CDU-Parteivorsitz: "Es geht nicht darum, die Zeit zurückzudrehen"
Der Historiker Andreas Rödder im Interview über den Aufbruch in der Union, den künftigen Parteivorsitzenden und was es heißt, konservativ zu sein.
Erleben wir gerade einen konservativen Aufbruch oder ist das nur ein Strohfeuer?
Es gibt in der CDU schon seit geraumer Zeit eine Gegenbewegung, die jetzt zum Tragen kommt. Friedrich Merz bedient die Sehnsüchte der klassischen Christdemokratie. Insofern könnte die aktuelle Stimmung durchaus längerfristig Wirkung entfalten.
Friedrich Merz ist also nicht nur eine Projektionsfläche für die Hoffnungen der Christdemokraten?
Nein, ich glaube, dass es wirklich um Merz als Persönlichkeit geht. Er war die Person, die Angela Merkel am signifikantesten auf dem Weg zu ihrer Kanzlerschaft unterlegen ist und die viele doch als die liberalkonservative Alternative ansehen.
Werden unter einem konservativeren Vorsitzenden die Projekte von Angela Merkel rückgängig gemacht?
Ein kluger Konservativer weiß, dass in der Regel nichts zurückkommt. Es geht nicht darum, die Zeit zurückzudrehen, sondern die CDU muss wieder zu einer debattenfähigen, lebendigen Volkspartei werden. Durch den autoritär-exekutiven Politikstil Merkels hat die CDU überhaupt nicht mehr über Inhalte diskutiert. Die Nachfolge von Angela Merkel ist nicht zuletzt eine Stilfrage.
Woran wird sich das Konservative in der Union in Zukunft festmachen?
Konservatismus ist behutsame Verbesserung des Bestehenden. Daher muss die CDU nicht rechter, sondern breiter werden. Die wichtigen Fragen sind: Migration, Europa, Energie. In diesen Bereichen muss die Christdemokratie wieder klar machen, wofür sie jenseits des Mainstreams der gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung in den 2020er Jahren steht. Denn die Abwanderung in alle Richtungen zeigt, dass die CDU eine Partei geworden ist, an der man kein Profil erkennt und der man keine Richtung zuschreibt.
Viele Politiker geraten beim Begriff des Konservativen ins Schwimmen. Woran liegt das?
Für Armin Laschet, den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, gehört das Konservative nicht zum Markenkern der CDU, während Winfried Kretschmann von den Grünen ein Buch schreibt, warum wir heute konservativ sein müssen. Genau daran zeigt sich, welche enormen programmatischen Defizite die CDU momentan erleidet, wenn sie solche Kernbegriffe wie „konservativ“ überhaupt nicht mehr zu definieren oder anzuwenden weiß. Diese inhaltich-programmatische Entkernung ist für die CDU lebensgefährlich. Der Konservatismus bestimmt sich nämlich nicht über Inhalte, sondern geht von einer grundlegenden Haltung der Skepsis aus. Er arbeitet nicht mit abstrakten Entwürfen, sondern mit konkreter Alltagsvernunft, ist offen und reversibel und gibt zugleich den Vorrang der Gesellschaft vor dem Staat vor.
Was soll ein künftiger Parteivorsitzender mitbringen?
Berechenbarkeit. Die sprunghaften Wenden von Merkel haben Vertrauen gekostet. Viele CDU-Vertreter wussten nicht mehr, ob sie am nächsten Tag als Hochverräter aufwachen werden, weil sich die Parteilinie über Nacht geändert hat.
Andreas Rödder (51) ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er ist CDU-Mitglied und Autor des Buches „Wer hat Angst vor Deutschland?“.
Regina Wank
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