Trump, Fake News und Soziale Medien: Es braucht mehr IT-Sicherheit für Gehirne
Nicht nur die Sender von Fake News und Manipulationsversuchen sind ein Problem, sondern auch die Empfänger. Aber da ist viel digitale Wehrlosigkeit. Ein Kommentar.
Es bleibt draußen. Ein von Facebook eingesetztes Expertengremium votierte am Mittwoch für die Beibehaltung der Sperrung des Nutzerkontos von Ex-Präsident Donald Trump. Es nannte unter anderem das „anhaltende Gefahrenpotenzial“ seiner Rhetorik als Grund. Was Trumps virtuelle Aktivitäten für reale Konsequenzen haben können, hatte sich am 6. Januar gezeigt, als seine von ihm angestachelten Anhänger das Kapitol in Washington erstürmten.
Neben Facebook hatte danach auch Twitter (gleich auf ewig) Trumps Konten gesperrt. Nach dem Gremiumsvotum stellt sich nun wieder die Frage, ob die Social-Media-Giganten zu viel Macht haben, und was die Entscheidung für andere Facebook-Kunden, ob mit oder ohne Regierungsverantwortung, bedeutet. Aber dahinter schlummert das mindestens ebenso große, wenn nicht größere Problem der Empfängerseite.
Das Senden von manipulativen, hetzerischen Inhalten wird zum tatsächlichen Problem, weil es auf Menschen trifft, die sich manipulieren und aufhetzen lassen – und das sind nicht alles per se gewaltbereite, schlechte Menschen. Immer wieder belegen Studien, wie schwer es Menschen fällt, die Informationen, die auf verschiedenen Kanälen auf sie einprasseln, einzuordnen. Damit sind sie ihnen ausgeliefert.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Eine Sonderauswertung von Pisa-Daten zu digitaler Lesekompetenz hat gerade gezeigt, dass hierzulande weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler beim Lesen eines Textes sagen können, was darin Fakt ist und was Meinung. Gerade mal 54 Prozent der Befragten haben in der Schule vermittelt bekommen, wie sie feststellen, ob eine Information aus dem Internet vertrauenswürdig ist.
Dieses Nicht-Wissen, womit man es hier zu tun hat, ist es auch bei Älteren verbreitet, wie eine repräsentative Stichprobe im Auftrag der Stiftung Neue Verantwortung für ab 18-Jährige ergab. Da wurden von mehr als der Hälfte der Befragten Werbeanzeigen für bare Münze genommen und Falschinformationen auf Facebook von immerhin 33 Prozent als richtig eingeschätzt. Ebenfalls Probleme bereitet das Unterscheiden zwischen Nachricht und Kommentar.
Wer unsicher wird, wird auch verführbar
Solche Einschätzungsschwierigkeiten verwirren, frustrieren, machen unsicher – und eben verführbar. In unübersichtlichen und als krisenhaft wahrgenommenen Zeiten zumal. Und das ist das eigentliche Problem. Das Scheunentor für Manipulation und Einflussnahme steht längst weit offen. Dadurch konnten und können nicht nur Donald Trump und andere Staatenlenkermanipulatoren, sondern ungezählte Internetakteure ungehindert einmarschieren. Es ist Zeit, das Tor zu schließen – sozusagen von innen.
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter "Washington Weekly" unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung.]
Man kann den sozialen Medien ihr Geschäftsmodell nicht wieder nehmen, und niemand braucht zu hoffen, dass sich die Entwicklung zurückdrehen ließe. Dazu ist schon viel zu viel etabliert worden, dazu hat die Entwicklung auch zu viele positive Effekte. Aber es gilt, was auch damals galt, als der motorisierte Verkehr die Straßen eroberte: Man muss die Menschen in die Lage versetzen, mit der Neuerung umzugehen.
Ohne Basiskonsens kann man nicht streiten
Sie dürfen von ihr nicht – damals im Wortsinn, heute metaphorisch gesprochen – überfahren werden. Der Umgang mit Informationen aus dem Internet ist essenziell. Erst recht in Gesellschaften, die sich Informationsgesellschaften nennen. Es braucht IT-Sicherheit nicht nur für die Geräte und Programme, sondern auch für die Gehirne.
Mit der Klimafrage und Generationengerechtigkeit rollen zwei Großthemen auf die Gesellschaft zu, die ausgehandelt werden müssen. Damit das einigermaßen gelingt, sollten alle wissen, was die Worte, die dazu im Umlauf sind, zu bedeuten haben – was kaum einfach werden wird, da beide Themen sich zur ideologischen und emotionalen Instrumentalisierung eignen. Umso wichtiger ist, dass unter dem Tamtam und Gedröhn, das die verschiedenen Akteure anstimmen, ein Boden existiert, auf dem alle stehen. Sonst kann es keine diskursive Verständigung geben. Aber auf die sind Gesellschaften angewiesen, wenn sie Bilder wie jene vom 6. Januar im Kapitol nicht noch mal sehen wollen.