Asyldebatte: "Es geht darum, Obdachlosigkeit zu vermeiden"
Wegen zahlreicher Schwierigkeiten haben Bund und Länder ihren nächsten Flüchtlingsgipfel auf den 9. September vorgezogen. Diese fünf Probleme müssen sie angehen.
Unterbringung
In Zelten untergebrachte Flüchtlinge sind auf vielen ikonographischen Bildern in Zeitungen zu sehen, sie illustrieren das Dilemma Asylsuchender in Deutschland. Schon wird diskutiert, die Standards für die Unterbringung zu senken. „Es geht im Augenblick darum, Obdachlosigkeit zu vermeiden“, sagt die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD). Dabei ist klar, dass Zeltdächer dafür im Winter nicht ausreichen werden.
Bis dahin werden alle Flüchtlinge, auch die, die noch ankommen werden, in festen Behausungen untergebracht sein müssen. Und dies möglichst bald „dezentral“, wie das im Verwaltungsjargon heißt, also nicht in Gemeinschaftsunterkünften, sondern in Wohnungen, die auch nicht in Ghettos, am Waldrand und außerhalb normaler Wohngebiete liegen sollten – sondern mitten in der deutschen Aufnahmegesellschaft.
Denn je mehr sich Neue und Alteingesessene begegnen, desto rascher funktioniert die Integration auf beiden Seiten, wachsen Sprachkenntnisse und Verständnis. Außerdem sind Flüchtlinge so besser geschützt: Die Brandanschläge und teils bedrohlichen Protestversammlungen gegen Flüchtlingsheime zeigen, dass für ihre Sicherheit mehr getan werden muss. Effektiver als die Polizei ist auf Dauer aber eine Gesellschaft, die Schutz bietet.
Rechtliche Grundlage
Flüchtlingsgipfel folgt Flüchtlingsgipfel, aber der Rahmen für den Umgang mit denen, die hier Schutz suchen, wird nicht allein in Deutschland gesetzt. Innerhalb Europas fordern Kritiker mindestens auf zwei Feldern politisches Umdenken: Erstens in der Grenzsicherung. Obwohl Europa sich mit immer raffinierteren technischen Mitteln zur Festung ausbaut, kommen die Flüchtlinge zu Hunderttausenden.
Die meisten sehen keine andere Wahl, als sich auf den Weg zu machen. Das macht die teure Grenzsicherung vielfach nutzlos – sie könnte aufgeben werden, damit Ideen und Geld frei werden, die Wanderung zu verwalten, statt ihr hilflose Dämme in den Weg zu stellen.
Das Dublin-Gesetz bürdet die Verantwortung für die ankommenden Menschen allein den Ländern auf, die an der EU-Südgrenze liegen – und ist damit das zweite internationale Problem. In der Realität funktioniert es weder für die Staaten noch für die Flüchtlinge. Wenn die selbst entscheiden dürften, wo sie am meisten Chancen für sich sehen, wären wohl viel Verwaltungsleerlauf und menschliches Leid zu vermeiden.
Auch Deutschland führt jetzt die große Debatte, wie bunt, ethnisch und weltoffen das Land werden kann. Diese Frage könnte auch mit Hilfe eines Einwanderungsgesetzes angegangen werden, das jetzt immer mehr Fans in allen Parteien findet – mit dem Risiko allerdings, dass sich die parlamentarische Beratung im Klein-Klein von Arbeitsrecht, Aufenthaltsrecht, föderalen Zuständigkeiten et cetera verliert. Politisch ist aber auch ohne diesen geplanten großen Wurf schon Vieles in Bewegung geraten.
Ein Leitbild Einwanderungsgesellschaft, wie es der Rat für Migration vorgeschlagen hat, könnte auch eine Enquete- Kommission des Bundestags entwickeln. Eine landesweite Debatte darüber ließe sich organisieren.
Die erste Aufgabe des nächsten Flüchtlingsgipfels aber dürfte eine nachhaltige Entscheidung übers Geld werden – damit nicht alle paar Monate angesichts neuer Zahlen neue Gipfel nötig sind. Eine Fallpauschale pro Flüchtling, die sich Bund, Länder und Gemeinden teilen, wäre eine denkbare Lösung.
Arbeit, Bildung, Bearbeitungsdauer der Anträge
Arbeitschancen
Nicht zufällig war Integration kein Thema, als vor 60 Jahren die Zeit der „Gastarbeiter“-Einwanderung begann. Es gab Arbeit, am Arbeitsplatz lernte man genug Deutsch, hatte Kontakte, konnte sich eine Wohnung mieten, sprach mit den Nachbarn und fand sich ein. Der Job, bedeutete zudem Anerkennung. Auch die meisten der nun ankommenden Flüchtlinge wollen und können arbeiten. Aber jahrzehntelang hielten deutsche Gesetze Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt fern.
Diese alte Logik gerät mittlerweile ins Rutschen: Inzwischen können sie unter bestimmten Umständen schon nach drei Monaten arbeiten, selbst wenn ihr Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Auch die Vorrangprüfung, für die nachgewiesen werden muss, dass nicht ein ebenso qualifizierter Bewerber aus der EU die Stelle besetzten könnte, wird weniger hart gehandhabt. Praktisch ist allerdings noch vieles vom Umdenken in der Politik nicht auf den realen Ebenen der Arbeitswelt und der Kommunen angekommen.
Und andere Dinge zur unüberwindlichen Hürde werden: Ein Beispiel ist das Geldwäschegesetz, das ein Bankkonto nur Menschen mit ordentlichen Papieren vergönnt – die viele Flüchtlinge nicht haben.
Bildungschancen
Derzeit haben Asylbewerber, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, noch keinen grundsätzlichen Anspruch auf die Teilnahme an Willkommensklassen, Sprachkursen und auf Kitaplätze. In Politik und Behörden wächst die Einsicht, dass sich das ändern muss, wenn nicht – gerade für Menschen mit guten Aussichten, anerkannt und integriert zu werden – kostbare Zeit verloren gehen soll.
Schon jetzt geben viele ehrenamtlich Engagierte Deutschstunden, helfen bei Behördengängen oder betreuen geflüchtete Kinder – zur Freude und zum Erstaunen vieler Sozialarbeiter, die sich an eine ähnliche Welle von Hilfsbereitschaft nicht erinnern können. Allerdings wünschen sich Profis wie Laien eine Koordination dieser vielfältigen Energie. Damit nicht Kinderkleider gespendet werden, wo Schuhe für Erwachsene nötig sind, damit Engagierte wissen, wo sie nötig sind und wo sie eher stören könnten, sollten Jugendämter oder die nichtstaatliche Wohlfahrtspflege Mittel bekommen, um zu sie unterstützen.
Bearbeitungsdauer der Asylanträge
Bis Asylbewerber anerkannt sind, kann es dauern. Während für Syrer, Eritreer und die Angehörigen bestimmter Minderheiten aus dem Irak inzwischen verkürzte schriftliche Verfahren gelten, müssen andere weiter lange warten. Manche Asylsuchende müssen gar Jahre darauf warten, auch nur einen Interviewtermin mit den Entscheidern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu bekommen.
Das Bamf sitzt derzeit auf einem Berg von fast 240 000 noch nicht entschiedenen Anträgen, EU-Statistiken zufolge sind dies mehr als in jedem anderen Land in Europa. Während oft über die Belastung des Bamf durch aussichtslose Anträge vom Balkan geredet wird, ist der von der Politik gemachte Stau fast kein Thema: Mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 wurden so genannte „Widerrufsverfahren“ eingeführt: Nach drei Jahren muss jedes bereits entschiedene Verfahren überprüft werden, ob es dafür einen Grund gibt oder nicht.
Diese Verfahren hat das Bundesinnenministerium kürzlich ausgesetzt – am bereits entstanden Rekordstau ändert dies freilich nichts. Das Bamf hofft, ihn bis Jahresende zumindest deutlich reduziert zu bekommen. 650 Stellen sind bereits neu besetzt, 1000 weitere sollen bis Ende 2015 folgen und „deutlich mehr als 200 000“ Asylverfahren bis dahin beendet sein.