem Regierungsstil in Polen dürften Tusks Organisationstalent, seine Verbindlichkeit und seine Fähigkeit, für Ausgleich zu sorgen, gute Voraussetzungen für sein neues Amt sein.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.