Spahn wird der Schwarze Peter zugeschoben: Es geht um Menschenleben... und was macht die SPD?
Die SPD hat Gesundheitsminister Spahn mit einem Fragenkatalog zur Impfstoffbestellung attackiert. Damit treibt sie ein gefährliches Spiel. Ein Kommentar.
Das Phänomen ist so verbreitet, dass es in vielen Sprachen einen Ausdruck dafür gibt. Die Deutschen nennen es das „Schwarze-Peter-Spiel“, die Engländer versuchen sich am „Blame game“ (Schuldspiel), die Franzosen geben die „patate chaude“ (heiße Kartoffel) weiter. Alle kennen das Prinzip. Dabei hilft dieser Mechanismus nicht weiter, wenn es ernst wird. Im Gegenteil: Wo es ums Ganze geht, ist das Abwälzen von Schuld ein Alarmzeichen, dass etwas schiefläuft.
Mitten in der zweiten Corona-Welle greifen Teile der Bundesregierung und viele Landesregierungen nun genau zu diesem Mittel. Die Bewährungsprobe könnte gewaltiger nicht sein: Es geht um Menschenleben, um die Wirtschaft und um Existenzen, um die Bildung der Kinder und die Kontrolle über die Infektionszahlen.
Aber die SPD knallt CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn einen Impf-Fragekatalog auf den Tisch, der in seiner inquisitorischen Detailtreue jeder Oppositionspartei in einem Untersuchungsausschuss zur Ehre gereichen würde. Und genau den fordert ein SPD-Abgeordneter auch schon.
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Viele Fragen sind durchaus berechtigt. Warum scheinen andere Länder über mehr Dosen zu verfügen und bei der Immunisierung ihrer Bevölkerung schneller voranzukommen? Warum liegt eine neue Bestellung wochenlang unterschriftsreif im Ministerium? Und wann dürfen auch Menschen ohne Einstufung in der Risikoskala endlich auf Schutz hoffen?
Eine Misstrauenserklärung in Fragebogenform
Es ist auch verständlich, dass in den Ländern unabhängig von den Parteifarben der Unmut über den Gesundheitsminister gewachsen ist. Der gehört wie auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zum Typus des Körperpolitikers, der allein mit Präsenz und Selbstbewusstsein viele Menschen beeindruckt.
Jens Spahn hat seine Leistung aber zu lange schöngeredet, während bei der Versorgung mit Masken, beim Schutz von Altenheimen oder nun bei der Versorgung mit Impfstoff manches falsch lief. Irgendwann nerven solche Auftritte andere Akteure dann nur noch. Deshalb verlangen nun auch Unionsvertreter eine Korrektur von Fehlern. Die Sozialdemokraten aber geben mit dem Fragekatalog eine Misstrauenserklärung ab.
Es ist nachvollziehbar, dass die Länderchefs Bescheid wissen wollen, wann sie welchen Impfstoff in welchen Dosen erhalten. Dafür aber müssen die Sozialdemokraten unter ihnen nicht den Minister der eigenen Bundesregierung wie einen Angeklagten behandeln und Streit inszenieren. Denn der stößt viele ab.
Vizekanzler Olaf Scholz mag nicht der Initiator des Plans sein und auch die Risiken sehen. Dann aber muss sich der SPD-Kanzlerkandidat fragen lassen, wie es um seine Autorität bestellt ist, wenn er sein Lager nicht kontrolliert und den Schaden nicht abwendet. Die Frage stellt sich schon bei anderen Themen, bei denen er eher als Getriebener denn als Gestalter seiner Partei erscheint.
Die Union lädt der Kanzlerin die Last auf
Dass die Unionsseite längst auch Schwarze Peter verteilt, macht es nicht besser. Es ist offensichtlich der unter Druck geratene Gesundheitsminister, der in einer großen Boulevardzeitung die Kanzlerin als Verantwortliche dafür anprangern lässt, dass nicht eine Koalition der Willigen, sondern die EU-Kommission mit dem Kauf der Vakzine beauftragt wurde. Auch andere CDU-Politiker weisen auf Fehler der Regierungschefin hin.
Der Unterschied zwischen den beiden Parteien ist: Die Union lädt einer Kanzlerin eine Last auf, die bei der Bundestagswahl nicht mehr antritt. Die SPD führt einen Kanzlerkandidaten vor, der noch nicht einmal aus den Startlöchern herausgekommen ist und mit schwerem Gepäck sicher nicht schneller werden wird.
Die Regierten, die den Lockdown ertragen und sich aus „Hotspots“ nun nicht mehr herausbewegen dürfen, können dabei nur verlieren. Schulddiskussionen sind rückwärtsgewandt, tragen wenig zur Problemlösung bei. Auf den Zusammenhalt des Teams wirken sie zersetzend. Vertrauen war bisher die wichtigste Ressource der Exekutive in der Coronakrise. Sie sollte behutsam damit umgehen.