Pisa-Auswertung zu IT-Kompetenzen: Jugendliche fühlen sich digital schlecht unterrichtet
In einer Sonderauswertung der Pisa-Studie sagen Jugendliche, dass Schulen nur wenig digitale Lesekompetenzen beibringen. International liegt Deutschland unter dem Schnitt.
Schafft die Schule es, Kindern und Jugendlichen digitale Kompetenzen beizubringen? Schülerinnen und Schülern sind davon nicht überzeugt. Nicht einmal die Hälfte sagt, in der Schule gelernt zu haben, wie sie erkennen, ob Informationen im Internet voreingenommen sind.
In Deutschland ist der Anteil der Jugendlichen, die sich ausreichend in Sachen digitaler Lesekompetenz unterrichtet fühlen, damit noch einmal ein wenig geringer als im Schnitt der OECD-Staaten, wo der entsprechende Wert bei etwas über der Hälfte liegt
Das ergibt eine Sonderauswertung der Pisa-Studie zu Lesekompetenzen von Jugendlichen im digitalen Zeitalter, die an diesem Dienstag vorgestellt wird und die von der Vodafone-Stiftung beauftragt wurde.
Die Datengrundlage stammt dabei aus dem Jahr 2018, die Schülerinnen und Schüler wurden also vor der Unterbrechung der Coronapandemie befragt. An der Pisa-Studie nehmen Jugendliche der 9. Klassen teil. Eine weitere Sonderauswertung der Pisa-Studie zur digitalen Ausstattung der Schulen hatte ebenfalls kein allzu schmeichelhaftes Bild für Deutschland gezeichnet.
Mehr Kenntnisse bei sozialen Netzwerken
Was Jugendliche über den Umgang mit sozialen Netzwerken, Informationen von Webseiten und Suchmaschinen lernen, hat durchaus eine große Spannbreite, zeigt die neue Auswertung. So geben immerhin drei Viertel an, die Schule habe ihnen vermittelt, welche Konsequenzen es habe, wenn man Informationen via Instagram oder Facebook öffentlich macht.
Nur 46.5 Prozent sagen dagegen, sie hätten gelernt, wie man verschiedene Webseiten vergleicht und entscheidet, welche Informationen für eine Aufgabe in der Schule wichtig sind. Sogar nur ein Viertel der Schüler:innen sagt, sie wüssten wie man Spam-Mails erkennt.
Fakten und Meinung unterscheiden lernen
Für OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher ist die Fähigkeit zum Unterscheiden von Fakten und Meinung der entscheidende Punkt. "Wer in das digitale Zeitalter geboren wird, muss sich erst noch die Kompetenzen dazu erwerben. Und dafür ist Bildung der entscheidende Schlüssel", sagte Schleicher am Dienstag. Hier hat die Untersuchung gezeigt, dass weniger als die Hälfte der deutschen Schüler beim Lesen eines Textes unterscheiden kann, was Fakten und Meinung ist.
Beim Zugang zur Technik schließe sich die soziale Schere zwar. Aber bei kulturellen Ressourcen wie Büchern sei das Ergebnis gegenläufig. Bei Schülern aus ungünstigem sozialen Umfeld sei die Zahl der Bücher zuhause mittlerweile sehr niedrig. "Und wir sehen eine Korrelation zwischen Lesekompetenzen und dem Leseverhalten der Eltern."
Beim Lesen in der Schule sei Techniknutzung negativ mit der Lesekompetenz verbunden. "Das sollte uns Sorge machen", so Schleicher. "Je mehr Schüler in der Schule Computer nutzen, umso schwächer fällt die digitale Lesekompetenz aus."
Digitale Technik müsse daher besser genutzt werden, die Pädagogik angepasst werden. "Wir nutzen Technologie zu oft, um bestehende Pädagogik zu konservieren, aber nicht um das Lernen zu transferieren", sagte Schleicher. Es bleibe noch viel zu tun, um digitale Technik im Unterricht so zu nutzen, dass sie zu positiven Veränderungen führen kann.
Auffällig bei den Ergebnissen der Untersuchung ist, dass die Werte bei allen Fragen immer unter dem OECD-Schnitt liegen: Schulen in Deutschland vermitteln aus Sicht der Schüler:innen digitale Kompetenzen weniger gut als anderswo. Vor dem Hintergrund, dass Jugendliche pädagogische Unterstützung brauchten, um IT-Fähigkeiten zu erlernen, seien das bedenkliche Ergebnisse, heißt es in der Studie.
Ein weiteres auffälliges Ergebnis: In Deutschland nutzen deutlich weniger Jugendliche digitale Geräte zum Lernen als im OECD-Schnitt (in Deutschland ist es die Hälfte der Schüler:innen, im OECD-Schnitt drei Viertel). Gleichwohl würden „Printmedien zunehmend durch digitale Medien verdrängt“, heißt es, besonders, wenn es um das Lesen von Informationstexten geht.
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Als „interessant“ bezeichnen es die Autor:innen der Studie, dass Leser:innen gedruckter Bücher dennoch in einer computergestützten Testumgebung deutlich bessere Ergebnisse erzielen als die Jugendlichen, die selten oder nie Bücher lesen. Der Vorsprung beträgt 44 Punkte, was in den Pisa-Studien in der Regel mehr als einem Schuljahr entspricht.
Digitale Bücher bringen nicht automatisch einen Mehrwert
Wer nur auf digitalen Geräten liest, schneidet dagegen in digitaler Lesekompetenz nicht besser ab als diejenigen, die kaum oder gar nicht lesen. Erklärungen für diese Befunde bietet die Studie nicht. Sie weist aber auf Ergebnisse anderer Studien hin, wonach digitale Bücher im schulischen Kontext nicht automatisch einen Mehrwert bringen. "Gedruckte Bücher sind in jedem Fall sinnvoller als schlecht konzipierte multimediale Bücher."
"Es geht darum das Tiefenverständnis komplexer Texte mitzunehmen, nicht um schnelle Schlagzeilen und Tweets", sagte OECD-Bildungsdirektor Schleicher in diesem Zusammenhang.
Wie in vielen Schulstudien zuvor wird erneut klar, wie sehr der Bildungserfolg vom Elternhaus abhängt. Zwischen dem sozioökonomischen Hintergrund der Schüler:innen und ihren Möglichkeiten zum Erwerb wichtiger Lesekompetenzen für digitale Kontexte besteht ein deutlicher Zusammenhang.
Jugendliche aus sozialökonomisch ungünstigeren Verhältnissen geben noch seltener an, die entsprechenden Kenntnisse in der Schule gelernt zu haben. OECD-weit betrage die Unterschiede acht Punkte, Deutschland gehört zu den Ländern, wo die Differenz sogar mehr als 14 Punkte beträgt.
Hinzu kommt, dass laut der Studie die Lesefreude der Schüler:innen hat in Deutschland zwischen 2009 und 2018 deutlich abgenommen ha . Nur zwei andere Länder verzeichneten einen ähnlich starken Rückgang – Finnland und Norwegen. Deutschland zählte 2018 zu den PISA-Teilnehmerländern mit den größten geschlechtsspezifischen und sozioökonomischen Unterschieden bei der Lesefreude.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) betonte zur Vorstellung der Studie, dass "Lesen die Basiskompetenz ist, die jeder Mensch für eine gute Bildung benötigt". Gerade in einer Demokratie sollte es ein Ziel sein, die junge Generation in die Lage zu versetzen, Texte kritisch lesen und die Fakten darin erkennen zu können. "Zur Lesekompetenz des analogen Zeitalters müssen im digitalen Zeitalter weitere Kompetenzen hinzukommen, damit die Schülerinnen und Schüler auch digital gut lesen können", sagte Karliczek. "Um diese Kompetenzen zu erwerben, müssen digitale Medien sinnvoll zu Lernzwecken eingesetzt werden."
Infrastruktur an den Schulen verbessern
Dazu müsse auch die Infrastruktur an den Schulen weiter verbessert werden. "Um digitale Lesekompetenzen zu erwerben, müssen digitale Medien pädagogisch sinnvoll zu Lernzwecken eingesetzt werden", sagte die Ministerin. Dafür stelle der Bund mittlerweile sechseinhalb Milliarden Euro dafür zur Verfügung. Auf das Ergebnis der Pisa-Studie, dass ein Fünftel der 15-Jährigen nur rudimentär lesen kann, müsse dringend reagiert werden, so Karliczek. "Denn auf der der Basiskompetenz Lesen baut alles andere auf."