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Vorwürfe gibt es gegen den katholischen Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße.
© Axel Heimken/dpa
Update

Nach Gutachten zu sexuellem Missbrauch: Erzbischof Heße bietet Papst seinen Amtsverzicht an

Ein neues Gutachten sieht keine Pflichtverletzungen bei Kardinal Woelki im Umgang mit sexuellen Missbrauchsfällen, macht aber Erzbischof Heße schwere Vorwürfe.

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße hat Papst Franziskus seinen sofortigen Amtsverzicht angeboten. Er ziehe damit die Konsequenz aus dem Ergebnis des Gutachtens zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln, sagte Heße in Hamburg. Heße war dort früher Personalverantwortlicher, das Gutachten legt dem Geistlichen Pflichtverletzungen zur Last.

"Ich habe mich nie an Vertuschung beteiligt - ich bin dennoch bereit, meinen Teil der Verantwortung für das Versagen des Systems zu tragen", sagte Heße in einem Statement. Dies sei seine Reaktion auf die durch die externe Begutachtung festgestellten Pflichtverletzungen. Er habe immer "nach bestem Wissen und Gewissen" gehandelt, betonte er.

Heße werfen die Gutachter elf Pflichtverletzungen vor. Heße war vor seiner Berufung nach Hamburg Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln. In dieser Funktion musste er sich mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Priester auseinandersetzen. Heße bestreitet bisher die bereits in anderem Zusammenhang gegen ihn erhobenen Vorwürfe.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist in dem Gutachten entlastet worden. Es seien keine Pflichtverletzungen bei Woelki feststellbar gewesen, sagte der Strafrechtler Björn Gercke am Donnerstag bei der Vorstellung seines Gutachtens.

Auch verstorbener Kardinal Meisner beschuldigt

Das Gutachten belastet auch den 2017 verstorbenen Kardinal Joachim Meisner schwer. Meisner soll in seiner Zeit als Erzbischof von Köln 24 Mal gegen Kirchenrecht verstoßen haben, wie der Kölner Anwalt Björn Gercke am Donnerstag in einer Pressekonferenz zur Veröffentlichung seines Gutachtens mitteilte.

Die Pflichtverletzungen beziehen sich nach seinen Erkenntnissen auf 14 in den Akten des Erzbistums dokumentierte Missbrauchsfälle. Meisner soll gegen die Aufklärungs-, Meldungs-, Sanktions-, Verhinderungspflicht und die Pflicht zur Opferfürsorge verstoßen haben. Beschuldigt wird zudem Erzbischof Joseph Höffner (1906-1987).

Woelki entbindet Weihbischof von Aufgaben

Auch der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, der 2004 Generalvikar in Köln wurde, steht mit auf der Liste der Beschuldigten. Der 53-Jährige soll sich acht Pflichtverletzungen schuldig gemacht haben. Zudem wird Schwaderlapps Vorgänger als Generalvikar, der ehemalige Dompropst Norbert Feldhoff (81), in dem Gutachten beschuldigt – dem emeritierten Feldhoff werden 13 Pflichtverletzungen vorgeworfen.

Nach der Vorstellung des Gutachtens entband Woelki zwei Mitarbeiter vorläufig von ihren Dienstpflichten. „Daher möchte ich auch aus der Situation der Stunde heraus und auch auf der Grundlage dessen, was ich hier gerade gehört habe, die gerade Genannten, Weihbischof Schwaderlapp und Herrn Offizial Assenmacher, mit sofortiger Wirkung vorläufig von ihren Aufgaben entbinden“, sagte Woelki.

Schwaderlapp bietet Papst Rücktritt an

Schwaderlapp bot dem Papst seinen Amtsverzicht an. Das teilte der Geistliche am Donnerstag in einer Stellungnahme in Köln mit, kurz nach der Vorstellung des Gutachtens. „Ich bitte Papst Franziskus um sein Urteil“, schrieb er darin. „Ich kann nicht Richter in eigener Sache sein.“

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Das Erzbistum Köln präsentierte das neue Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen durch Kirchenmitarbeiter, nachdem eine frühere Expertise wegen angeblicher Mängel und rechtlicher Bedenken bislang unter Verschluss blieb. Das Zurückhalten des ersten Gutachtens hatte für heftige Kritik von Betroffenen, aber auch innerhalb der katholischen Kirche und aus der Politik gesorgt. Woelki hatte das Gutachten in Auftrag gegeben.

Erzbischof Rainer Maria Woelki bei der Vorstellung des Gutachtens.
Erzbischof Rainer Maria Woelki bei der Vorstellung des Gutachtens.
© Ina Fassbender/AFP

Die Auswertung der Akten von 1975 bis 2018 habe unter anderem ergeben, „dass sich Jahrzehnte offenbar niemand getraut hat, solche Fälle zur Anzeige zu bringen“, kritisierte er. Gercke hatte vorab mitgeteilt, dass seine Untersuchung für die Jahre von 1975 bis 2018 mehr als 300 Opfer und über 200 Beschuldigte aufführt. Woelki hatte ihn beauftragt, Verantwortliche namentlich zu benennen – gegebenenfalls auch ihn selbst.

Woelki war in einem Fall selbst im Visier. Er soll 2015 den mittlerweile gestorbenen Düsseldorfer Pfarrer Johannes O. geschont haben, dem der Missbrauch eines Kindergartenjungen Ende der 1970er Jahre zur Last gelegt wird. Nachdem Woelki 2014 Erzbischof von Köln geworden war, entschied er sich, nichts gegen O. zu unternehmen. Seine Begründung dafür: O. sei aufgrund einer fortgeschrittenen Demenz „nicht vernehmungsfähig“ gewesen. Auch nach Ansicht der Gutachter hat 2015 keine Meldepflicht bestanden, weil der Beschuldigte damals verhandlungsunfähig war und nicht bestraft hätte werden können.

Ordner mit Akten über „Brüder im Nebel“

„Wir haben erhebliche Mängel im Hinblick auf die Organisation des Aktenbestands sowie der Aktenführung im Erzbistum festgestellt“, sagte Gercke am Donnerstag. Zudem habe sein Team den Eindruck gewonnen, dass einige Aktenbestandteile fehlten. Vor allem einige ältere Akten seien handschriftlich geführt und zum Teil unleserlich. Im Laufe der Begutachtung seien auch mehrfach Unterlagen nachgereicht worden.

Der 2017 verstorbene Erzbischof von Köln: Kardinal Joachim Meisner.
Der 2017 verstorbene Erzbischof von Köln: Kardinal Joachim Meisner.
© Oliver Berg/dpa

Der Strafrechtler erklärte, dass der frühere Kölner Erzbischof Joachim Meisner (1933-2017) zusätzlich zu den Beständen des Erzbistums einen eigenen Ordner mit Akten über „Brüder im Nebel“ geführt habe, „in dem er geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrt“ habe. Mindestens zweimal habe es Aktenvernichtungen gegeben, wie sie das kirchliche Recht jedoch vorschreibe. Die Gutachter hätten in diesen Fällen weitere Nachfragen bei verschiedenen Stellen des Erzbistums unternommen.

Kardinal Woelki kannte die Ergebnisse des 800-seitigen Gutachtens nach den Worten eines Sprechers des Erzbistums im Vorfeld der Vorstellung nicht. Woelki will das Gutachten nach der Veröffentlichung in den kommenden Tagen mit den Kölner Kirchengremien diskutieren und dann am kommenden Dienstag mögliche personelle Konsequenzen verkünden – im Raum stehen Beurlaubungen von Verantwortungsträgern, aber auch persönliche Konsequenzen Woelkis.

Das neue Gutachten liegt nach Angaben Gerckes bereits bei der Staatsanwaltschaft. „Die Staatsanwaltschaft hat das Gutachten bereits vor einigen Tagen von uns bekommen, damit sie auch Zeit hat, sich in Ruhe darauf vorzubereiten – vor der Öffentlichkeit“, sagte Gercke am Mittwoch in der „WDR Lokalzeit“ aus Köln. Ihm selbst sei das ein Anliegen gewesen. Die Staatsanwaltschaft sei die zuständige Behörde für die Verfolgung von Straftaten. (AFP, dpa, KNA)

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