Die Debatte berührt Ängste: Es darf kein Scheingefecht um die Rente im Wahlkampf geben
Ein Rentenkonzept seines Expertenrats kommt für Peter Altmaier und die Union zur Unzeit. Aber wann, wenn nicht im Wahlkampf, wäre Zeit? Ein Kommentar.
Eine der sichersten Methoden des politischen Selbstmords in Wahlkampfzeiten besteht darin, das Wort „Renten“ ohne den Zusatz „...erhöhung“ in den Mund zu nehmen.
Das kann es schon reichen, dass ein wissenschaftlicher Beirat im Bundeswirtschaftsministerium ein Gutachten schreibt. Weil darin obendrein das Stichwort „Rente mit 68“ steckt, haben Peter Altmaier und die Union jetzt ein ziemliches Problem.
Alle anderen aber danken für die Vorlage und nutzen sie weidlich, um sich als Verteidiger aller jetzigen und demnächst werdenden Rentner zu profilieren.
Für wie gefährlich die Union selber den Vorgang hält, zeigen die schnellen Versuche zur Schadensbegrenzung. Die CSU versichert, mit ihr gebe es kein höheres Rentenalter. Altmaier verweist darauf, dass so ein Beirat folgenlos schreiben darf, was er will, und bekennt sich zur Rente mit 67.
Nützt nur nix. Die Debatte ist da, alle Interessengruppen zeigen auf, und speziell die SPD wäre ja auch dumm, ließe sie sich diese hübsche Chance entgehen.
Rentner sind die größte Wähler-Altersgruppe
Denn, erstens: Rentner und rentennahe Jahrgänge stellen inzwischen gut ein Drittel aller Wahlberechtigten, Tendenz stark steigend, und gehen obendrein zuverlässiger zur Wahl als andere.
Zweitens reagiert diese Gruppe besonders sensibel. Parteizentralen kennen es, dass sie zuverlässig mit zorniger Rentnerpost geflutet werden, selbst wenn die Debatte sich um Zeiträume dreht, die die heutigen Rentner gar nicht mehr berühren. Sie berührt trotzdem Ängste.
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Genauso zuverlässig sorgen diese Faktoren allerdings dafür, dass über Rentenpolitik praktisch nie vernünftig geredet wird. Vor irgendeiner Wahl ist immer, und hinterher landet das heiße Eisen in einer Kommission. Das wird in den nächsten Jahren noch schlimmer, weil die Babyboomer-Generation in Rente geht. Man ahnt schon, dass demnächst beheizte Seniorenschwimmbäder das Hauptmotiv auf Wahlplakaten werden.
Auch die Rente sichert ein Recht auf Zukunft
Die Jungen von heute winken resigniert ab: Für unsere Rente bleibt sowieso nichts mehr übrig. Dabei lässt sich ihr Recht auf Zukunft, das das Bundesverfassungsgericht für die Klimapolitik aus dem Grundgesetz abgeleitet hat, zumindest moralisch auch auf die Rentenpolitik anwenden.
Zwar weiß niemand genau, wann der Kipppunkt erreicht ist, an dem die Last der vielen Alten für die wenigen Jungen zu schwer wird. In die Rechnung gehen viele Unbekannte ein, etwa die Frage, wie sehr steigende Produktivität das Ungleichgewicht vielleicht entschärft.
Aber sich auf ein „vielleicht“ zu verlassen, wäre wenig nachhaltig gehandelt bei einem Problem, das sich nur in langen Linien lösen lässt und mit einem Maßnahmen-Mix, der nicht eine Ungerechtigkeit durch die nächste ablöst.
Doch gerade weil jede Maßnahme eine politische Bewertung enthält, gehörte das Thema eigentlich in den Wahlkampf. Nicht als Scheingefecht mit Zahlen und missverständlichen Fachbegriffen, sondern als Frage an die Gesamtgesellschaft: Hinterlassen wir das Problem den Jungen, oder beginnen wir jetzt damit, die Solidarität der Zukunft abzustecken, auch wenn das womöglich hier und da weh tut?
Wahrscheinlich ist die Idee zu idealistisch. Der Wahlkampf läuft kleinteilig und grobschlächtig zugleich an, da wird’s schwierig mit Grundsatzdebatten. Nur soll sich dann hinterher keiner beschweren, wenn die Rentenfrage nach dieser Wahl wieder dort landet, wo sie schon nach der vorigen Wahl zur Scheinruhe gebettet wurde - in einer Kommission.